Ein kurzer Gedanke zu den Revolutionen im Nahen Osten: In Tunesien hat es begonnen, dann kam Ägypten. Wie Dominosteine schien ein arabischer autoritärer Herrscher nach dem anderen zu fallen. Die Aufmerksamkeit in den westlichen Medien hat nachgelassen, trotzdem protestieren viele ihr Leben riskierend weiter. Ich bin überzeugt im sogenannten arabischen Frühling steckt die Chance auf ein “Rebranding” für die arabische Welt.
Es gibt Klischees die sich in westlichen Gesellschaften hartnäckig halten, regelmässig neu aufgelegt werden und nahtlos in leicht abgeänderter Form neue Projektionen zulassen. Ein sehr diverser Kulturraum wird in einen grossen Topf geworfen und ein paar liebgewordene Vorurteile werden beigegeben. Gut umrühren und schon kann man damit Überheblichkeit und Kriege rechtfertigen. Eine romantisierte Karikatur existierte schon im 18 Jahrhundert. Der Orient galt als ein Ort der Leidenschaft (und die Faszination mit dem Harem war ein nicht unwichtiger Teil davon), welche gleichzeitig ein Gegenstück zur europäischen Vernunft darstellte. Repräsentiert wird dies zum Beispiel durch die Geschichten von Tausend und einer Nacht, einige davon, eigentlich von einem Franzosen erfunden (und ironischerweise mittlerweile re-importiert). Das Bild vom von Leidenschaft getriebenen Araber konnte immer wieder neu verwendet werden: Die Attribute der fehlenden Selbstbeherrschung, ein in Traditionen verhafteter Konservativismus, autoritär, grausam, oft von Rachedurst und Blutrünstigkeit getriebenen und gleichzeitig kindlich unterwürfigen Arabers, waren nicht nur nützlich um einen Sultan zu denunzieren, sondern konnten auch herangezogen werden um Kolonialreiche zu rechtfertigen, den palästinensischen (und wie oft vergessen wird, säkularen) Terrorismus der 70er Jahre einzuordnen oder jetzt den religiösen Fanatismus der Islamisten mit Leichtigkeit zu “erklären”. Die Behauptung, dass der Islam an und für sich nicht kompatibel mit Demokratie sei oder dass das die arabische Welt an und für sich wissenschaftlich Rückständig sei und in mittelalterlicher Dunkelheit verharre, basieren auf diesen alten Klischees.1
Durch die Proteste die wir seit Anfangs Jahr in Nordafrika und dem Nahen Osten beobachten konnten, scheint sich nun kurzfristig ein Fenster zu öffnen, welches eine fundamentale Verschiebung dieser Wahrnehmung mit sich bringen könnte. Es sind sehr viele junge Menschen, die auf die Strasse gingen. Moderne Kommunikationsmittel haben die Proteste, wenn vielleicht auch nicht ausgelöst, dann verstärkt: Man sprach von “Twitter” und “Facebook Revolutionen”. Die Aufstände schienen von unten zu kommen und nicht vom Westen orchestriert zu sein, richteten sie sich doch gegen jene autoritären Herrscher, die oft vom Westen unterstützt wurden. Die Menschen auf der Strasse verlangten demokratische Reformen und die säkular organisierten Proteste waren über weite Strecken friedlich (Gewalt wird und wurde typischerweise von den Machthabern ausgeübt).
Die Aufmerksamkeit scheint jedoch leider nach zu lassen und das Fenster sich zu schliessen, die Revolutionen in Gewalt und Repression zu ersticken. Der beste Weg für eine nachhaltige Veränderung wäre wahrscheinlich, wenn zumindest Tunesien und Ägypten erfolgreich stabile demokratische Reformen durchführen könnten (im ersten Fall habe ich immer noch viel Hoffnung, der zweite macht mir mehr und mehr Sorgen diesbezüglich). Dies würde nicht nur eine Aussenwirkung in Richtung Westen haben, sondern auch wichtig für die arabische Selbstwahrnehmung sein. Demokratie tritt als Basisbewegung auf und nicht als westlicher Import, ein Aufstand gegen die autoritären Vaterfiguren. Reformen würden so ein wichtiges Signal für andere arabische Staaten sein. Vielleicht wäre eine solche Entwicklung auch die beste Chance auf eine Lösung für den Konflikt um die Palästinenser. Darum müssen wir die Revolutionen im Auge behalten und dürfen nicht vergessen, wie wir vor den Bildschirmen klebten als Ben Ali vertrieben wurde und als Mubarak seine Reden hielt. Diese Revolutionen gehen weiter und täglich protestieren nach wie vor viele Menschen mutig gegen dies Unterdrückung. Sie dürfen nicht wegen unseren Aufmerksamkeitsdefizit in Vergessenheit geraten.
1Ich mache in diesem Zusammenhang bewusst keine klare Trennung zwischen Islam und Arabischer Kultur weil die sich im Klischee eben auch vermischt. Es ist mir bewusst, dass es sich um zwei unterschiedliche Konzepte handelt.
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