Die Ereignisse in Ägypten erinnern stark an was vor ein paar Tagen in Tunesien passiert ist. Vom überraschenden Ausbruch der (bekannten) Unzufriedenheit, von den Plünderungen bis zum harten Vorgehen und langsamen Reagieren der Regierung, wirkt alles wie ein Déjà-Vu. Was auch immer passieren wird, es ist gut nicht zu vergessen: Tunesien ist nicht Ägypten.
Ich kenne Ägypten noch weniger als Tunesien. Von dem her werde ich gar nicht erst versuchen Expertentum zu beanspruchen. Ausserdem hielt ich einen Abgang von Ben Ali schon für unwahrscheinlich und zögere jetzt mich noch einmal so zu irren für Mubarak. Trotzdem bleibe ich skeptisch, dass sich die Ereignisse wiederholen werden.
Ich werde hier nur ein paar Gedanken posten und hoffe dass dies eine entsprechende Diskussion generiert. Im Grossen und Ganzen kann man den Unterschied in Bezug auf die Lageeinschätzung und die Konsequenzen eines allfälligen Abgangs von Mubarak vor allem auf einen Faktor reduzieren: Die Armee.
Ohne dass sich die tunesiche Armee auf die Seite der Protestierenden gestellt hätte, wäre Ben Ali vermutlich kaum so schnell von der Bildfläche verschwunden. Da sehe ich auch den Dreh- und Angelpunkt für Ägypten.
Die Armee ist im Verhältnis viel grösser in Ägypten, als das sie in Tunesien ist. Der Machtapparat hat sich viel mehr auf die Armee gestützt (zumindest mehr als es für die apolitische Armee in Tunesien der Fall war). Im Gegensatz zur tunesischen Armee stehen für die ägyptischen Generäle viel mehr Pfründe auf dem Spiel, da die Armee dort viel mehr vom System profitiert hat. Die Ben Ali Kleptokratie hat sich immer mehr auf den engeren Familienkreis des Ex-Präsidenten konzentriert).
Das Ägyptische Militär hat schon mehr als einmal geputscht und nicht zuletzt Mubarak kam dank dem Militär an die Macht. Er selber ist auch ein Ex-Militär (im Gegensatz zu Ben Ali, der als Ex-Innenminister näher an den Polizeikräften war). Dass der ernannte Vize-Präsident Geheimdienstchef war und Ahmed Shafik, der mit der Regierungsbildung beauftragt ist, ebenfalls ein Militär ist, ist nicht unbedeutend. Mubarak trat heute laut Medienberichten auch mit hohen Militärs an seiner Seite vor die Kameras. Das alles deutet darauf hin, dass zumindest einige Führungskräfte der Armee noch nicht das Gefühl hatten, das Schiff sei schon so am Sinken, dass sie abspringen müssten.
Sollte tatsächlich ein Schiessbefehl gegen die Demonstranten erlassen werden, dann wird sich zeigen, ob die Armee bereit ist, sich so gegen die Bevölkerung zu wenden. Im Moment scheint die Situation unklar und ich konnte mich des Eindrucks nicht verwehren, dass die Armee auf Zeit spielt und versucht, alle Optionen offen zu halten. Die widersprüchlichen Meldungen können aber auch schlicht daraus entstanden sein, dass einige Soldaten ihren Befehlen nicht nachgingen. Dann wäre es schwer daraus Rückschlüsse zu ziehen und sei es nur schon für die Offiziersebene.
Aber selbst wenn die Armee sich gegen Mubarak wenden würde, heisst das noch lange nicht, dass sie demokratische Reformen einleiten wird. Wie schon erwähnt, ist Ägypten bezüglich der Einmischung des Militärs alles andere als unbefleckt. Eine Militärregierung ist sicher wahrscheinlicher als in Tunesien (wo sie auch nicht abwegig schien). Dazu kommt, dass viele westliche Staaten von den Ereignissen völlig überrascht scheinen. Die Verlautbarungen aus dem Weissen Haus wirken ein wenig, als ob man konstant den Neuigkeiten aus Ägypten hinterher hechtet. Sehr souverän oder gar proaktiv kam man bisher nicht rüber. Der Verteidigungsminister Gates hat heute mit seinem ägyptischen Kollegen telefoniert, vermutlich etwas vom wichtigsten, das wir bisher aus Washington gehört haben.
Es ist gut möglich, dass der Westen mit einer Junta gut leben könnte. Wenn Mubarak nicht mehr tragbar ist, will man sonst jemanden, der die Autorität hat, Hauptsache, die Muslimbrüderschaft wird von der Regierung weggehalten. Allen Lippenbekenntnisse zur Demokratie zum trotz, wird man dies vermutlich als weniger beängstigend als eine echte demokratische Wahl in Ägypten empfinden. Die Muslimbrüder haben in Ägypten oft bei solchen sehr gut abgeschnitten, es weiss im Moment jedoch niemand, wie viel Unterstützung sie noch haben. Der Westen würde vermutlich lieber eine genehme Militärregierung ab und zu an ihre Pflicht zu Reformen mahnen, aber nicht viel dafür tun, statt diesbezüglich ein Risiko einzugehen. Die Wahlen stünden dann für den Sankt Nimmerleinstag an.
Die Bedeutung von Ägypten ist nicht zu unterschätzen. Ägypten ist ein wichtiger Alliierter im Nahen Osten, es spielt eine nicht unwichtige Rolle im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern (bezieht sich doch das besetzt von besetzte Gebiete teilweise auf vormals ägyptisches Territorium), es kontrolliert die Grenze zum Gaza Streifen, ist ein wichtiger Akteur in der Region, mit einer riesigen Bevölkerung und mit Kontrolle über den Suezkanal, und, und, und….
Wir beobachten weiterhin gespannt die Lage. Vielleicht werden wir gerade Zeuge von Ereignissen, die den Nahen Osten nachhaltig verändern werden. Vielleicht ist übermorgen Mubarak wieder fest im Sattel. Vielleicht.
Quellen für die Zahlen: Wikipedia Liste von Militärausgaben und Militärausrüstung. CIA Factbook. Ich weiss nicht wie vertauenswürdige diese Zahlen sind. Es ging mir in erster Linie um die Grössenverhältnisse und die sollten eigentlich mehr oder weniger korrekt sein.
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