Vielleicht haben es einige Leserinnen und Leser schon irgendwo gesehen: Die US Bundespolizei hat anscheinend Ausbildungsmaterial benutzt, welches von einer islamophobischen Website wie Politisch Inkorrekt stammen könnte. Ich beziehe mich damit auf die inhaltliche Stossrichtung und den geschätzten IQ des Verfassers.
Gemäss Medienberichten versuchte man den Agenten beizubringen, dass auch der durchschnittliche gläubige Muslim in der Regel mit Terrorismus sympathisiere und dass die verankerte Praxis des Spendens nur ein Vehikel der Terrorfinanzierung sei. Dazu gibt es auch vier Zusammenschnitte von entsprechenden Folien: Die Frage der Militanz, Strategische Themen und Antriebsmechanism im islamischen Recht, Die doktrinale Basis für den Dschihad und zwei wunderschöne Diagramme.
Diese Diagramme vermitteln zwar kaum brauchbares Wissen über den Islam (das eigentliche Studienobjekt), aber sie verraten sehr viel wie der Verfasser tickt. Hier gleich einmal die beiden Diagramme in ihrer ganzen pseudowissenschaftlichen Schönheit:
Warum auch forschen, mühsam Daten zusammentragen, kreative Wege suchen um soziale Phänomene fassbar zu machen und dies in seitenlangen Coding-Anhängen erklären? Es geht doch soviel einfacher: Man kann sich die ganze Information schliesslich auch einfach aus dem Allerwertesten ziehen. Was für Zahnpasta-Werbung gut ist, kann für einen Ausbilder von Beamten der Bundespolizei doch nicht schlecht sein? Ein weiterer grosser Vorteil dieser Methode, nebst der grossen Zeitersparnis, ist dass man mit keinerlei Störungen durch die Realität rechnen muss und die Resultate immer genau dem entsprechen, was man will.
Wo fängt man bei einem solchen gigantischen Haufen Mist überhaupt mit einer Kritik an? Vielleicht beginne ich mit zwei Punkten, die von Andrew Gelman (bei dem ich zuerst die Grafik fand) schon vorgebracht wurden:
- Die Lücke von zwölf Jahren zwischen 610 und 622 nach Christus entspricht in etwa den 1400 Jahren zuvor. Aber hey, dafür ergeben die frei erfundenen Linien dann eine Gerade!
- Die gläubigen und frommen Christen und Juden sind kontinuierlich weniger gewalttätig geworden. Ich vermute der Autor hat hier sein Bauchgefühl bezüglich was als pious und devout zu gelten hat, irgendwie gemittelt und sichergestellt, dass seine Fantasiezahlen nicht durch Leute wie Baruch Kopel Goldstein oder Joseph Kony verzerrt werden und dann hat er diese Wert auf der inexistenten Skala nach gutdünken situiert. Das Resultat lässt sich sehen.
Aber die beiden Grafiken werfen noch viel mehr interessante Fragen auf. Hier ein paar spontane Einwände, aber ich bin mir sicher, wir können in den Kommentarspalten noch viele weitere diskutieren:
- Das Spektrum auf der y-Achse von gewalttätig zu nicht-gewalttätig: Wie definiert man sowas? Offensichtlich beginnen alle Religionen mit einer Art extrem hoher Sockelgewaltätigkeit und dies unabhängig von ihrem Gründungsjahr (ob das die Scientologen wissen?).
- Die originelle Zeitachse würde auf eine regelmässige Verteilung ausgestreckt, das Judentum zu einen ziemlichen Langsamstarter machen, was den Marsch in Richtung Friedfertigkeit betrifft. Ob das wohl beabsichtigt ist?
- Natürlich würde es mich interessieren wie genau pious und devout definiert wird. Schliesslich ist das offensichtlich die Grundlage für seine “Daten”. Ich habe ihn da im Verdacht, eher zirkulären Definitionen anzuhängen.
- Besonders beachtenswert ist, wie die beiden Linien für das Judentum und das Christentum zusammenlaufen. Erstens heisst das wohl, dass das Judentum beständig gewalttätiger war als das Christentum. Man bedenke die Implikationen: Dies galt offensichtlich zum Beispiel auch für die Zeit des Alhambra-Edikts oder des Holocausts. Zweitens scheint die beiden eine geheimnisvolle Kraft zusammenzuführen, während die Muslime seit Mohameds Flucht nach Medina (Hidschra) den genau gleichen Level an Gewaltätigkeit halten konnten. Vom goldenen Zeitalter, trotz Schisma, Kreuzzuüge, Mongolen und Expansion nach Asien, eine schöne, klare, flache Linie.
- Ganz Allgemein ist die Geradheit der Linien beeindruckend. Kreuzzüge, Inquisition, die Depopulation Lateinamerikas gingen an der Christenlinie ebenso spurlos vorbei, wie die hellenistische Periode, Diaspora und diverse Einfälle von Aussen offensichtlich absolut keinen Reflektion in der Torah Linie fand. Das ist doch auch verständlich. Geht doch nur darum den Trend aufzuzeigen! Den Trend den man dafür gerade zuvor erfunden hat.
Die Vorstellung, dass irgend ein Scharlatan Geld kassiert um in einem vollen Seminarraum mit FBI Beamten diese Schrott an die Wand zu projizieren finde ich schon skandalös. Aber dass der nicht nach der ersten Vorstellung mit einem Tritt in den Hintern in hohem Bogen rausflog, das ist das wirklich schockierende. Haben die irgendetwas, das einer Qualitätskontrolle ähnelt? Oder merkte tatsächlich niemand irgendwas, (vielleicht weil es einfach zuviele Vorurteile bestätigte)?
Gefunden via Statistical Modeling, Causal Inference, and Social Science.
UPDATE I: Gemäss dem von roel verlinkten Artikel der New York Times ist der Urheber der Folie wie ich mir eigenltich wünschte “nach der ersten Vorstellung mit einem Tritt in den Hintern in hohem Bogen rausflogen” (meine Worte). Es stellt sich also nur die Frage, was ihn qualifizierte überhaupt eingeladen zu werden. Einige scheinen irgendwann also durchaus mitgedacht zu haben.
UPDATE II: Inzwischen ist ein Video (siehe unten, habe es mir noch nicht angeschaut) aufgetaucht, dass den Herren bei einem weiteren Vortrag zeigt (immerhin keine Ausbildung von Beamten). Das FBI ist in seinem Dementi auch zurückgekrebst und gesteht ein, dass der Hampelmann bis “August 2011” für das Bureau gearbeitet habe.
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