Vor rund einer Woche hat Georg einen Eintrag bei Primaklima in Bezug auf diesen Artikel in der Süddeutschen Zeitung gepostet. Die im Artikel vertretene These war, dass Nuklearenergie “totalitärer Strom” sei und in Demokratien keine Zukunft hätte. Das verlangt geradezu nach Überprüfung.
Sehen wir einmal davon ab, dass üblicherweise ein Unterschied gemacht wird, zwischen totalitär und autoritär (ein Titel hat schliesslich knackig zu sein). Der Autor wohl eher an autoritäre Regime gedacht. Die Grundthese ist, obwohl nie explizit so formuliert, dass der Widerstand in der Bevölkerung gegen Nukleartechnologie gross ist und wächst. In einer Demokratie wird das schneller zu effektiver Politik, da sie ein effizienterer Übertragungsriemen sein sollte. Dieser Hypothese liegen einige Annahmen zu Grunde, die einzeln ebenfalls diskutiert werden müssten (z.B. wie direkt wird der Wille der Bevölkerung umgesetzt, Präsenz einer Pro-Atom Lobby, andere politische heisse Themen, welche die Atomstrom-Frage überlagern, etc). Wir nehmen diese aber für gesetzt, sind sie doch auch nicht unüblich in der Politikwissenschaften.
Es gibt für die internationalen Beziehungen eine Art Standard-Datensatz zu Grad der Demokratisierung: Polity IV enthält für jedes Jahr bis zurück ins Jahr 1800 eine Codierung zum Demokratisierungsgrades. Es gibt einen Demokratie-Wert zwischen 0 und 10 (10 ist “am demokratisten”) und einen Autokratie-Wert von 0 bis -10. Die Summe der beiden ergibt dann eine Einschätzung, die durch den Polity Score repräsentiert wird (von -10 bis 10).
Mit diesem Datensatz im Hinterkopf, war es natürlich schwer, der Versuchung zu widerstehen, Georgs halbernsten “empirischen Test” mit einem kleinen Bisschen mehr Ernsthaftigkeit zu verfolgen. Dazu habe ich bei der Weltbank die Daten für zwei weitere Variablen geholt: Der Prozentsatz der Energieproduktion eines Landes, der nuklear ist und den Nuklearoutput eines Landes in kWh für jedes Land. Die Daten reichen von 1960 – 2009.
Hier also das Resultat für die relative Zahl (d.h.Prozentsatz des nuklearen Outputs an der Gesamtproduktion):
Die erhöhten Werte bei -7 sind vor allem Staaten östlich des Eisernen Vorhangs für die Jahre 1960 bis 1991. Vielleicht zeigt uns der Output in kWh etwas anderes:
In beiden Fällen scheint das Vorzeichen eher umgekehrt zu sein als behauptet: Demokratische Staaten haben eine Tendenz sich auf die Nuklearenergie zu stützen. Schaut man sich die Autokratie und Demokratie Variablen einzeln an, sieht man, dass die Korrelation zwischen Nuklearproduktion und Autokratie klar negativ und mit Demokratie klar positiv ist (übrigens beide statistisch signifikant für p < 0.01). Es gilt aber auch zu beachten, dass es sehr viele Länder gibt, die gar keine Nuklearproduktion haben und eine entsprechende Regressionslinie in den beiden Grafiken oben deshalb ziemlich flach ausfällt. Sie wird von den vielen "Nullen" nach unten gezogen wird. Es ist wohl wahrscheinlicher, dass das Nutzen von Atomstrom mehr etwas mit wirtschaftlicher Entwicklung zu tun hat, als mit dem Demokratisierungsgrad (diese korreliert ebenfalls gut mit der Demokratie-Variabel). Die These des SZ Autors scheint auf jeden Fall kaum haltbar. Nun kann man argumentieren, dies sei der Blick zurück. Der Autor schreibt aber von der Zukunft und dass Nuklearenergie in Demokratien keine solche hätte. Da mag er recht haben, aber in diesem Fall ist seine Argumentation ebenso inkorrekt wie die Widerlegung davon. Ist doch sein bester Beweis für seine These die behauptete Auffälligkeit, “dass vor allem in Ländern gebaut wird, die Diktaturen sind oder nur Scheindemokratien” (genannt werden Russland und China). Der Autor kann kaum wissen, was das Regime in China oder Russland in dreissig Jahren sein wird und es ist wohl schwer dazu Aussagen zu machen. Man hat im Nahen Osten in den letzten Monaten gesehen, wie schnell der Wind drehen kann. Sein Argument stützt sich eindeutig auf die aktuelle Regierungsform in diesen Ländern. Da sprechen die Daten aber eine relative klare Sprache.
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