Nachdem der UN Sicherheitsrat am Donnerstag das Schaffen einer Flugverbotszone über Libyen mit der Resolution 1973 (2011) verabschiedet hat, begann eine Gruppe von Staaten mit Luftangriffen und Marschflugkörpern in Libyen militärisch zu intervenieren. Die grosse Frage die über allem hängt ist, was sind eigentlich die konkreten Kriegsziele?
Nach den Erfahrungen im Irak und auch in Afghanistan müsste man meinen, eine der Lektionen, die man gelernt hat, ist dass militärische Überlegenheit auszuspielen der einfachere Teil einer Intervention ist. Es braucht eine politische Planung, die über den militärischen Sieg hinaus geht (nicht zuletzt deswegen hat unter anderem das Pentagon angefangen vermehrt auch Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler anzuheuern und Geld in diese Richtung fliessen zu lassen). Es stellt sich also die Frage, was man mit der jetzigen Intervention anstrebt.
Die Aussagen zu den Kriegszielen sind widersprüchlich. Dies kann sein, weil man diese schlicht nicht koordiniert (oder gar festgelegt hat), es ist aber auch möglich, dass man aus taktischen Gründen keine klaren Aussagen machen möchte (zum Beispiel, dass der Colonel sich nicht in Sicherheit wiegt). Das einige arabischen Exponenten, die eine UN Resolution befürwortet haben, nun die Luftangriffe kritisieren trägt wenig zur Klärung bei (hier ein etwas Kontext dazu im Blog von Marc Lynch aka Abuaardvark). Es bleibt also viel Raum um über die Absichten der Koalition zu spekulieren und genau das will ich hier kurz tun.
Es scheint mir als ob die Kernfrage sich auf zwei mögliche Ziele bezieht, welche jeweils weiter ausdifferenziert werden können. Auf Duck of Minerva fand sich ein schöner Post dazu unter dem Titel Libya: R2P or Regime Change? (R2P steht für Responsability to Protect, eine internationale Norm, die vielleicht am Entstehen ist. Ich habe dazu schon einmal gebloggt). Die Frage ist also geht es der Koalition darum in erster Linie Zivilisten zu schützen oder möchte man Ghadhafi von der Macht vertreiben (letzteres schliesst ersteres natürlich nicht aus, geht aber wesentlich weiter).
Das Problem mit Regime Change, also das Vertreiben von der Ghadhafi Clique von der Macht, ist dass das Konzept schwer vorbelastet ist. Bush Jr. ist genau mit diesem Schlachtruf in den Irak einmarschiert. Weder das einheimische Publikum und noch weniger die arabische Welt möchte das hören, schon gar nicht wenn es sich um eine zumindest scheinbar westliche Intervention in einem arabischen Land handelt. Man kann natürlich Regime Change denken, aber nicht laut sagen. Handelt es sich tatsächlich um ein Ziel, dann müsste man wohl auch bereit sein mit Bodentruppen zu intervenieren. Weder gibt es dazu den politischen Willen noch erlaubt dies die Resolution direkt (sie könnte aber so ausgelegt werden).
Doch auch das Ziel Zivilisten zu schützen ist nicht ganz unproblematisch. Einerseits ist da ein abstraktes Problem: Einige Vetomächte (Russland und China) und andere Sicherheitsratsmitglieder, wollen nicht, dass sich eine solche Norm etabliert. Eine explizite UN Resolution würde aber einen Schritt in diese Richtung sein (Resolution 1979 ruft zum “Schutz der Zivilbevölkerung” auf, geht also durchaus in diese Richtung). Anderseits gibt es ein ganz konkretes Problem: Wie gestaltet man die Einsatzregeln? Aus der Luft alleine und mit einer Flugverbotszone ist der Schutz der Zivilbevölkerung vor Ghadhafis Schergen kaum zu gewährleisten. Heisst das man greift nur Ziele an, die unmittelbar die Zivilbevölkerung attackieren? Beim Widerstand handelt es sich um bewaffnete Rebellen, diese tragen zwar keine Uniform sind aber keine Zivilisten. Ein Unterscheidung ist nicht immer einfach (gerade aus der Luft), aber es stellt sich vor allem die Frage, ob man Ghadhafi gegen diese vorgehen lässt. Konsequenterweise müsste man Ghadhafis Truppen diese Möglichkeit geben, ich bezweifle aber, dass man das will.
Mein Eindruck ist, es gibt kein einzelnes Kriegsziel. Es gibt viele Kriegsziele, vermutlich ähnlich viele wie Mitglieder in der Koalition, die nun gegen Ghadhafi vorgeht. Jeder Staat der dabei ist, hat sich sein eigenes Ziel gesetzt und dieses ist wohl oft auch von innenpolitischen Motiven beeinflusst. Wie konnte das passieren, mag man sich fragen. Ein Grund ist wohl, dass die Resolution wurde unter Zeitdruck der vorrückenden libyschen Truppen verfasst wurde. Ghadhafi war auf dem Weg die Kontrolle wieder an sich zu reissen. Noch wichtiger ist wohl, dass diplomatische Kompromisse oft davon leben, dass sie zentrale Fragen offen lassen, umschiffen und in verbale Watte packen. Dies ist an und für sich nicht schlecht, sondern eine Notwendigkeit um Kompromisse erreichen zu können. Das erklärt warum man sich jetzt in der NATO darüber streitet, wer die Führung übernimmt. Das erklärt auch teilweise die Deutsche Enthaltung im Sicherheitsrat. Eine solche hält die Resolution nicht auf, macht gleichzeitig Abseitsstehen und späteres Besserwissen sehr viel einfacher. Es ist ein solcher Kompromiss im Kompromiss.
Wie geht es nun weiter? Von einem Bürgerkrieg und Spaltung des Landes bis zu einer politischen Lösung ist wohl alles möglich. Man wird wohl je nach Entwicklung improvisieren (dies ist übrigens ein Vorteil von einem unklaren Kriegsziel, man setzt sich nicht so schnell fest). Der Einsatz von Bodentruppen wird vermutlich vermehrt gefordert werden, scheint zum jetzigen Zeitpunkt jedoch unwahrscheinlich. Die Rebellen sind nun auf jeden Fall gestärkt. Dies verlängert den Konflikt nun zuerst einmal. Man weiss, dass es im ganzen Land eine grosse Unzufriedenheit mit dem Regime gibt und vermutlich hofften viele Befürworter von militärischen Aktionen auf eine Wiederbelebung von diesem und auf ein schnelles Ende des Regimes. Eine hoch spekulative Exit-Strategie. Sollten die Rebellen siegreich sein, weiss man kaum was das politisch bedeutet. Weder weiss man wer sie sind, noch kennt man ihre Agenda, falls sie überhaupt eine solche haben und man weiss schon gar nicht, wer das sagen haben wird. Alles hängt nun vom weiteren Kriegsverlauf ab.
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