Sozsagen als sonntäglicher Kulturpost wollte ich eine Frage zu euren Lesegewohnheiten stellen.

Der Anstoss dazu lieferte ein Eintrag heute von Mittwitterer Dierk Haasis (@Evo2Me) wo er darüber sinniert, wie ein Kindle seine Lesegwohnheiten geändert (und verzettelt) hat. Offensichtlich hat er vor allem auch viele Klassiker auf sein Gerät geladen.

Da kommt bei mir ein bisschen Neid auf. Ich bin sicher kein Schnellleser und es gibt viele klassischen Werke die meine “noch zu lesen” Liste immer länger werden lassen aber zu denen ich nie komme. Ganz allgemein würde ich gerne mehr Literatur geniessen aber irgendwie komme ich nicht dazu.

Ein Grund dafür war bisher die Fachliteratur. Viel Zeit verbringe ich mit dem Lesen sozialwissenschaftlicher Artikel. Zum Glück hat mein elektronischer Helfer mich wenigstens von dem gigantischen Papierstapel befreit den ich immer mit mir rumtrug. Man weiss ja nie, vielleicht hat man plötzlich Zeit und dann muss man schon so 10 Artikel auf Vorrat haben (die dann natürlich immer ungelesen wieder zurückgeschleppt wurden).

Der zweite Schuldige ist das Internet. Ich verbringe einen grossen Teil des Tages vor dem Bildschirm und natürlich online. Als bekennender Newsjunkie lese ich relativ viel en passant im Netz. Twitter ist ein fantastischer Newsaggregator. Ich habe jetzt auch angefangen via goole plus täglich ein kleines Best Of meiner Internetlektüre zu posten (und es jeweils auch via Twitter und Facebook zu verlinken. Hier die heutige Ausgabe.). Nach drei Tagen solcher Zusammenfassungen wir mir bewusst, dass da auch einiges zusammenkommt.

Drittens stapeln sich bei mir Sachbücher (immerhin fachfremde). Ich habe oft das Gefühl zuerst diesen Stapel abbauen zu “müssen” bevor ich mich Romanen widme (inzwischen lese ich meist irgendwas dünnes parallel).

Nun aber zur eigentlichen Frage: Da ich sowieso nicht die Hälfte der Dinge zu lesen schaffe, die ich gerne lesen möchte, bin ich kein Wiederleser. Es kommt praktisch nie vor, dass ich ein Buch ein zweites Mal lese. Nun habe ich heute ein interessantes Interview mit einer Literaturwissenschaftlerin auf NPR gehört, die ein flammendes Plädoyer für das Nochmals-Lesen gehalten hat. Sie schätzt meinen Ansatz als eine Art Checklistenmentalität ein (“das muss ich noch lesen”) und hat sich dafür stark gemacht, dass es doch um das Vergnügen gehen sollte (“niemand verteil Noten für die Lektüre“). Da ich sowieso nie alles lesen werde das ich noch lesen möchte, hat sie mich fast überzeugt. In der besagten Radiosendung wurde dann schnell klar, dass es offensichtliche grosse Meinungsverschiedenheiten betreffend der Zweitlektüre gibt. Da hier auch viele mitlesen, die vermutlich auch in Fachliteratur ertrinken möchte ich die Frage hier stellen: Wie ist es bei euch mit dem Zweit- und Drittlesen der selben Bücher?

Kommentare (14)

  1. #1 Dierk
    Oktober 2, 2011

    Die große Menge an Klassikern auf meinem Kindle – und vor allem englischer und amerikanischer – hängt natürlich auch mit dem Preis zusammen. Dieselbe Menge aktueller Werke wäre mit meinen bescheidenen Mitteln gar nicht machbar. Viele der Werke*, die ich mir gleich nach Kauf des Lesegeräts zulegte, habe ich schon mindestens einmal gelesen, teils in der Schule oder Uni, teils einfach aus Spaß. Mit Ausnahme Shakespeares kannte ich bisher keines Autors Oeuvre komplett.

    Du siehst, wieder lesen ist wesentlicher Anstoß für mich gewesen; außerdem wollte ich in einigen Fällen endlich mal die Möglichkeit haben, ALLES zu lesen. Ob ich das je schaffe, weiß ich nicht, da ich wie du viel im Internet lese, von aktueller Politik über gesellschaftliche Entwicklungen, diverse wissenschaftliche Artikel … Man muss halt auf dem Laufenden bleiben**. Wie ich geschrieben habe, bieten sich mir jetzt ganz andere Möglichkeiten, die Bücher wirklich zu lesen – ein paar Jahre habe ich ja noch vor mir.

    Ich sehe auch Filme mehrfach, sofern sie lohnenswert sind. 2-stellige viewings sind keine Seltenheit, der eine oder andere Film wurde sogar schon mehr als hundertmal gesehen. Und ich entdecke immer wieder was Neues, einfach, weil die eigenen Ansichten und Erlebnisse, das eigene Wissen, sich verändern. Wer ein literarisches Werk nur einmal zu sich nimmt, übersieht zwangsläufig viel, z.B. weil er sich auf den Plot konzentriert [oder von ihm umfangen wird].

    *Liste in den Kommentaren zum oben verlinkten Artikel.
    **Ich verdiene Geld ja u.a. mit Werbetexten. Meiner Ansicht nach gehört ein breites Wissen dazu.

  2. #2 Odysseus
    Oktober 2, 2011

    Bis jetzt habe ich mich auch meistens an das “Muss ich noch lesen” gehalten, aber wenn ich drüber nachdenke, sehe ich ein, dass das Mehrfachlesen sinnvoll sein kann. Ob ich dazu übergehen werde? Bei “leichter” Lektüre (ich denke da z.B. an Homo Faber oder alles von Juli Zeh) glaube ich nicht, dass ich aus der zweiten Lesung viel mitnehmen würde, da bin ich neugieriger auf das, was noch ungelesen im Regal steht. Schwerere Kost gäbe da schon mehr her, man kann Ulysses vermutlich fünfmal lesen und immer noch etwas Neues entdecken — aber kann ich mich dazu aufraffen? Irgendwann vielleicht, aber bis dahin arbeite ich lieber weiter meine Pendenzenliste der Weltliteratur ab.

    Am Ende ist es wohl ohnehin Geschmackssache: Manche machen jeden Sommer Urlaub an der Nordsee, manche versuchen alle Kontinente zu bereisen. Solange man damit glücklich wird, warum auch nicht.

  3. #3 rolak
    Oktober 2, 2011

    Nun, mit ‘den Neuen’, den Texten ohne Papier habe ich mich noch nicht so richtig angefreundet, es liest sich (ohne das bisher noch nicht gefundene angenehme, passende, spezielle Lesegerät [+edit, notes]) einfach nicht so gemütlich. Doch es wird notwendig werden, ob nun für ansonsten regalsprengende Klassikersammlungen oder z.B. für alte SciFi-Hefte, die es nicht sinnvoll zu erstehen gibt außer in Form eines pdf(OCR(scan(Original))), meist Liebhaber-Arbeit — und die haben dann auch noch alle den Vorteil der eleganten Durchsuchbarkeit.

    Doch bei ‘den Alten’ gönne ich mir ab&zu, fast ist es Belohnung zu nennen, das Wiederlesen eines liebgewonnenen Stücks oder Werkes, ja ich greife sogar zum evtl ansteckenden Mittel des Vorlesens 😉

    Ansonsten lese ich ständig mehrere Bücher gleichzeitig, typischerweise 2 Belletristik (Arbeitspausen, Bett+Bahn) und am Rechner (der in diesem Fall Arbeitsmappe und Nachschlagewerk ersetzt) zwischen den anderen Tätigkeiten ein Sachbuch. Doch diese Sortierung ist nicht in Stein gemeißelt, es hängt alles von der Neugier – und auch ein wenig von der eher zufälligen Sortierung des Bucheingangsstapels ab.
    (verlinkt sind die Aktuellen)

  4. #4 MartinB
    Oktober 2, 2011

    Zweitlesen? Drittlesen? Beim Herrn der Ringe bringe ich es bestimmt auf 15 mal, bei Pride&Prejudice dürfte die Zahl auch nicht viel kleiner sein, Bücher, die ich vier oder fünfmal gelesen habe, gibt’s vermutlich Dutzende.
    Gerade Fachbücher (Feynman z.B.) kann man auch immer wieder lesen und entdeckt immer wieder was Neues, ähnliches gilt z.B. auch für Bücher wie “Zen und die Kunst, ein Motorrad zu warten”.
    Die Bücher bleiben zwar gleich, aber ich ja nicht.
    Und na klar, immer diverse Bücher gleichzeitig, mit unterschiedlichem Niveau und Thema, damit man immer was passendes findet.

  5. #5 Maitol
    Oktober 2, 2011

    Es gibt ein Haufen Bücher die ich zweimal, eine Menge die ich dreimal und einige die ich >dreimal gelesen habe. Dabei ist es völlig egal ob Fachbücher, Romane oder Comics. Bei einigen war das mehrfachlesen allerdings eher dem “jetzt will ich es wissen ob ich ich das Buch noch bis zum Ende schaffe” , Der Herr der Ringe oder KRieg und Frieden sind solche Beispiele. Andere lese ich einfach mehrfach weil es Spaß macht sie zu lesen, zu vergessen wo man ist und wann man ist. Naja und einige habe schlicht erst beim nochmaligen lesen verstanden.
    Auch ist es immer wieder schön beim mehrfachen Lesen auf neue Zusammenhänge zu stoßen oder plötzlich diesen “Achso, Aha, jezt hats geklingelt” – Effekt zu haben.
    Ich lese eher jetzt habe ich Bock auf dieses Buch und jetzt auf Jenes. Dabei kann es schonmal passieren das 3,4 Bücher “gleichzeitig” gelesen werden.

  6. #6 GiantPanda
    Oktober 2, 2011

    Ganze Bücher mehrfachlesen mache ich eher selten (bis auf die Lieblingsbücher). Aber jedes Mal, wenn ich vor dem Regal stehe, fange ich an, irgendwas quer zu lesen, bestimmte Stellen zu suchen… ach das hab ich ja auch noch… und das dauert dann gerne länger.

    In die meisten Bücher habe ich auch mehrmals reingeschaut: Wenn nach dem 1. Mal klar ist, daß ich es nicht nochmal anfasse, dann wird das Buch gleich verkauft / verschenkt / in einem öffentlichen Bücherschrank abgestellt. (Kommt aber nicht sehr oft vor.)

    Mehrere Sachen gleichzeitig… auf alle Fälle! (Nachttisch, Wohnzimmer, Bad, Bus). Leider relativ wenig Weltliteratur. Außer Fachliteratur überwiegend was zum Erholen (Science Fiction, Fantasy, Krimis).

  7. #7 MJ
    Oktober 2, 2011

    Ein Buch zwei Mal lesen? Nie – aber die ersten 50 Seiten lesen, verzweifelt aufgeben, ein paar Monate verstreichen lassen, wieder die ersten 50 Seiten lesen, wieder aufgeben, usw.: das kenne ich. “Der Mann ohne Eigenschaften” und “Les Misérables” stehen dabei ganz oben auf meiner Lister von Büchern, deren erste 50 Seiten ich ganz hervorragend kenne.

  8. #8 Markus
    Oktober 2, 2011

    Sehr interessanter Thread, werde hier nochmal reinschauen die Tage. Ich habe mich in der Beschreibung deiner/Ihrer Lesegewohnheiten sofort selbst erkannt; leider habe ich es bisher nur bei ganz wenigen Klassikern geschafft, sie ein zweites Mal zu lesen und dann in der Regel auch nur auszugsweise. Romane lese ich nur auf dem… – too much information.

  9. #9 Jürgen Schönstein
    Oktober 3, 2011

    Moby Dick habe ich etwa ein halbes Dutzend Mal gelesen. Selbst Krimis – allen voran Raymond Chandler und James Lee Burke – und andere “Suspense”-Literatur sind für mehr als eine Lektüre gut. Und ja, natürlich, praktisch alles von Kurt Vonnegut. Mach’ ich seit Kinder- und Jugendtagen so – was mir gefällt, ist auch beim zweiten (dritten, vierten …) Mal noch gut. Ich hör’ ja auch Musik-Alben (sagt man das noch so? Oder hat iTunes auch diesen Begriff gekillt?) häufiger als einmal.

    Einzige Ausnahmer: Als junger Mensch hatte ich auch diverse Karl-May-Bände mehrfach durchgeschmökert – bis ich mit etwa elf oder zwölf Jahren zu meiner tiefsten Enttäuschung erfuhr, dass er all diese “Abenteuer” frei erfunden hatte. Hab’ seither nur noch ein einziges Buch von ihm angefasst, und auch das nur, weil ich es für eine Story brauchte.

  10. #10 JB
    Oktober 3, 2011

    Seit ich einen eReader habe, hat sich meine Leseliste schlagartig vervielfacht und ich habe auch öfters Bücher angefangen und dann liegengelassen, was ich bei tote-Bäume-Büchern nur selten mache. Da die meisten meiner eBooks auf Englisch sind, hat sich meine Englisch-Lesekompetenz auch deutlich verbessert. Zum Glück gibt es eine ganze Menge kostenloser Bücher, auch professionelle, im Internet (ganz legal). Außerdem habe ich Kurzgeschichten wiederentdeckt, da man die schnell mal zwischendurch lesen kann. Gerade im englischsprachigen Raum gibt es eine Reihe von professionellen Webzines.

  11. #11 cydonia
    Oktober 3, 2011

    Zitat MartinB: “Die Bücher bleiben zwar gleich, aber ich ja nicht.”
    Genau das! Ich musste irgendwann feststellen, dass ich Bücher beim zweit- oder drittlesen ganz anders wahrnahm, und ich sie sozusagen als Maßstab, als Gradmesser für meine Entwicklung nutzen konnte, auch wenn das ursprünglich nicht vorhatte.
    Allerdings sind solche Bücher dann doch recht selten, und viele überleben das Zweitlesen nicht.
    Manche Werke sind aber so hervorragend, dass ich mich aufs Viert- oder Fünftlesen freue, weil ich mit einer Fülle von Aromen rechne, die ich vorher nicht wahrnehmen konnte.

  12. #12 nihil jie
    Oktober 4, 2011

    @cydonia

    Genau das! Ich musste irgendwann feststellen, dass ich Bücher beim zweit- oder drittlesen ganz anders wahrnahm, […]

    ist wie beim hören von Musik. manche Sachen gefallen mir auf Anhieb und manche erst nach mehrmaligen durch hören. allerdings ist es oft so, dass die Sachen die mir schon beim ersten mal durch hören gefallen haben nie lange auf meiner Favoriten liste bleiben… die anderen schon eher. das mag ja bei Büchern ähnlich sein. zumindest bei mir.

  13. #13 Kasaba
    Oktober 5, 2011

    Ich finde, es kommt darauf an, welchen Zweck man mit dem Lesen verfolgt. Bücher zu lesen, weil man sie gelesen haben sollte (sog. Klassiker), ist bestimmt legitim. Aber das kann doch angesichts der Menge an Klassikern mittlerweile kein Mensch mehr schaffen. Ich lese gerne und viel, aber ich schaffe trotzdem nur etwa 10 Bücher pro Jahr. Wenn ich mal großzügig ein Leseleben von 70 Jahren ansetze, schaffe ich also 700 Bücher in meinem ganzen Leben. Die wollen wohl ausgewählt sein! Und – ehrlich gesagt – mein Lesezweck ist dann doch ein anderer, als die klassische Bildung. Ich will beim Lesen in eine literarische Welt abtauchen, die einerseits einen Kontrast zu meinem Alltag bietet, aber andererseits auch Identifikationspunkte. Sowas kann ich natürlich in einem Klassiker finden, aber mir geht es immer häufiger so, dass meiner aktuellen Empfindung neuere Werke viel eher entsprechen. Und wenn mir ein Buch einmal ein so gutes Gefühl gegeben hat, das ich gerne noch einmal erleben will – warum sollte ich es dann nicht noch einmal lesen? Angesichts der Schwelle von 700 tue ich das allerdings zugegebenermaßen sehr selten. Nur, wenn ich wirklich kein neues Buch finde oder keine Zeit habe, eins zu suchen, dann erwäge ich eine Zweitlesung.

  14. #14 Andrea N.D.
    Oktober 5, 2011

    @Ali:
    Gut beschrieben – das ist wohl ein Problem der Geisteswissenschaftler. Ich lese auch seit Jahren kein Buch mehr zwei Mal (auch wenn ich hin und wieder eines wünschte zwei Mal lesen zu können), ich musste Romane so lange aufschieben, bis sie mich mittlerweile bestürzenderweise langweilen, weil ich nicht mehr genießen kann (ich arbeite daran) und ich schiebe immer Wunschlisten vor mir her (vor allem Romane :-), z.B. Dostojewski oder Kafka oder Camus noch einmal lesen …).
    Für Klassiker habe ich nicht ganz billig die Hörbücher entdeckt. Die können wunderbar während anderer Tätigkeiten gehört werden und entspannen das Auge.
    Wenn Du allerdings in einem wissenschaftlichen Thema bist, hilft nichts, dann muss alles Dazugehörige gelesen werden, dann auch zeilenweise mehrmals bis zum Verständnis und dieses Eintauchen in ein bestimmtes Thema bleibt dann zwar singulär (d. h. ergibt keine großartige Bildung) aber kann genauso viel Spaß wie das Lesen eines Romanes machen … denke ich :-). Ansonsten – Mut zur Lücke- damit, dass Du nicht alles über Neutrinos weißt, kannst Du doch bestimmt auch leben?