Chatzimarkakis wurde des Plagiats überführt und seine Doktortitel wurde ihm aberkannt. Aber wie steht es eigentlich um die fachliche Beurteilung und hätte man es merken müssen, dass bei der Hälfte der Arbeit abgeschrieben wurde? Da er seine Arbeit in Internationalen Beziehungen schrieb und noch dazu die Welthabdelsorganisation darin eine prominente Rolle einnimmt, habe ich sie mir einmal genauer angeschaut.
Ich habe noch nie eine solche Arbeit auf Deutsch gelesen und nur sehr wenige Dissertationen. Direkt vergleichen kann ich also nicht. Es ist auch gut möglich, dass es kulturelle Unterschiede gibt, kenne ich doch mehr die angelsächsische und französische Ausprägungen des Fachs. Trotzdem traue ich mir zu die Dissertation zumindest fachlich beurteilen zu können.
Um es gleich zu Anfang zu sagen: Das Lesen der Arbeit war wie das Schwimmen in Molasse und ich habe mich nur mit viel Einsatz durch die 200 Seiten quälen können. Ich empfand sie mehrheitlich uninteressant. Nun weiss ich natürlich, dass bei Arbeiten zu Freihandelsabkommen (mein Thema) die Leute meist auch nicht aus Freude auf- und abspringen und dass es da eine beträchtliche Anzahl von Artikeln gibt, die trocken sind wie ein Glas Sahara-Sand. Trotz dieser Abhärtung habe ich mich gelangweilt. Dies hatte ein Grund: Die ganze Arbeit ist gespickt mit Buzzwörtern und häufig eine Übung im Phrasen dreschen. Das Internationale Beziehungs Äquivalent zu einem dieser Bonmots-durchsetzten Business-Elbisch Bücher. Es ist das Genre des wenig spezifischen UN Berichts, der nichts sagt und vermutlich vor allem der eigenen Legitimation dient. Irgendwas im Stile von “Information Technologies – Challenges in a Globalized World” oder “The Future of the Internet – The World Wide Web in an Interdependent World” (ich habe beide Titel erfunden, aber es würde mich nicht erstaunen, wenn solche Berichte existierten).
Bei Chatzimarkakis Arbeit wartet man Seite für Seite dass der Autor endlich zu Sache kommt, dass die Schaumstoffkügelchen in der Schachtel endlich das eigentlich Objekt freigeben. Vergebens. Chatzimarkakis gibt ganz früh als Zielsetzung folgendes an
Diese Arbeit wird von der Fragestellung geleitet, wie ein Gleichgewichtsmodell auf der Basis internationaler Kooperation im Bereich des Elektronischen Geschäftsverkehrs aussehen könnte. (Chatzimarkakis p.9)
Soweit so gut. Darauf könnte man aufbauen. Aber dann erklärt er uns über Seiten, wie man Globalisierung definieren könnte, es gibt ein Kapitel zur “Entwicklung der Kommunkationstechnologien”, ja er ist sich nicht zu Schade die Zeit der Leserinnen und Leser mit einem sich über 34 Seiten erstreckendes Kapitel zu “Theorien der Internationalen Beziehungen” zu verschwenden. Das ist als ob eine Dissertation in Physik zu einem Sechstel aus historischen Erklärungen der Entdeckungen von Newton, Einstein und Co. bestünde, ohne dass dies direkt relevant wäre. Aber auch wenn es dann auf Seite 155 endlich zur Sache gehen sollte (“Ziel dieses Kapitels ist es, den ordnungspolitischen Rahmen für den elektronischen Geschäftsverkehr in einer Form abzustecken, daß er vom Regime des Informationellen Globalismus als Basis genutzt werden könnte.”) bleibt es bei Allgemeinplätzen. Nicht einmal nach der Lektüre des Kapitels in dem das “Modell” dann endlich vorgestellt werden sollte, hatte ich das Gefühl eine genauere Vorstellung zu haben, was denn hier “modelliert” wurde. Selbst die Schlussfolgerungen klingen stellenweise als ob sie beim Turing-Test durchfallen würden (nein, ich bin mir auch nach wiederholter Lektüre nicht sicher was das heissen soll):
Das zuvor theoretisch beschriebene Modell des Informationellen Globalismus basiert auf der Regimetheorie erweitert um das Paradigma von “Global Governance”. Das Regime umfaßt Elemente des internationalen Public-Privat-Partnership in Form von Politiknetzwerken. Das neoliberale Paradigma wird insofern um einige wenige Elemente des globalistischen Paradigmas ergänzt. Dies erklärt sich nahezu von selbst, enthält doch der EGV per se gobalistische Elemente: Er ist turbulent, delinear und beschleunigt verschiedene Globalisierungsprozesse. Im Mittelpunkt des Regimes steht jedoch das neoliberale Kernelement der Kooperation. (Chatzimarkakis p. 190).
Was natürlich ebenfalls interessiert ist, hätten die Plagiate bemerkt werden müssen? Ich glaube es wäre mir nicht aufgefallen, dass der Text stilistisch grosse Variationen aufzeigt. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass er nicht wirklich flüssig lesbar ist und man in der ständigen Hoffnung auf Substanz in eine schnelle diagonale Leseweise übergeht. Das einzige was mich als Begutachter skeptisch gemacht hätte sind die Fussnoten. Sie sind sehr regelmässig verteilt, immer 2-4 pro Seite, immer ähnliche Autoren und keine sehr grosse Diversität. Es sieht fast so aus als ob jemand dein Eindruck erwecken möchte wissenschaftlich zu arbeiten und nicht wie die Fussnoten wirklich einen praktischen Zweck erfüllen. Am Rande sei auch bemerkt, dass vor allem deutschsprachige Autoren zitiert werden, was in meinem Fach eher seltsam ist, da doch wer gelesen werden will auf Englisch publiziert und darum die wichtigen Artikel auf Englisch erscheinen. Chatzimarkakis’ schlechte Ausrede eine vermutlich nur in seinem Kopf existierende “Oxford” oder “Harvard Zitierweise” verwendet zu haben, entlarvt er übrigens selber. Es gibt mehre Stellen wo Zitate korrekt gekennzeichnet sind, eingezogen, kursivtext und referenziert.
Etwas anderes, das aufgefallen ist, ist die schon fast lächerliche Menge an Aufzählungszeichen. Streckenweise meint man eine Power Point Präsentation zu lesen. Dies scheint mir so exzessiv auch eher seltsam für ein Text der über mehrere Jahren entstanden worden sein soll und viel Kopfarbeit drin stecken sollte. Ich habe auch fast keine von Chatzimarkakis selbst verfasste Tabelle in der Dissertation gefunden (da deklariert er klar, dass die Tabellen nicht von ihm stammen). Deswegen und aufgrund des Schreibstils und den Aufzählungen kann ich mir vorstellen, dass einiges aus Berichten spezialisierter Agenturen abgekupfert wurde. Ich weiss nicht ob VroniPlag solche gefunden hat oder Plagiatssoftware solche überhaupt detektiert.
Eigentlich hatte ich die Absicht hier tatsächlich den Inhalt der Dissertation von Chatzimarkakis zu diskutieren. Dies erwies sich als nicht möglich da kaum etwas drin steht, dass nicht zu platt ist, um eine Diskussion zu verdienen. Ich verstehe, dass nicht jede Dissertation der grosse Wurf sein kann und mit Originalität glänzen kann oder muss. Man kann ja durchaus Ideen von existierende Text zusammenführen und etwas neues daraus zu machen. Wie bei einem guten Blended Scotch kann das Resultat sogar besser sein als seine Einzelteile und etwas neues bieten. Aber auch an diesem Massstab gemessen, scheitert die hier besprochene Arbeit. Man hat den Eindruck, dass jemand eine thematische Idee hatte (“Informationeller Globalismus”) und nicht an der Entwicklung und Ausarbeitung dieser Idee gearbeitet hat, sondern damit versuchte 200 Seiten zu füllen. Mit dem was wir inzwischen wissen, passt das eigentlich auch.
Mehr zum Thema Plagiate wie immer natürlich auch auf De Plagio.
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