Wie in meinem letzten Eintrag zum Tod von Bin Ladens vermutet, beginnt das Gemurmel um Verschwörungen anzuschwellen. Mit derart offensichtliche Voraussagen brüsten sich aber wohl nur Astrologen. Also stellen wir uns dem fast Unvermeidlichen. Interessant ist dieses mal, dass man vielleicht die Verschwörungstheorie in ihrer Entstehung beobachten kann.
Ich mache mir keine grosse Illusionen was das Dekonstruieren von im Entstehen begriffenen Verschwörungs-Hirngespinsten betrifft. Wer sowieso schon zu glauben weiss, dass dunkle Mächte im Hintergrund die Fäden ziehen, wird sich auch von meinem Post nicht davon abbringen lassen. Ich gehe davon aus in den Kommentarzeilen wird mehr als einmal der Vorwurf fallen, dass ich einfach nicht sehen wolle und dass die “Beweise” offensichtlich wären. Wenn etwas, dass bei einer sehr gutmütigen Auslegung bestenfalls als Indizien gewertet werden könnte, als “offensichtlich” gilt, werde ich aber grundsätzlich skeptisch. Das heisst nämlich oft, dass Verschwörungstheoretiker (oder Politiker) am Werk sind.
Ich beziehe mich auf diesen Link. Es handelt sich um eine altbekannte Sammelstelle für Verschwörungstheorien und ich verlinke sie nur aus Transparenzgründen. Meine Hoffnung ist, dass vielleicht der eine oder andere diesen Eintrag zuerst findet und die vorliegenden Fakten dann wirklich abwägt und nicht nur so tut als ob.
Die Grundthese ist simpel: Osama Bin Laden starb am 16. Dezember 2001 in Pakistan. Er war aber nützlich als Projektionsfläche um alles mögliche zu rechtfertigen und darum wurde die Jagd auf ihn inszeniert. Als “Belege” hierfür wird eine lange Reihe von Zitaten angeführt. Da die Struktur der eigentlichen Argumentation nicht sehr gut herausgearbeitet ist, versuche ich hier in groben Zügen zu zeigen, warum diese nicht einmal ansatzweise zu überzeugen vermag. Wie ich hier gelernt habe, bringt es meist wenig über spezifische Dinge zu diskutieren (z.B. Experte X oder vermeintliches Faktum Z) weil man sich dabei unnötig verzettelt und das gross Bild aus den Augen verliert: Dass das ganze Gedankengebäude eigentlich total unplausibel ist. Wie auch immer ein paar Dinge die als “Fakten” dargestellt werden müssen in einen Kontext gesetzt werden.
Bin Laden war ein Dialyse-Patient und Todkrank
Das ist so in etwa das beste was der Artikel zu bieten hat (und das ist nicht viel). Wir erinnern uns vielleicht vage, dass im Zusammenhang mit dem Al-Kaida Führer immer wieder von seinem vermeintlichen Nierenleiden die Rede war. Es galt als wahrscheinlich, dass er auf ein Dialyse-Gerät angewiesen war und ging man auch bei der CIA davon aus. Das Problem ist, dass es sich um Spekulation handelte, wie bei so vielem in geheimdienstlicher Arbeit. Die Story tauchte zum ersten mal anscheinend im März des Jahres 2000 in einer AFP Meldung auf. Es gab jedoch auch Zweifel an dieser These, diese werden jedoch von den Verschwörungstheoretikern unterschlagen. So schrieb zum Beispiel die Washington Post im Jahre 2006, dass es keine Belege für ein Nierenleiden von Bin Laden gäbe. Kein Journalist der ihn interviewt hatte, hat je ein solches Gerät in seiner Nähe gesehen und behaupten er hätte gesund und kräftig gewirkt (was immer eine solche Aussage wert ist).
Das Problem ist, dass die Informationslage einerseits sehr unsicher ist und gleichzeitig viele ein Interesse an Gerüchten haben. So war zum Beispiel der pakistanische Präsident Musharraf einer der grössten Verfechter der Nieren-Problem These. Interessanterweise werden von den ach so kritisch hinterfragenden Verschwörungstheoretikern, die keiner Regierung je was glauben wollen, Leute wie der jetzige pakistanische Präsident Zadari plötzlich als Kronzeuge zitiert. Als ob dieser überhaupt keine Interessen in der Sache hätte und eine ausgezeichnete neutrale Quelle wäre. Ein weiteres Beispiel für die selektive Informationsverarbeitung von Verschwörungstheoretikern.
“Die Gerüchte über meinen Tod sind übertrieben”
Der grösste Teil der verlinkten Quellen sind solche, die zeigen, dass in den letzen Jahren Bin Ladens Tod mehrmals verkündet oder angedeutet wurde. Es sind einerseits Zeitungsberichte und anderseits Zitate von vermeintlichen und echten Experten und Regierungsvertretern. Auch hier ist die Argumentation völlig inkohärent.
Erstens, man zitiert Personen der Exekutive, die über Bin Ladens Tod spekulieren, um damit zu belegen, dass er tot ist, um zu zeigen, dass genau diese Quellen seinen Tod eigentlich verheimlichen. Schmerzt der Kopf schon? Es wird noch besser. Man zitiert gar, dass der Präsident in einer Rede von 2009 Bin Laden nicht erwähnte. Ein offensichtlicheren Beleg gibt es kaum. Um vorzutäuschen, dass er noch lebt, wird er nicht mehr erwähnt.
Zweitens werden Zitate aus Artikel gepickt, die sich fast ausschliesslich auf anonyme Quellen beziehen. Diese Information wird nicht auf ihre Glaubwürdigkeit unteresucht, sondern als Faktum aufgenommen. Skepsis scheint eine Stimmungssache zu sein bei diesen Leuten. Gerade bei einem Thema wo die Informationsdecke so dünn ist und so viele Akteure ein Interesse haben an Gerüchten, muss alles mit Vorsicht aufgenommen werden (und nicht nur die Statements der US Regierung).
Drittens, warum soll Al-Kaida selber den Tod von Bin Laden erst jetzt bestätigen? Oder warum hat Al-Kaida die letzten Jahre nie widersprochen? Vermutlich werden die erleuchteten Verschwörungsfans sagen, dass Al-Kaida nur eine Erfindung sei. Das heisst also, dass die CIA tageintagaus damit beschäftigt ist, militante Websites aufrecht zu erhalten und Bekennerschreiben zu verfassen. Das erstaunlichste ist aber, dass eine Regierung, die jetzt kaum etwas geheimhalten kann, eine solche Operation über Jahre unentdeckt weiterführt. Ach und die paar Bin Laden Videos wurden wohl auch von der CIA gedreht und dann Al-Jazeera zugespielt. Wieder ist die einfachere Annahme wohl die plausiblere.
Warum werden keine Fotos vom toten Bin Laden veröffentlicht?
Diese Frage taucht zwar (noch) nicht auf, wird aber über kurz oder lang auch im Repertoire sein. Aber wenn man darüber nachdenkt, ist dies eher ein Hinweis für das Gegenteil: Wäre es eine Inszenierung, würde man ziemlich sicher Fotos veröffentlichen. Wie schwer wäre es für die angeblich so omnipotenten Geheimdienste à la Madam Tussaud eine Wachsfigur auf eine Bare zu legen und ein paar Fotos zu schiessen? Wenn man die Welt steuern kann, sollte man das auch noch hinkriegen. Wenn schon inszenieren, dann richtig. Natürlich, wären Fotos veröffentlicht, würde sich gleich eine Horde von Pseudo-Experten im Internet darüber auslassen, dass dies offensichtlich eine Photoshoparbeit seien. Das schöne an einer Verschwörungstheorie ist: Man hat immer Recht und alles beweist immer nur den eigenen Standpunkt. Weil es eben nur Spekulationen sind und man die einfachere Erklärung eben ausblendet. Dank Fotobeweisen bezweifelt ja auch niemand, dass wir auf dem Mond waren. Und das war vor Photoshop.
Aber nehmen wir kurz an, es ist alles eine Inszenierung…
Einmal abgesehen davon, dass es unwahrscheinlich ist, so etwas wirklich geheim zu halten (man nenne mir ein Beispiel, wo nach der Öffnung der Archive, eine Operation ähnlicher Grösse erst öffentlich wurde), gibt es eine ganze Reihe von Gründen warum dies kaum Sinn machen würde. Da es sich um reine Spekulationen handelt, formuliere sie mal ganz im Stile der Verschwörungstheoretiker in Frageform: Zuerst zum Zeitpunkt: Warum jetzt und nicht näher an den nächsten Wahlen oder vor den letzten? Dann zum Ort der Inszenierung: Warum tat man es nicht in einem Gebiet, das weniger dicht besiedelt war? So waren ja viel mehr potentielle Zeugen anwesend, die der offiziellen Version widersprechen können. Eine abgelegene Höhle hätte nicht nur die US Geheimdienste besser dastehen lassen, es wäre auch wesentlich anonymer gewesen. Als nächstes gibt es Fragen zu den Statisten: Warum hinterliess man den Pakistanern Zeugen (unter anderem eine Frau von Bin Laden)? Einfach um noch mehr Leute eingeweiht zu haben und das Geheimnis unnötig unsicherer zu machen? Hätte man nicht zumindest besser behauptet, man habe alle anwesenden getötet? Last but not least stellt sich die Frage nach der Kommunikation der Inszenierung: Warum die widersprüchliche Kommunikation und Widersprüche aus der Exekutive? Wenn es geplant war, könnte man doch sicher einfach eine gute und gerade Geschichte erzählen. Es ging doch in erster Linie darum, oder?
Was mich an solchen hahnebüchenen Theorien immer wieder fasziniert, ist die selektive Wahrnehmung und Informationsverarbeitung: Die guten ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen und jeder der nicht den gleichen Filter montiert hat, dem fehlt es schlicht an gesundem Menschenverstand. Unbeirrt führt alles auf das Ziel zu, das man sich von Anfang an gesetzt hat. Man “stellt ja nur berechtigte Fragen”. Plausible Alternativen werden gar nicht erst erörtert. Wie ich im einem Kommentar zu meinem letzten Beitrag schon schrieb: Eines steht fest, an Ockhams Rasiermesser hat sich noch kein Verschwörungstheoretiker geschnitten.
Kommentare (66)