Gestern war ein interessanter Artikel in der New York Times über den südafrikansichen Richter Richard Goldstone der für das UN Hochkommissariat für Menschenrechte die Untersuchungskommission zum Gaza Krieg 2009 leitete. Interessant, weil er meines Erachtens gut illustriert, wie schwierig eine Diskussion über die Palästinenserfrage ist. Jede Seite ignoriert was ihr nicht passt und vereinnahmt schamlos was sich gut in ihr Weltbild einpassen lässt. Es geht primär um Bestätigung, nicht Wahrheitssuche.
Zur Erinnerung: Richard Goldstone leitete 2009 die Untersuchungskommission des UN Hochkommisariat für Menschenrechte (UNHCHR) zu den Vorgängen während der Operation Gegossenes Blei, der Militäroffensive Israels im Gazastreifen im Dezember 2008 die bis im Januar 2009 andauerte. Der südafrikanische Richter Goldstone hat schon in seinem eigenen Land einen Beitrag zur Aufarbeitung der Verbrechen des Apartheidregimes geleistet und wurde als respektierte Persönlichkeit vom UNHCHR mit der Factfinding Mission zu Gaza betraut (Goldstone ist übrigens gemäss New York Times gar selber Zionist). Das Mandat war die Untersuchung von
sämtlichen Verletzungen von völkerrechtlichen Menschenrechtsnormen und dem humanitären Völkerrecht, welche im Rahmen militärischen Operationen möglicherweise stattgefunden haben[.]
[all violations of international human rights law and international humanitarian law that might have been committed at any time in the context of the military operations]
Die Kommission befand in ihrem Schlussbericht, dass sich beide Seiten gravierenden Verletzungen des humanitären Völkerrechts zu Schulden kommen liessen. Der Bericht wurde gleich von beiden Seiten auf ihre Weise interpretiert: Israel, welches bei der Ausarbeitung des Berichts die Kooperation verweigerte, protestierte aufs Schärfste. Sein Freunde sprachen dem Bericht umgehend die nötige Neutralität ab. Diejenigen, die mit der palästinensischen Seite sympathisierten hingegen, sahen darin wieder einen unabhängigen Beweis für Israels Verletzungen des humanitären Völkerrechts als erbracht. Dabei wurde einfach ignoriert, dass der Goldstone Bericht die palästinensische Seite explizit und klar für solche Verbrechen verurteilte und gleichzeitig Israel attestierte, die Zivilbevölkerung in vielen Bereichen (wenn oft auch unzureichend) zu schützen. Einmal ist Goldstone in dieser Perspektive also eine Autorität und ein anderes mal nicht wirklich relevant.
Nun hat Goldstone am 1. April dieses Jahres in der Washington Post einen Kommentar verfasst (ich empfehle ihn zu lesen, sieht man doch gut, wie sehr Goldstone um Differenzierung bemüht ist und wie sorgfältig er seine Worte wählt), in dem er schrieb, dass hätte er “damals gewusst was man heute weiss” der Bericht vermutlich “ein anderes Dokument geworden” wäre. Natürlich stürzten sich alle echten und vermeintlichen Freunde Israels gleich auf diese Aussage. Man hätte es ja von Anfang an gewusst. Der Bericht könne nun getrost in den Papierkorb wandern. Ein Beispiel für diese Einstellung findet man hier bei den Grossmeistern der selektiven Informationsverarbeitung der Achse des Guten, wo man sofort schlussfolgerte: “Die Vorwürfe gegen Israel lassen sich demnach nicht halten.” (man zweifelt, dass Herzinger sich überhaupt die Mühe gemacht hat, den Goldstone Essay zu lesen).
Nun publizierte die New York Times gestern den schon erwähnten und lesenswerten Artikel über Goldstone. Darin wird versucht zu verstehen, wie es zu Goldstones Relativierungen kam. Das Blatt argumentiert, dass die Schlussfolgerungen für Goldstone auch ein taktisches Element enthielten, welches, da es fehlschlug, vom südafrikanischen Richter nun rückblickend bereut wird. Er hoffte anscheinend, damit Israel zur Selbstreflexion zu animieren und zurück an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Konsequenz war aber eher eine Verhärtung der Fronten. Statt Versöhnung wie in Südafrika, trieben die Pole noch weiter auseinander. Es wird auch hervorgehoben, dass Goldstone sich mit seiner Relativierung, deren genauere Erläuterung er bisher ablehnte, sich vor allem auf den gravierendsten Vorwurf des gezielten Angriffs auf die Zivilbevölkerung bezog. Im Bericht gibt es unzählige andere Vorwürfe an Israel die davon nicht tangiert sind. Es ist aber tatsächlich so, dass er diesbezüglich sein Urteil revidiert hat.
Die selektive Rezeption des Berichts aber nun auch von Goldstones Relativierung illustriert, wie sehr die Diskussion von selektiver Wahrnehmung und Spin geprägt ist. Dies sind wahrlich schlechte Voraussetzungen für ein Dialog. Noch schlimmer ist, dass damit ein primär juristische Beurteilung fast unmöglich scheint. Eine Bewertung mag noch so differenziert sein, es gibt im Moment wohl kaum Hoffnung auf eine breitere Akzeptanz. Alle werden nur sehen was sie sehen wollen. Das ist der grosse Kontrast zur Aufarbeitung der Apartheid-Ära in Südafrika und das ist und war wohl tatsächlich Teil von Goldstones Problem.
Bild: Richard Goldstone, Quelle: Wikimedia Commons
P.S.: Ich nehme erfahrungsgemäss an, dass einige Kommentare, die nun folgen werden, die These der schwierigen Diskussion wegen selektiver Wahrnehmung bestätigen werden. Sollte es so sein, möchte ich jetzt schon davor warnen, das ich nur bedingt bereit bin, darauf Energie zu verwenden. Man darf natürlich diskutieren. Vielleicht einfach ohne mich.
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