Zu meinem Eintrag gestern zu Bin Laden kamen absehbare Kommentare: Ich würde halt einfach alles glauben und es fehle mir am Willen, Dinge zu hinterfragen. Das ist aber ein Irrtum. Darum hier eine kleine Spekulation im Zusammenhang von Osama Bin Laden: Was wusste der pakistanische Geheimdienst?
Auch auf die Gefahr hin, den Verschwörungen zugeneigten mitlesenden schon im zweiten Absatz zu vertreiben, aber ich muss wohl damit anfangen, das es sehr wahrscheinlich ist, dass der ISI (Inter Service Intelligence), der pakistanische Geheimdienst also, seine Verbindungen zum islamistischen Terror hat. Die Organisation scheint Anschläge als ein probates Mittel für die Erreichung ihrer Ziele zu sehen. Auch unabhängigere Quellen sind schon zu entsprechenden Schlüssen gekommen. Nun muss man das auch ein wenig relativieren. Niemand hatte ein Problem damit als es noch gemeinsam gegen die Sowjetunion ging. Die Jihadis in Afghanistan hat man auch gemeinsam unterstützt. Der ISI hat es einfach noch nicht geschafft sich von den nun “falschen” Terroristen zu distanzieren.
Aber die Frage über die ich hier spekulieren wollte, ist eigentlich eine ganz spezifische: In den Medien wurde in den letzten Tagen generell gesagt, dass die Tatsache, dass Bin Laden vermutlich mehrere Jahre in der Garnisonenstadt Abbottabad gelebt hat, buchstäblich in direkter Nachbarschaft der pakistanischen Elite-Miltärakademie, es unmöglich macht, dass zumindest Teile des offiziellen Pakistans über den Aufenthaltsort von Bin Laden nicht informiert gewesen wären. Ich habe zumindest nirgendwo gesehen, dass dieses Argument in einem seriösen Medium in Frage gestellt wurde.
Mich überzeugt das nicht so ganz. Man könnte durchaus argumentieren, dass dies vielleicht das beste Versteck überhaupt war. Ein Fall von was man auf Englisch hiding in plain sight nennt (so in etwa: Sich im vollen Blickfeld verstecken). Alle haben ihn im Grenzgebiet zu Afghanistan vermutet. Nicht dort zu sein, war daher bestimmt nicht das dümmste. Nur weil in Abbottabad so viel Militär anwesend ist, heisst das doch nicht zwangsläufig, dass eine Auffliegen unvermeidlich ist. Es heisst zwar, dass in der Stadt häufiger Kontrolle durchgeführt würden als anderswo, aber Bin Laden hat das Haus wohl kaum verlassen. Alles was es braucht, ist ein paar wenige Gehilfen, die den Behörden unbekannt sind und einen Namen, der als Besitzer des Gutes auftritt. Ich sehe nicht, wie dies schneller Auffliegen soll, wenn das Versteck 1 Kilometer von einer Militärakademie entfernt ist.
Bei 880’000 Einwohnern ist es unwahrscheinlich, dass man wirklich kontrollieren kann, wer alles dort lebt. Sein Haus war auch nicht die Villa oder die Festung als die sie manchmal dargestellt wurde. Ich nehme an, hohe Mauern und Stacheldraht sind nicht ungewöhnlich. Auch die Pläne (sollten sie denn echt sein) weisen nicht auf etwas sehr extravagantes hin.
Das überzeugendste Argument bisher habe ich heute in der New York Times gefunden: Anscheinend gibt es einen Sicherheitskordon um die Stadt. Den musste Bin Laden irgendwie passieren. Aber das ist nur einmal ein Problem. In einem Land mit endemischer Korruption sicherlich nicht unvorstellbar.
In meinen Augen ist die Frage aber nicht, ob der ISI etwas wusste, sonder wie hoch rauf in der Hierarchie man Informationen hatte. Da lohnt es sich über Motive nachzudenken. Den grössten Vorteil, den Pakistan von einem freien Bin Laden hatte, war wohl, so lange die Jagd am Laufen war, als Alliierter unentbehrlich zu sein. Aber Pakistan ist auch sonst strategisch von Bedeutung, alleine schon wegen seiner geographischen Lage. Bin Laden war zudem auch eine Hypothek. Das Verhältnis war und ist immer wieder gespannt zwischen den USA und Pakistan. Warum also nicht Osama ans Messer liefern und sich einen grossen Preis dafür aushandeln (zum Beispiel eine Anerkennung als Nuklearmacht)? Daher habe ich eher eine Tendenz zu vermuten, dass man in den obersten Schichten der Hierarchie vermutlich nicht wusste wo Bin Laden sitzt.
Warum erhöhen die USA nun plötzlich Druck auf Pakistan? Selbst wenn ich falsch liege, muss man trotzdem vermuten, dass Überraschung über eine ISI Involvierung vermutlich geheuchelt ist. Es ist aber eine gute Gelegenheit zu insistieren, wo man bisher auf taube Ohren stiess.
Das ist aber alles viel Spekulation. Was meinen andere?
Update: Im New Yorker Magzine war ein interessanter Artikel der einige der erörterten Fragen diskutiert. Er liefert einen guten historischen Rückblick auf die strategische Kooperation zwischen USA und Pakistan. Der Autor meint, dass das Nicht-Finden von Bin Laden für den ISI lukrativ genug war, um ihn zu decken.
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