Immer wieder nehme ich mir vor, mehr auch über Fachartikel zu bloggen. Nun wäre es wieder einmal soweit. Die Überschrift ist nicht in etwa ein einleitender Scherz zu einem ironischen Text, sondern eine Besprechung eines in Political Theory erschienen Artikels.
Der Artikel (Sovereignty and the UFO, Political Theory, 36 (4), 607-633) ist leider wohl ohne Ironie geschrieben worden. Er reiht sich ziemlich sicher nicht in die erheiternde Reihe von Artikeln ein, welche die Internationalen Beziehungen von Mittelerde diskutieren oder uns auf die kommende Zombieapokalypse vorzubereiten versuchen. Sollte ich mit dieser Einschätzung dem Autor unrecht tun, tut es mir leid und ich entschuldige mich für den fehlenden Humor. Ich habe aber viel eher den Eindruck, dass der Autor sich von der pseudowissenschaftlich arbeitenden UFO Szene hat einlullen lassen. Es handelt sich auch nicht um irgendwen, sondern um Alexander Wendt, ein bekannter Name der konstruktivistischen Denkschule der Internationalen Beziehungen, der ihn zusammen mit Raymond Duvall verfasst hat.
Beginnen wir doch mit der Grundthese des Artikels: Wendt und Duvall argumentieren, dass das Konzept von staatlicher Souveränität im Grunde anthropozentrisch ist (und dies sei eigentlich ein metaphysisches Konzept). Das Konzept ermögliche Staaten Ressourcen und Loyalität zu extrahieren. Das Prinzip der Souveränität hätte aber auch seine Grenzen und diese werden zum Beispiel beim Umgang mit Unidentified Flying Objects (UFOs) deutlich. Soweit so gut. Bis hierher finde ich die Fragestellung eigentlich ein spannendes Gedankenexperiment. Souveränität ist tatsächlich sehr anthropozentrisch und es wäre interessant, wie man dies im Falle vom Auftauchen von Nicht-Homo-Sapiens damit umgehen würde. Dann kommen wir aber zum Teil der These, wo ich mit den Argumenten der Autoren reichlich wenig anfangen kann. Sie argumentieren es gäbe ein UFO Tabu. Nach dem Prinzip “Was nicht sein kann, das nicht sein darf” würde eine ernsthafte Untersuchung von UFO Sichtungen unterdrückt, weil dies die anthropozentrische Souveränität bedrohe. Man lege vor jeglicher Untersuchung fest, dass das Phänomen von UFOs nicht verstanden werden könne. Niemand würde sich deshalb seriös mit dem Phänomen auseinandersetzen.
Um fair zu bleiben, möchte ich festhalten, dass man Wendt und Duvall nicht einfach in eine UFO Crank Schublade stecken kann. Sie sind vorsichtig genug zu betonen, dass es sich eben um nicht-identifizierte Flugobjekte handelt und dass es durchaus viele simpel erklärbare Fälle gibt. Er betont wiederholt, dass er keinerlei Aussagen machen kann, um was es sich bei den ungeklärten Fällen handelt und dass er dies auch nicht möchte. Es ginge ihm nur darum, dass dies unvoreingenommen untersucht werden könne. Dies ist an und für sich ein redlicher Standpunkt. Diesen strikten UFO-Agnostizismus kaufe ich ihm aber nicht ab.
Er schreibt nämlich detailliert über nur eine einzige Hypothese, die eines ausserirdischen Ursprungs (Extraterrestrial Hypothesis, ETH). Er disktutiert zuerst die ETH im Lichte von vorhandenen physikalischen Belegen oder vielleicht in diesem Zusammenhang besser Indizien (er schreibt von Evidence) und von Augenzeugenberichten. Er behauptet, dass die “empirischen Belege alleine” eine Zurückweisung der ETH “nicht rechtfertigen würde.” Man bemerkt schon, dass sie sich etwas verbiegen müssen, weil sie keine brauchbaren positiven Belege anzuführen haben. Räumen sie doch ein, dass es nur “indirekte physikalische Beweise” gäbe und Augenzeugenberichte mit Vorsicht aufzunehmen seien (letzteres relativiert er vor allem durch die schiere Masse, ich werde darauf zurückkommen). Dann diskutieren die Autoren im Detail die Wahrscheinlichkeit von ausserirdischem Leben, dessen theoretische Möglichkeit uns zu erreichen und die plausibelsten Arten von Kontaktaufnahme. Plötzlich wird der Eindruck vermittelt, dass alles nur auf die ETH als Erklärung hinauslaufen kann.
Da sitzen sie meines Erachtens der unsauberen Logik der UFO (im Sinne von Raumschiff) gläubigen Gemeinde auf. Es mag sein, dass es einige Phänomene gibt, die sich um unidentifizierte Flugobjekte drehen. Hinweise auf einen ausserirdischen Ursprung gibt es aber meines Wissens keine (zumindest listet er sicher keine auf). Von irdischem Ursprungs, über unbekannten Wetterphänomene bis zu (wenn man spinnen möchte) einer Art Postkarte aus einer anderen Dimension wäre alles möglich, ist man wirklich offen. Aber die ETH scheint für sie der einzige denkbare Pfad zu sein.
Für die Behauptung, es gäbe keine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen, bleiben sie einen Beleg jedoch schuldig. Wie bei Verschwörungstheorien, Alternativmedizin und Esoterik, ist es ein undefinierter Standard, der nicht erreicht ist und “mehr Abklärungen sind nötig.” Die Frage ist aber, wann ist es genug? Im Grunde verlangen diese Leute eine Unmöglichkeit: Den Beweis der Nichtexistenz. Solange sich die meisten Vorfälle einfach erklären lassen und keine handfesten neue Belege in Richtung ETH auftauchen, ist dies eine Ressourcenverschwendung. Würden solche Hinweise gefunden werden, bin ich mir sicher, dass entsprechende Untersuchungen gemacht würden. Hey, wer möchte schon nicht mit E.T. telefonieren? Man hat vielleicht auch noch nicht genug abgeklärt ob es nicht doch Einhörner, den Yeti und natürlich Garagendrachen gibt.
Die Fallstudie, die exemplarisch für das Problem sein soll, ist die sogenannte belgische UFO Welle. Sie ist tatsächlich eine gute Illustration. Eine gute Illustration für das Ausblenden möglicher alternative Hypothesen. Es handelt sich um eine Serie von Sichtungen zwischen November 1989 und April 1990 in Brüssel, die ihren Höhepunkt ende März erreichte. Zu den Sichtungen von tausenden von Menschen kamen NATO Radardaten und Photos (siehe Bild Rechts, welches von den Ufologen während Jahren als emblematisches Beweisphoto benutzt wurde, diese Jahr aber als Fälschung entlarvt werden konnte).
Die Phänomene wurden nicht nur von der NATO untersucht (welche nur ausschloss, was es nicht war). Eine Gruppe, die sich Société belge d’étude des phénomènes spatiaux (SOBEPS) nennt und sich einen wissenschaftliche Anstrich gab, hat ein Buch dazu vorgelegt. Stützt man sich nur auf diese Quellen, könnte man vielleicht den Eindruck erhalten, dass damals nur offene Fragen zurückgeblieben sind. Offene Fragen, gemischt mit selektiver Wahrnehmung und eine Überwertung menschlicher kognitiver Fähigkeiten ist die Nährlösung, auf der der grösste Unsinn gedeiht. Es gibt nämlich durchaus plausible alternative Erklärungen (zum Beispiel hier oder hier).
Nun gab es aber Sichtungen von buchstäblich tausenenden von Menschen. Können die alle irren? Auch wenn dies den Blutdruck von UFO Jägern in die Höhe schnellen lassen wird, ja, sie können. Massenpsychosen sind gut dokumentiert. Es wäre auch nicht die erste belgische Massenpsychose. Erinnert ihr euch noch an die “verseuchte” Cola (Dioxins, Coca-Cola, and mass sociogenic illness in Belgium, The Lancet, 354 (9172))?
Die zeitliche Abfolge der “UFO Welle” lässt ein solches Massenphänomen als durchaus plausible Option stehen. Ausser natürlich man will etwas anderes finden. Spätestens bei Sätzen im SOBEPS Buch wie
Die Schlussfolgerung welche sich logisch aufzwingt ist, dass JEDE ANDERE HYPOTHESE ALS JENE VON UFOs ZU PRAKTISCH 100% AUSGESCHLOSSEN WERDEN KANN [Betonung im Original]
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