Nachdem Wikleaksgründer Gesicht, Julian Assange wegen Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet worden ist und in Grossbritannien seine Auslieferung an Schweden zu verhindern versucht, hat sein Anwalt gewarnt, dass man im Besitze von “thermonuklearen” Dokumenten sei, die man, sollte es zum eigenen Schutz notwendig werden, veröffentlichen wird. Damit macht er eine interessante Analogie zur nuklearen Abschreckung, auf die er vielleicht besser verzichtet hätte.
Dies “thermonukleare Option” ist ein verschlüsseltes Dokument, dass in den Weiten des Internets verteilt wurde. Das Dokument mit Namen insurance.aes256 enthält vermutlich alle Dokumente, in dessen Besitz Wikileaks (noch) ist, jedoch völlig unredigiert, mit Namen von Geheimagenten, geheimen Anlagen etc. Was genau darin steht und wie gefährlich dies für die USA sein könnte, kann kaum jemand abschätzen. Die Dokumente sind gemäss Times mit einem kaum zu knackenden 256-stelligen Code verschlüsselt. Würde Assange etwas zustossen, würde der Schlüssel freigegeben. In Assanges Anwalts Analogie wäre dies das Äquivalent zum Drücken des roten Knopfes zur Lancierung eines Nuklearschlages.
Wie erfolgsversprechenden ist diese Drohung im Lichte der nuklearen Abschreckungstheorie? Das Ziel nuklearer Abschreckung (hier meine ich die realen Bomben) ist, wie der Name schon verrät, Abschreckung. Ihr Ziel ist es, dass ein effektiver Nuklearschlag gar nicht nötig wird, will man damit den Gegner doch von einem Angriff abhalten. Man will glaubhaft machen, dass die Konsequenzen eines jeden Versuchs einer Attacke grauenhaft sein würden und nahezu zwangsläufig auf ein nukleares Armageddon zuführen würde.
Damit Abschreckung aber funktioniert, müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein. Eine der wichtigsten dieser Bedingungen ist die Glaubwürdigkeit der Drohung. Ein Element der Glauwürdigkeit ist, dass das Zerstörungspotential für eine nukleare Antwort wirklich vorhanden sein muss oder zumindest muss der Gegner davon überzeugt sein, dass es vorhanden ist. Wer einmal Poker gespielt hat weiss, dass das dies das einzige ist, was wirklich zählt: Nicht was man auf der Hand hat, sondern was die anderen glauben, das man auf den Tisch legen kann. Um diese Glaubwürdigkeit zu erreichen, muss man auch sicherstellen, dass diejenigen die abgeschreckt werden sollen, keine Möglichkeit sehen, diese Kapazität zu zerstören (zum Beispiel mit einem schnellen, unerwarteten Erstschlag).
Das zweite Element ist, dass es glaubwürdig gemacht werden muss, dass man den entsprechenden Schlag auch ausführen wird, falls man angegriffen wird. Das ist weniger einfach, als das es auf den ersten Blick erscheinen mag. Dies hängt damit zusammen, dass was vor einem Angriff (ex ante) als eine rationale Handlung erscheint, ist dies nicht mehr unbedingt, nachdem der Angriff schon stattgefunden hat (ex post). Ziel der Drohung ist es schliesslich, die Nuklearwaffe gar nie benutzen zu müssen, eben einen Angriff abzuwenden. Wenn dieser Angriff aber schon vorbei ist, dann ist ein Nuklearwaffeneinsatz überflüssig. Man kann ihn bestenfalls noch mit Rachegelüsten oder einem “wie du mir so ich dir” begründen, doch die rationale Motivation (das Verhindern eines Angriffs) existiert nicht mehr. Dies gilt natürlich nicht, wenn ein solcher Schlag als taktisches Element gemacht wird, weil man von einer längeren Auseinandersetzung ausgeht und somit auf eine Schwächung des Gegners setzt. Doch die Idee von Abschreckungspotential ist in der Regel die Drohung mit schneller und totaler Zerstörung.
Überträgt man diese Logik auf die Drohung des Anwalts von Assange, die “thermonukleare Option” zu wählen, kann man einige Rückschlüsse ziehen, wie erfolgsversprechend diese Strategie sein könnte:
Vermutlich weiss die US Regierung nicht, was für Materialien Wikileaks besitzt. Sie können zwar Vermutungen anstellen, kennen aber kaum Details. Diese Unsicherheit spielt Assange in die Hände und es ist schwer festzustellen ob er bezüglich der Brisanz nur blufft. Diese Restzweifel können also die Drohung als grösser erscheinen lassen, als das sie effektive ist, würde man den Inahlt der Dokumente kennen. Eine Risikoabschätzung wird schwieriger und man wird wohl eher seinen konservativen Neigungen nachgeben wollen, es nicht einzugehen (vielleicht hat man etwas übersehen, etc.).
Durch die Art und Weise wie Assange insurance.aes256 verteilt hat, ist auch ein Zerstörung kaum möglich. Der Schlüssel könnte hingegen natürlich aufgespürt werden. Entweder um zu sehen, was die Dokumente sind oder um ihn zu zerstören (vermutlich einfacher). In letzterem Fall, kann natürlich trotzdem nicht ausgeschlossen werden, dass eines Tages ihn jemand trotzdem knackt. Dies ist eine Art zusätzliche Rückversicherung.
Das grösste Fragezeichen betreffend der Glaubwürdigkeit ist jedoch das vorher/nachher Problem. Wann genau soll der Schlüssel freigegeben werden? Man möchte damit verhindern, dass Assange etwas zustösst. Im Moment wo dies aber passieren würde, würde eine unredigierte Veröffentlichung bestenfalls noch Rachecharakter haben, sonst aber kaum sinnvoll sein, da sie per Definition nichts mehr verhindern kann. Wenn der Schlüssel beim Haftbefehl, der jetzt ausgestellt worden ist, nicht freigegeben wurde, warum soll er zu einem späteren Zeitpunkt und falls ja wann (Auslieferungsentscheid, Verurteilung in Schweden wegen Vergewaltigung, neues Verfahren wegen Geheimnisverletzung, Auslieferung in die USA)? Im Moment wo er freigegeben wird, verliert er jede Funktion und weitere Schritte können nicht mehr verhindert werden. Genau das will man aber. Darum ist es immer in Assanges Interesse (zumindest solange er lebt), dass der Schlüssel nicht veröffentlicht wird. Weiss man das aber, verliert die “thermonukleare Option” ihren Wirkung, da nur die Gewissheit des Einsatzes wirklich abschreckt. Er müsste also seine Gegner davon überzeugen, dass er etwas tun würde, das nicht in seinem Interesse ist. Nur so würde die Abschreckung glaubhaft sein.
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