Es hat wohl kaum jemand nicht mitbekommen: Am Samstag wurde eine demokratische Kongressabgeordnete aus Arizona bei einem öffentlichen Auftritt vor einem Kaufhaus durch Schüsse schwer verletzt. Weitere 14 Personen wurden dabei zum Teil ebenfalls schwer verletzt oder getötet. Ich möchte dies zum Anlass für ein paar Gedanken zu politischer Gewalt nehmen.
Als die Nachricht sich auf Twitter, am Fernsehen und im Netz verbreitete, waren schnell auch Anschuldigungen zur Hand. Giffords, die Kongressabgeordnete die offenbar das Ziel der Attacke war, wurde von den Republikanern in den letzten Monaten heftig attackiert, weil sie unter anderem Präsdent Obamas Gesundheitsreform unterstützte. Dies obwohl sie zu den sogenannten Blue-Dogs zählt, eine Gruppe zentristischer (oder rechten, je nach Standpunkt) Demokraten. Die Vorwürfe waren in der Regel, dass Akteure wie Sarah Palin oder die Tea Party die politische Stimmung so angeheizt hätten, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen sei, bis es zu solchen Gewaltakten kommen musste.
Tatsächlich hat die Website des politischen Unterstützungskomitees von Palin gar eine Karte veröffentlicht, auf der aufgefordert wurde zu helfen die “Lösung des Problems zu verschreiben”. Das ganze war bebildert mit Distrikten im Fadenkreuz unter anderem auch jener von Giffords (siehe Bild). Die Samthandschuhe werden offensichtlich nicht im Ausgang getragen. Nun sehe ich mich in der seltsamen Position, dass ich hier Sarah Palin verteidigen muss (naja, zum Glück eigentlich nicht sie, sondern nur ein Prinzip).
Einmal davon abgesehen, dass zum Zeitpunkt als die ersten Vorwürfe laut wurden, man noch gar nichts über die Motive des Schützen wusste (ja auch hier braucht es zuerst Fakten, Watson!), die auch jetzt erst langsam sich zu einem Bild zusammensetzen, sollte man mit solchen Schuldzuweisungen äusserst vorsichtig sein. Das grosse Problem ist uns nämlich sehr wohl von anderen sozialen Phänomenen (man denke zum Beispiel an die “Killerspiele” Debatte) her bekannt: Man kann im Einzelfall kaum eine direkte Kausalität herstellen. Dies wird zusätzlich erschwert durch die extreme Seltenheit solcher Ereignisse. Vielleicht erhöht eine beständig aggressivere Rhetorik im Abstrakten die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas geschieht, aber der Täter könnte auch ohne diese in irgend einer dunklen Ecke des Internets oder am Stammtisch in der falschen Kneipe seine Inspiration geholt haben. Eine direkte Verbindung kann kaum hergestellt werden und falls doch, bleibt die Frage, warum die meisten anderen, ihre Sicherungen trotz des aggressiven Diskurs, intakt halten konnten.
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich heisse eine solche Rhetorik keinesfalls gut und halte sie für das politische Klima für sehr schädlich. Gewalt lehne ich zudem grundsätzlich ab. Ich zweifle auch nicht daran, dass Personen wie Palin ihre politische Karriere zu weiten Teilen auf der Wut anderer aufbauen. Doch muss man, so wenig man auch einverstanden ist mit deren Programm, auch bei solchen Leuten den gleichen Massstab anlegen wie bei anderen Themen.
Ebenfalls aufgefallen ist mir, wie schnell man den mutmasslichen Schützen als “geistig verstört” und als mit “psychologischen Problemen behaftet” zu beschreiben anfing. Ich habe kaum Zweifel, dass fast alle, die plötzlich wild um sich schiessen, andere Menschen in die Luft sprengen oder sonstwie mehr oder weniger spontan Zivilisten morden, irgendwelche psychologische Probleme haben müssen. Dies gilt aber konsequenterweise auch für solche, die sich einen Sprengstoffgürtel umschnallen oder Flugzeuge in Wolkenkratzer fliegen. Dort wird diese mediale Diagnose interessanterweise weniger häufig gestellt oder zumindest so mein Eindruck. Vielleicht wird bei religiösen Fanatikern die Pathologie nicht als solche wahrgenommen, weil es sich um gesellschaftlich akzeptiertere Formen von Wahn handelt (schliesslich hat auch George Bush Stimmen gehört und diese als göttlich interpretiert).
Es ist zudem so eine Sache mit politischer Gewalt. Die Definition davon verschiebt sich schnell je nach Kontext, damit eine spezifische Tat einfacher in ein Weltbild eingepasst werden kann. Grundsätzlich sind wohl fast alle diese Taten (unabhängig vom Geisteszustand des Täters) als “politisch” einzustufen. Sind die Opfer doch gerade wegen ihrer öffentlichen politischen Rolle sichtbarer und werden genau deshalb als Ziele ausgesucht. Was die Motive anbelangt handelt es sich hingegen wohl nicht um ein Schwarz oder Weiss, mit dem kalten Ideologen auf der einen Seite und dem kranken, geistesgestörten auf der anderen. Meist vermischt sich beides und es ist schwer auszumachen wie gross der jeweilige Anteil ist. Dies gilt auch beim Thema Terrorismus.
P.S.: Ich habe eine Deadline für Mitte Februar und werde darum das Bloggen und Antworten in den Kommentaren etwas zurückschrauben müssen. Es werden auch häufiger Kommentare wie dieser anzutreffen sein die kommenden Wochen, da solche weniger arbeitsintensiv sind für mich. Danach verspreche ich dem Science in der url oben wieder mehr Rechnung zu tragen.
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