Es ist im Moment einfach, klare Meinung zu erhalten, ob die USA Bin Laden hätten töten dürfen. Lauter Experten sind mit absoluten Urteilen schnell zur Hand. Jeder findet irgendwo einen Link, der bestätigt, dass die Aktion wahlweise legal respektive illegal war. Im von all diesen “Experten” verursachten Nebel, verliert man aber in so mancher Diskussion den Durchblick um was es eigentlich geht.
Ich gebe es offen zu: Ich habe nicht das juristische Fachwissen um mit Sicherheit die (fehlende) Gesetzeskonformität von Bin Ladens Tötung zu bestätigen. Bei dem ganzen Lärm im Moment, habe aber den Eindruck, dass eine solche Erkenntnis schon ein guter Ausgangspunkt ist, um die Umrisse einer möglichen juristischen Beurteilung zu skizzieren. Mir scheint es, schon daran scheitert es bei vielen. Mitlesende Juristen sind gerne dazu eingeladen in den Kommentaren die Sache im Detail mit mehr Sachkenntnis zu erörtern, zu ergänzen und falls notwendig korrigierend einzugreifen (dies ist hingegen keine Einladung an die eingangs erwähnten Besserwisser vom Dienst).
Zuerst wäre da eine wichtige Unterscheidung von nationalem Recht und Völkerrecht vorzunehmen. Was das pakistanische Recht dazu sagt, kann ich nicht einmal ansatzweise beurteilen. Ich habe einen starken Verdacht, dass man nicht einfach in ein Haus marschieren kann um jemanden umzubringen, zumindest wenn man nicht ein pakistanischer Vertreter des Staates ist, aber das muss jetzt einmal offen bleiben.
Dann stellt sich die Frage nach dem US Recht. Zu einem gewissen Ausmass betrifft das natürlich auch völkerrechtliche Verpflichtungen, aber dazu kommen wir später. Die USA können auf eine relative lange Tradition von politischen Tötungen zurückblicken. Solche waren vor allem während dem kalten Krieg im hart umkämpften US “Hinterhof” Lateinamerika häufig. Sie waren auch schon damals in den USA stark umstritten. Mit einem exekutiven Dekret (Executive Order 12333) sollte dieser Praxis ein Riegel vorgeschoben werden. Da heisst es unter Punkt 2.11 klipp und klar zu Geheimdienst Aktivitäten:
Prohibition on Assassination. No person employed by or acting on behalf of the United States Government shall engage in, or conspire to engage in, assassination.
Nun ist jedoch umstritten inwiefern dies auf diese Situation anwendbar ist. Man hat auch regelmässig Angriffe mit unbemannten Drohnen gegen vermutete Al-Kaida Kader geflogen in jüngster Zeit. Der Friedensnobelpreisträger Obama hat die Zahl solcher Angriffe drastisch erhöht (was er im Wahlkampf übrigens auch immer gesagt hat, dass er es tun würde). Die US Regierung argumentiert, dass sie sich in einem Kriegszustand mit Al-Kaida befindet und daher das Executive Order 12333 nicht anwendbar sein. Einige halten dagegen, dass selbst wenn dies zutrifft, würde dies jedoch nur für Afghanistan gelten und nicht für Jemen oder Pakistan.
Dann wären da völkerrechtliche Fragen (wo ich mich ein Bisschen kompetenter fühle als im US Recht). Wiederum muss eine Unterscheidung vorgenommen werden: Da wäre einerseits die Aktion der US Spezialeinheit auf pakistanischem Territorium und die Frage der Verletzung der territorialen Souveränität von Pakistan. Grundsätzlich darf das US Militär natürlich ohne Erlaubnis von Pakistan auf deren Territorium nichts unternehmen wenn wir von ein paar (meist umstrittenen) Spezialfällen absehen. Ob eine solche Erlaubnis im Allgemeinen oder im Speziellen erteilt wurde, weiss man nicht. Gegen Pakistan spricht in diesem Fall, dass es meines Wissens keinerlei offizielle Proteste gegen die Aktion und die Verletzung der territorialen Integrität gegeben hat (vielleicht habe ich sie aber auch einfach verpasst). Die USA würden da bestimmt eine Art Anti-Terror-Gewohnheitsrecht für sich in Anspruch nehmen.
Nun aber zur eigentlichen Kernfrage: Die Tötung von Bin Laden. Alles hängt da von den genauen Umständen ab. Diese sind unklar und werden vielleicht nie ganz geklärt sein. Wäre er als krimineller verfolgt gewesen, würden wohl gewisse Regeln gelten, die auch bei der Polizeiarbeit anzuwenden sind. Das angemessene Gewalt nur in gewissen Fällen und unter bestimmten Umständen legitim ist, solange sie proportional zum zu erreichenden Ziel bleibt. Aber eben, diese Umstände kennen wir nicht, wir wissen einzig, dass Bin Laden vermutlich unbewaffnet war.
Die USA behaupten nun jedoch, dass sie sich mit Al-Kaida im Krieg befinden. Akzeptiert man diese Prämisse, sieht die Sache etwas anders aus. Dann gilt das humanitäre Völkerrecht. Feindliche Kämpfer sind grundsätzlich einmal zum Abschuss freigegeben. Eine Frage also wäre, ob Bin Laden dann als Zivilist oder aber als Angehöriger feindlicher Streitkräfte zu gelten hätte. Ist er ein Kämpfer der feindlichen Truppen, gibt es meines Wissens keine Verpflichtung ihm die Möglichkeit zur Kapitulation zu geben. Die einzige Verpflichtung ist, falls er klar signalisiert, dass er kapituliert, dann muss ihm dies gewährt werden. Trotzdem können aber auch noch andere militärische Ziele angestrebt werden und er könnte nach wie vor zum legalen Kollateralschaden einer solchen werden. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass bei der Erstürmung, die nicht einmal 40 Minuten gedauert haben soll, Bin Laden kaum Zeit hatte, klar eine Kapitulation zu Erkennen zu geben, selbst wenn er es gewollt hätte. Dass Soldaten einfach abgeknallt werden dürfen, mag etwas irritieren, aber es handelt sich halt um Kriegsrecht und man hat wohl in der Öffentlichkeit wegen den in jüngster Zeit vom Westen geführten Kriege, eine etwas klinischere Vorstellung entwickelt, als der grausigen Realität von bewaffneten Konflikten entspricht.
Etwas anderes erscheint mir aber noch betonenswert: Dieser Eintrag war bis jetzt keine moralische Einschätzung. Es geht rein um eine juristische. Zu oft werden diese beiden Diskussionen vermischt. Nicht alles, das legal ist, ist aber auch moralisch gerechtfertigt und bestimmt gilt das umgekehrte. Genau da möchte ich einhaken. Ich bin der Meinung, dass ein Rechtsstaat eben versuchen muss, mit rechtsstaatlichen Mitteln gegen jene vorzugehen, die in aushebeln wollen. Wenn er dies nicht tut riskiert er, seinen Gegnern recht zu geben. Ganz zu schweigen von den allfälligen Präzedenzfällen, die er damit schafft. Was wenn zum Beispiel der Iran seine Leute in den USA auf die Jagd nach Personen sendet, die von der Regierung als “Terroristen” betrachtet werden (eine Idee die gar nicht so abwegige Idee übrigens).
Die Stärke eines Rechtsstaates zeigt sich in meinen Augen insbesondere dann, wenn er selbst entgegen dem Volksgefühl, auch denen, die es am wenigsten verdienen und keine Sympathien geniessen, die gleiche Behandlung zukommen lässt, wie allen anderen Subjekten auch. Wenn die Rechte von Terroristen, Mördern und Sexualstraftäter ebenso geschützt werden, wie jene von unbescholtenen Bürgern. Das ist emotional vielleicht sehr schwierig zu akzeptieren aber genau darum ist es für den Rechtsstaat von zentraler Bedeutung. Justizia muss blind bleiben.
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