Hier im Blog ist es im Moment unter anderem deshalb etwas ruhig weil ich gerade auf Reisen bin. Darum hat sich auch mein Nachrichtenkonsum drastisch reduziert (und damit auch mein Blogmaterial). Damit es hier nicht völlig still wird gibt es nun ein paar politische Eindrücke aus Tunesien.

Ich möchte drei Aspekte der aktuellen politischen Situation durch anekdotisches illustrieren. Da wären zuerst einmal die Wahlen. Alle diskutieren darüber, es scheint als ob Politik, etwas worüber man unter Ben Ali besser nicht gesprochen hat, plötzlich allgegenwärtig wäre. Alleine das ist schon eine Leistung. Trotzdem sorgt man sich um die Partizipation der Wahlbevölkerung. Mein Eindruck ist, dass ein grosses Problem im Moment ist, das die meisten Parteien vorher nicht existierten (ich habe schon zum Thema etwas geschrieben). Es gibt also nicht nur kaum eine Namenserkennung bei den meisten Parteien, sondern es fehlt eine Geschichte, an der man sich als Wählender orientieren kann und es fehlt an Strukturen: Parteisoldaten die Plakate aufhängen, Gedquellen um diese zu finanzieren und oft schlicht die Erfahrung, wie ein Wahlkampf zu führen ist. Plakate dürfen übrigens nicht irgendwo aufgehängt werden. In jeder Gemeinde wurden dafür Wände designiert, mit Plätzen für die registrierten Parteien. An den meisten Orten ist nun zwei Wochen vor dem Wahldatum jedoch kaum entsprechende Werbung zu finden (das Bild unten zeigt eine solche Plakatwand gestern in der Stadt Monastir).

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Natürlich findet man noch überall Erinnerungshilfen an den Sturz von Ben Ali. Es bleiben zum Beispiel nach wie vor Graffiti an den Wänden und zerstörte Monumente aus der Revolution. Was mir aber vor allem aufgefallen ist, ist die rege Bautätigkeit. Es wurde mir gesagt, dass kurz nach dem Fall von Ben Ali Zement in den Geschäften nicht mehr zu finden war für eine Weile. Der Hauptgrund dafür sind vermutlich Bewilligungen, die nicht erteilt wurden, sei es aus berechtigen Gründen oder wegen Korruption. Die temporäre Gesetzeslosigkeit löste daraufhin einen regelrechten Bauboom aus. Für die Wirtschaft, die unter dem Ausfall der Touristen litt und leidet, bestimmt nicht schlecht, bauplanischer jedoch oft alles andere als optimal.

Das dritte, das nicht spurlos an Tunesien vorbeiging, ist der Bürgerkrieg in Libyen. Die gemeinsame Grenze mit Libyen ist nicht nur wegen der Flüchtlingströmen relevant. Es gab auch Handelseinbussen für das durch das Ausbleiben der Touristen sowieso wirtschaftlich gebeutelte Land. Der Fall von Gaddafi hat nun aber auch andere unerwartete Effekte. Da viele Waren in Libyen knapp sind hat dies rege Handels- und Schmuggeltätigkeiten zur Folge. So fand sich zum Beispiel in Tunis im Quartier in dem ich nach meiner Ankunft wohnte, keine Milch mehr (da diese subventioniert ist, ist die Marge natürlich noch höher für die Schmuggler). Gestern wurde anscheinend Lastwagen voll Eier an der Grenze im Süden abgefangen. Eine kleine aber auffallende Ankurbelung der lokalen Ökonomie hingegen aus dem selben Grund ist ebenfalls gut beobachtbar: Man findet überall die neue alte Flagge Libyens, die von den Rebellen als Symbol für den neuen Staat übernommen wurde. Ich nehme an, es ist eine Mischung aus einer traditionell relativ starken libyschen Präsenz in Tunesien (Touristen, Geschäftsleute etc.) und ein wenig revolutionärem Stolz. War Tunesien doch der erste Dominostein der Entwicklungen deren Folgen im Nahen Osten noch nicht absehbar sind.

Bildquelle:

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Kommentare (2)

  1. #1 rolak
    September 17, 2013

    Noch in der Mediathek, kam letzten Freitag:

    Für die Ölmonarchen war der arabische Frühling keine Aufbruchsbewegung, sondern schlicht eine Bedrohung. Was, wenn der Funke der Freiheit aus Tunesien, Ägypten, Libyen oder Syrien an den Golf überspringt?

    Habs hier untergebracht, weil mir die Idee bei ~9:11 kam (na ja, eigentlich in der neunten Minute des Zuschauens, so siehts aber schicker aus..), als es um die Situation der Frauen in Tunesien ging.

    Soviel zu Fr/13 😉

  2. #2 Wilhelm Leonhard Schuster
    September 18, 2013

    @Ali -Tunesien war einst die Kornkammer Roms .
    Die Vandalen haben sich dann dieses reichen Landes bemächtigt und (V)Andalusien aufgegeben.
    Wie steht es heutzutage ? Fließt da nicht mehr Milch
    und Honig?
    (Sie berichten von Milchknappheit!)