Man konnte es in den letzten Tagen unmöglich verpassen: Von Seiten der Palästinenser wurde ein Antrag auf UN Mitgliedschaft eingereicht. Die Hektik war überall zu spüren. Man merkte: Diplomaten huschen schneller durch die Korridore, rote Telefone klingelten öfters als üblich und Kompromisse wurden von allen Seiten auf runde Tische gelegt. Warum eigentlich der ganze Lärm?
Der Antrag auf Vollmitgliedschaft muss vom Sicherheitsrat genehmigt werden (dieser Entscheid wurde gestern vertagt). Dort gibt es fünf Mitglieder die mit einem Nein eine solchen Entscheid blockieren können. Eines davon ist die USA und es besteht kein Zweifel, dass sie ein Veto einlegen werden. Selbst wenn die Obama Administration eine Zustimmung oder Enthaltung aussenpolitisch als opportun betrachten würde, wäre es ein Jahr vor den Wahlen ein innenpolitisches Desaster. Die Kosten eines Vetos sind hingegen relativ gering. Vor allem diverse arabische Staaten werden etwas verärgert sein und auf deren Strassen das Image der US einen weiteren Kratzer erleiden aber dies wird kaum zu grossen Veränderungen führen (und vergleichsweise harmlos sein). Die Palästinenser können dann ihren Antrag an die UN Vollversammlung weiterziehen. Diese stimmt traditionell palästinenserfreundlich. Mehr als ein Beobachterstatus (die sogenannte Vatikan-Option) liegt aber dort nicht drin.
Eine solcher Status könnte vielleicht moralischer Sieg betrachtet werden aber konkret wird dies kaum etwas an der Situation vor Ort ändern. Obama und Netanyahu haben vermutlich Recht wenn sie sagen, dass ein vollberechtiger Palästinener-Staat nur am Verhandlungstisch entstehen kann. Sollten die Palästinenser so eine Form von Anerkennung als allfälliger Staat erhalten, können sie damit bestenfalls kosmetisch ihre Ausgangsposition für Verhandlungen verbessern. Sie zwingen andere Staaten zudem dazu, sich zu positionieren, etwas das vor allem die USA im Sicherheitsrat lieber nicht machen würden. Zu guter Letzt helfen sie Abbas vermutlich zu Hause Rückhalt zu gewinnen (etwas das wohl durchaus im Interesse von Israel und den USA ist, sind sie den wirklich an einer Verhandlungslösung interessiert). Die ganze Aufregung muss man daher etwas relativieren. Wer warum dafür und dagegen ist, ist zwar nachvollziehbar, konkrete Veränderungen werden aus der Aktion kaum resultieren.
Es ist nicht einmal so, dass die involvierten Parteien den Palästinensern das Recht auf einen eigenen Staat absprechen würden. Die USA, die EU, Russland, die Vereinten Nationen (das sogenannte Nahost-Quartett), ja auch Israel, alle befürworten inzwischen eine Zwei-Staaten-Lösung. Die eigentlich Fragen drehen sich im Moment um das wie und wann von Verhandlungen. Auch die Eckpfeiler solcher Verhandlungen haben sich in den letzten Jahren und seit dem Abkommen von Oslo eigentlich schon ziemlich weit abgezeichnet. Die territoriale Lösung wird wohl auf der Basis der Grenzen von 1967 sein. Von diesen ausgehend würde dann ein Landabtausch ausgehandelt, der es Israel erlauben würde einige seiner Siedlungen ins eigene Staatsgebiet zu übernehmen und es wohl dazu zwingen würde, andere zu räumen. Die grosse Kröte die Israel schlucken müsste ist dass Jerusalem nicht die “ungeteilte Haupstadt” sein kann sonder irgend eine Übereinkunft zur Teilung gefunden werden muss. Die Palästinenser hingegen müssen irgendwie damit klarkommen dass die Lösung für das Flüchtlingsproblem nicht eine Rückkehr für alle Flüchtlinge auf israelisches Staatsgebiet sein wird sondern bestenfalls nur ein kleines Kontingent dieses Privileg haben wird. Die meisten Beobachter gehen von diesen Punkten als Grundprinzipien aus (ähnliches hat sich auch schon bei der sogenannten Genfer Initiative abgezeichnet). Trotzdem gibt es natürlich noch viele Details die offen sind und es bleibt Raum für kreative Lösungen (vielleicht sogar betreffend einer dieser “Eckpfeiler”).
Nun stellt sich natürlich die Frage, wenn Verhandlungen schon so vorgespurt sind, warum nicht verhandelt wird. Ich befürchte das grösste Problem sind die asymmetrische Anreizstrukturen im Moment. Beide beteiligten Parteien wünschen sich wohl im Prinzip eine friedliche Lösung. Was gäbe es auch für Gründe gegen eine friedliche Lösung zu sein. Die Frage ist was sind die Alternativen und was sind die jeweiligen Kosten die mit diesen, respektive einer Verhandlungslösung verbunden sind. Für die Palästinenser sind Verhandlungen gemäss den soeben umrissenen Prinzipien die zu einem eigenen Staat führen würden wohl die attraktivste Option. Alle anderen Alternativen versetzen sie in grössere Abhängigkeit von Israel. Für Israel hingegen ist es weniger klar ob die Kosten der Alternative tatsächlich jene einer Verhandlungslösung übersteigen. Einerseits sitzt man durch die haushoch überlegene militärische und ökonomische Macht am längeren Hebel. Man kann viele Regeln einfach diktieren wenn man will. Man muss gleichzeitig innenpolitsch (und dies gilt besonders für eine Koalition von der Mitte nach Rechts) mehrere Gruppen ruhig stellen können. Im Moment geniesst man die Unterstützung der USA, den grössten und stärksten Allierten “auf dem Markt”. Solange man den Siedlungsbau fortsetzen kann, spielt die Zeit Israel in die Hände, da Fakten geschaffen werden können, die später am Verhandlungstisch nützlich sein werden um eine besseres Resultat zu erzielen. Selbst Diskussionen über einen Siedlungsstop als Vorbedingung von Verhandlungen sind so gesehen ein willkommener Zeitgewinn. Da diese politische “Kostenstruktur” für Israel wesentlich ausgewogener ist, muss man davon ausgehen, dass Israel sich nur auf Verhandlungen einlässt, die entsprechend grossen (innenpolitischen) Gewinn bringen. Ob ein solches Resultat noch genug Überschneidungen mit dem Maximum dass die Palästinenser zu geben bereit sind zulässt ist natürlich die grosse Frage. Zumindest im Moment habe ich Zweifel.
Gibt es einen Ausweg aus diesem Dilemma? Folgt man der soeben gemachten Argumentation, müsste sich mindestens einer dieser Parameter ändern. Zum Beispiel hätten die USA vermutlich die Fähigkeit, Israels Anreizstruktur so zu ändern, dass es zu aussichtsreichen Verhandlungen führt. Eine andere Hoffnung wäre, dass der arabische Frühling wirklich zu demokratischen Reformen führt (dies gilt vor allem für Ägypten) und die politischen Realitäten in der Region so geändert werden, dass sich Israel ein grösseres Interesse darin sieht, bald zu einer Verhandlungslösung zu gelangen. Beides wird kaum Morgen geschehen.
Anmerkung: Da ich mit Einträgen zum Nahen Osten und speziell dieser Frage hier schlechte Erfahrungen gemacht habe, offeriere ich hier eine kleine Leseanleitung für Trolle, Hetzer und Pöbler: Dieser Post ist nicht normativ. Ich mache eine Auslegeordnung und spekuliere über die Präferenzen der Akteure. Über diese Auslegeordnung und Präferenzen diskutiere ich gerne. Eine Diskussion über eure Meinung über mich hingegen wird hier nicht stattfinden. Wenn ihr Vokale in eurem Kommentar vermisst, habt ihr diese Grenze überschritten. Wenn ihr darüber jammert ebenfalls. Wer etwas anderes in diesem Post liest, als meinen Versuch einer wertfreien Analyse darf ihn gerne nochmals lesen. Wer es dann immer noch nicht einsehen möchte, soll es einfach für sich behalten. Es ist sein Problem.
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