Nach dem Anschlag von Oslo hat das grosse Fingerzeigen und die Suche nach möglichen Schuldigen begonnen. Es ist durchaus wünschenswert eine Diskussion über allfällige Mitverantwortung zu führen zu versuchen, die Situation zu analysieren um vielleicht ähnliches in Zukunft vermeiden. Jedoch sollte man einen einheitlichen Standard verwenden.
Es stellt sich nun heraus, dass der Mann, der ziemlich sicher für die Anschläge verantwortlich ist, ein rechtsradikaler Islamhasser war, ein Christ, der alles was nicht seiner nationalistischen Vorstellungen entsprach als multikulturalistischen Marxismus abtat (wann wurde Multikulturalismus eigentlich zu Schimpfwort?). Um so zu reagieren wie in der Vergangenheit könnte man zum Beispiel:
- Seiten wie Politically Incorrect überwachen, vielleicht sogar einige Blogs und Foren schliessen.
- Nordische Typen an Flughäfen etwas genauer untersuchen (und auf jeden Fall mit mit Skepsis beobachten, wenn sie ein Kreuz um den Hals tragen).
- Bei jedem versuchten Bombenanschlag wollen wir eine klare und deutliche Distanzierung hören von Parteien und Organisationen wie der Schweizerischen Volkspartei, dem Front National, der Tea Party und der English Defense League. Ist dies nicht der Fall (oder wird diese Entschuldigung medial nicht verbreitete) stehen sie im Verdacht den Anschlag eigentlich gutzuheissen.
- Man sollte sich spezielle Verwahrungsmethoden ausdenken für Rechtsextreme für die die Beweislast für eine Verurteilung nicht ausreicht, wir aber verdächtigen, dass sie der Gesellschaft gefährlich werden könnten. Das existierende Rechtssystem reicht nicht aus um uns vor ihnen zu schützen.
- Da der mutmassliche Täter heute noch von weiteren Zellen gesprochen hat, sollte er mit “verbesserten Verhörmethoden” befragt werden (“enhanced interrogation techniques” auch bekannt als Folter). Es könnte ein klassischer Fall einer “tickenden Zeitbombe” sein.
Gerade die Islamophoben, mit oder ohne unterschwelligen Überlegenheitsgefühlen, werden nun aufschreien “sicher nicht, das ist was ganz anderes” (viele von ihnen würden sowieso bestreiten islamophob zu sein). Für einmal bin ich mit ihnen einig. Andere werden eine gewisse Bestätigung verspüren, schmunzeln und die Satire natürlich verstehen.
Klar sind die Vorschläge einem demokratischen Staat nicht würdig. Klar und zum Glück wird nichts solches implementiert werden. Jene, die aber solches schon verlangt haben, müssen sich fragen, was denn dieses Mal anders ist. Aber bevor wir, die dies vielleicht schon lange vertreten haben, uns nun mit dem “ich habe es ja schon immer gesagt” zufrieden geben, müssen wir akzeptieren, dass diese Konsequenz nun auch von uns verlangt wird. Man darf nun nicht einfach auf die gegen den Islam hetzende Rechte zeigen und sie direkt für die Taten eines Mannes verantwortlich machen, der seine Taten mit ihren Ideen rechtfertigte.
Wer nicht zur Gewalt aufruft kann nicht direkt für diese verantwortlich gemacht werde. Wenn sich die Hetzer in Europa von der Schweizerischen Volkspartei bis zum Front National nun ihre Hände in Unschuld waschen wollen, um so weiter zu machen wie bisher, muss ich sie jedoch enttäuschen. Erstens müssen sie nämlich auch damit leben, dass dies zum Beispiel für islamistische Prediger gilt, die gegen die Ungläubigen wettern (wie gesagt, eine Ausnahme sind für mich direkte Aufrufe zur Gewalt). So wenig ihnen (und mir) das auch gefällt was diese sagen. Genau so muss ich nämlich auch ihren Diskurs tolerieren, der bei mir ähnliche Übelkeit auslöst.
Zweitens findet dieser “Freispruch” mit einem weiteren Vorbehalt statt: Nur weil es keine direkte Verantwortung gibt, heisst das nicht, dass alles durchgeht. Die oft systematisch betriebene Dehumanisierung und Ausgrenzung schafft ein Klima, welches solche Täter in ihren wirren Weltsichten bestätigt und legitimiert. Dafür müssen diese Organisationen geradestehen. Sie müssen und sollen zwar das Recht haben ihren ausgrenzenden Diskurs zu führen, sie müssen aber auch mit den Konsequenzen konfrontiert werden und dem Klima, das sie damit schaffen. Verbieten soll und kann man es nicht. Sie sollen dafür kritisiert werden und sich rechtfertigen müssen. Aus einem ähnlichen Grund kritisiere ich übrigens regelmässig Religion im Zusammenhang mit Terrorismus. Es ist nicht das Christentum oder der Islam der direkt dafür verantwortlich gemacht werden kann. Es muss sich aber jeder die Frage gefallen lassen, inwiefern zum Beispiel durch Ausgrenzung oder einem absoluten Wahrheitsanspruch ein Umfeld errichtet wird, das gewisse Menschen in ihren Ansichten legitimiert und bestätigt.
Ein ähnliches Phänomen der Inkonsistenz ist die Psychologisierung des Täters. Wann wurde beim letzten Mal bei einem islamistisch motivierten Attentäter seine Jugendfreunde interviewet, seine Familienverhältnisse analysiert und ein Psychologe nach dem anderen interviewt? Man fragt sich nicht, wie konnte es bei X oder Y soweit kommen (meist kennen wir nicht einmal ihre Namen), da sie zu einer gesichtslosen Gruppe gehören und die Motive sind uns zum vornherein klar. Der Mensch ist da sekundär, das Gespenst des Islams ist schuld.
Doch: um sich und andere in die Luft zu sprengen oder um auf andere Menschen zu schiessen muss man doch definitionsgemäss aus der Norm fallen? Die für alle geltende Frage ist bestenfalls inwiefern diese Taten tatsächlich als Krankheit zu klassifizieren sind. Wenn die sozialen Umstände für einen rechtsradikalen islamhassenden Christen relevant sind, müssen sie auch für den “allahu akbar” schreienden Islamisten angeführt werden (oder aber alternativ in keinem der beiden Fälle). Einmal das Motiv einfach vorauszusetzen und im anderen zu pathologisieren ist ein Doppelstandard.
Tatsache ist, es braucht eine ganz kleine Gruppe von Spinnern (oder gar nur einen) um immensen Schaden und Leid anzurichten. Was diese nun genau motiviert ist hier gar nicht Diskussionsgegenstand. Es geht aber darum, dass zwei verschiedene Ansätze verfolgt werden und diese Taten nicht dazu dienen sollen, Rückschlüsse auf ganze Gruppen zu ziehen. Die Zweiteilung ist nur möglich, weil uns ein Typ näher ist. Differenzierung wird in einem solchen Fall einfacher und ist natürlicher. Die Anschläge vom Wochenende können da als Ausgangspunkt für mehr Selbstreflektion in der Zukunft dienen. Doch das ist wohl naiv. Besucht man zum Beispiel heute die Website der SVP springt einem ein Stiefel ins Gesicht. Werbung für eine ihrer Anti-Ausländer Initiativen.
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