Leider wird Herr Broder diesen Eintrag kaum lesen. Er scheint eine Abneigung gegen Lektüre zu haben, die seine vorgefasste Meinung nicht bestätigt. Oder vielleicht liest er durchaus solche Texte, hält es aber nicht für nötig, dies seinem Publikum zuzumuten, weil ihm sonst seine Claqeure verloren gehen könnten. Das steckt nicht jedes Ego so leicht weg. Aber man sollte nie jemandem Böswilligkeit unterstellen, wenn es auch mit Dummheit erklärt werden kann (obwohl ich Broder eigentlich nicht für dumm halte).
Ich habe mich über diesen jämmerlich schlechten Artikel in der Welt geärgert (klicken auf eigene Gefahr). Ich habe letzte Woche eigentlich meine maximale Dosis an Islamismus-Diskussionen für diesen Monat erreicht, trotzdem will ich so etwas nicht einfach stehen lassen. Ja, ich meine auch euch, meine liebe Welt Redaktion. Sind Fakten und Ausgewogenheit vernachlässigbare redaktionelle Grössen, wenn man dafür den Applaus des Pöbels auf sicher hat (lest mal die Kommentare unter dem Artikel, erstaunlich dass niemandem auch nur einer der vielen Weglassungen aufgefallen ist)? Herzlichen Dank für euren Beitrag zum Schutze der Aufklärung und des Erbes des Abendlandes. Weiter so. Wir brauchen keine Islamisten um die Demokratie in die Knie zu zwingen. Das schaffen wir ganz alleine.
Was ich am Artikel auszusetzen habe? Vielleicht fragt man mich lieber, was mich am Artikel nicht gestört hat. Ich glaube es war die Artikelkategorisierung. Da stand nämlich nur Dänemark. Da konnte man, abgesehen von der Tatsache, dass sich nur ein Teil des Artikels auf Dänemark bezog, nicht so viel falsch machen (ja, ich gebe mich inzwischen mit wenig zufrieden). Aber kommen wir doch zurück zu Broders Fantasien, die er in der Welt Online ausbreiten durfte.
Er verbindet darin “zwei Nachrichten der letzten Tagen,” die seiner Meinung nach irgendwie “zusammengehören.” Dies Verbindung besteht soweit ich das Beurteilen kann in erster Linie darin, dass in beiden Fällen Muslime involviert waren. Wie sie sonst zusammengehören bleibt nebulös, aber wir wollen uns nicht mit Kleinigkeiten aufhalten, schliesslich gilt es die Freiheit zu verteidigen. Dass tut der Herr Broder dann auch ohne Rücksicht auf Verluste. Zu diesen Verlusten gehören leider auch Aufrichtigkeit, ein Minimum an Recherche und der Ruf des Journalismus.
Aber einmal schön der Reihe nach. Die erste Nachricht, die Broders Blutdruck steigen liess, war was in seinen Augen einer Forderung zur “Sonderbehandlung” für Muslime gleichkam. Es geht um an einer Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa von “Vertreter[n] einer ‘Initiative Europäischer Muslime für Sozialen Zusammenhalt'” angeblich “geforderten” Richtlinien gegen Islamophobie. Die zweite Nachricht betraf eine “islamische Organisation” (sic! Der Broder kann durchaus auch subtil sein) in Dänemark. Sie verlangte die Einführung von “Scharia Zonen” und will entsprechende Regeln mit Patrouillen durchsetzen. Nun hätte Herr Broder etwas genauer hingeschaut, etwas mehr nachgedacht und etwas genauer recherchiert, müssten wir uns keine Sorgen um seinen Blutdruck machen und ich hätte nicht diesen langen Eintrag schreiben müssen.
Beginnen wir mit der ersten Meldung. Dass die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa sich mit OSZE abkürzt (OSCE auf Englisch) und was anderes ist, als die OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) lassen wir mal beiseite. Würde man sich wirklich für deren Arbeit interessieren, wäre es einem vielleicht aufgefallen, aber der Herr Broder ist halt ein vielbeschäftigter Mann. Da muss man Prioritäten setzen. Es ist nicht ganz korrekt, dass die “Initiative Europäischer Muslime für Sozialen Zusammenhalt” solche Richtlinien “forderte.” Sie “ermutigte” nämlich die Teilnehmer der Konferenz nur “von diesen Gebrauch zu machen.” Die Richtlinien existieren nämlich schon und wurden für Ausbildungszwecke vom Office for Democracy and Human Rights der OSZE, vom Europarat und der UNESCO herausgebracht (alles linke oder islamistische Organisationen wie wir wissen). Was für radikale Forderungen diese Richtlinien enthalten, davon kann sich jeder selber überzeugen. Im Schulungsdokument wird auch bestätigt, was die Konferenz ebenfalls betonte, aber Herr Broder aus seiner Sorge um die Meinungsfreiheit irgendwie verpasst haben muss. Sie forderte nämlich, man müsse “einen intoleranten öffentlichen Diskurs gegen Muslime bekämpfen und gleichzeitig die Redefreiheit gewährleisten” [Quelle, Betonung hinzugefügt] (“must challenge intolerant public discourse against Muslims, while preserving freedom of expression“). Aber für eine gute Sache kann man ja auch das Gegenteil vom explizit gesagtem in eine Aussage interpretieren.
Aber Herr Broder hat natürlich recht, man muss den Anfängen wehren. Jeder Versuch eine Gruppe vor Diskriminierung zu schützen könnte natürlich der erste Schritt in Richtung eines Abbaus der Meinungsfreiheit sein. Leider habe ich weder im Archiv der Welt noch im Archiv der Achse des Guten Broders Kampfschriften zu den beiden vorangegangenen OSZE Konferenzen gefunden, von der die hier erwähnte die dritte in Serie war. Man hat sich nämlich zuvor schon im März in Prag zum Thema Anitsemitismus im öffentlichen Diskurs getroffen und im September in Rom zur Diskriminierung von Christen und ähnliche Schlussfogerungen gezogen. Broder weiss wohl wovon er spricht, wenn er schreibt:
Man muss auch kein gelernter Dialektiker sein, um hinter der Versicherung der Initiative Europäischer Muslime für Sozialen Zusammenhalt, sie wolle „keine Sonderbehandlung”, genau das Gegenteil zu erkennen.
Er mag kein gelernter Dialektiker sein, aber in Sachen Sonderbehandlung, auch wenn nur in einem negativen Sinn, ist er offensichtlich erfahrener Experte.
Wie steht es nun um die zweite Nachricht, die Broder so zum kochen brachte? Scharia Zonen, das geht dann doch zu weit, oder? Hat es da denn den ganzen politisch korrekten Gutmenschen eine Sicherung durchgebrannt? Wie kann sich die muslimische Gemeinschaft in Dänemark nur so etwas erlauben?
Falls ihr noch nie von dieser Gruppe Ruf zum Islam, vor der unser Broder netterweise warnt, gehört habt, ist das nicht weiter erstaunlich. Sie hat angeblich einen harten Kern von anscheinend etwa 50 Personen. Wie schon gesagt, wehrt den Anfängen! Wir werden uns Herren Broders Standard zu Herzen nehmen und Fred Phelps gilt von nun an als offizieller Sprecher der Christen (immerhin hat die Westboro Baptist Church geschätzt etwa 70 Mitglieder und ist entsprechend repräsentativer).
Der versierte Retter des Abendlandes wird nun natürlich einwenden, dass die Gruppe “Ruf zum Islam” zwar klein ist, aber dass die muslimische Gemeinschaft sich auch nicht genügend von solchen Forderungen distanziert. Man trägt solche Forderungen schweigend mit. Tatsächlich hat die dänische Dachorganisation der Muslime (Muslimernes Fællesråd), die angeblich etwa 40’000 Muslime repräsentiert, es verpasst, Broder persönlich anzurufen, um sich zu distanzieren. Sie hat das nur via dänische Presse getan. Die Bereitschaft sich von diesen Gruppen mit “extremistischen Neigungen” (O-Ton Muslimernes Fællesråd) zu distanzieren, ist eindeutig nicht wirklich vorhanden.
Damit Herr Broder wieder etwas besser atmen kann, möchte ich ihm auch noch in Bezug auf die “Scharia-Richter in deutschen Städten” beruhigen, die er mit der Einführung der Regeln der Cosa Nostra für Italiener vergleicht. Nein, meine lieben Freunde aus dem Süden, es gibt keinen Grund beleidigt zu sein, Broder verteidigt nur eure Freiheit, ihr könnt doch auch nichts dafür, dass der Code der Cosa Nostra euer Rechtssystem repräsentiert. Ich kenne diese “Urteile” nicht und Broders gepflegter Geiz mit Quellen macht die Sache natürlich nicht einfacher zu durchschauen. Auch wenn es schwer fällt einem Mann, der so viel Aufrichtigkeit an den Tag legt, nicht einfach blind zu vertrauen, teile ich seine Sorgen trotzdem nicht. Ich spekuliere mal, dass es sich dabei um zivilechtliche Fragen handelt. Vermutlich möchte Broder suggerieren, dass in deutschen Städten im Namen der religiösen Toleranz ungestraft Hände abgehackt werden (seine wohl einzige Assoziation mit Scharia). Ich vermute, dass auch in Deutschland (aber kenne das deutsche Rechtssystem zu wenig), so lange sich beide Parteien an ein solches zivilrechtliches Urteil halten und keine Gesetze verletzt werden, solches schwer untersagt werden kann. Selbst wenn zum Beispiel die Cosa Nostra eine Erbstreitigkeit schlichtet gilt das wohl. Werden hingegen deutsche Gesetze verletzt, oder will man sich nicht freiwillig an ein solches Urteil halten, kann man sicherlich das deutsche Justizsystem anrufen und dies anerkennt meines Wissens keine Scharia-Gerichte. Dies sind jedoch alles Spekulationen, da wir nichts über die genauen Gegebenheiten wissen. Details sind halt nicht Broders Stärke.
Dann schwingt sich der Artikel aber zu einem neuen Gipfel des faktischen: Herr Broders lebhafte Fantasie scheint bei dieser Passage endgültig mit ihm durchzughen:
Bis jetzt hat auch niemand vorgeschlagen, den Verkauf von Schweinefleisch aus Rücksicht auf die Gefühle von Juden einzustellen oder Kühe für unantastbar zu erklären, um die Integration der in Deutschland lebenden Hindus nicht zu erschweren.
Nein, das hat bis jetzt niemand. Ähnliches hat auch aber auch niemand im Bezug auf die Muslime getan. Dies leitet sich nicht einmal aus den Broderschen Verzerrungen im Artikel ab. Aber vielleicht besitzt Herr Broder ja zusätzliche Geheiminformationen, die er nicht mit uns teilen möchte. Man kann halt nie vorsichtig genug sein.
Der ganze Artikel ist eine Ansammlung von Verzerrungen, selektiven Informationen, gezielten Auslassungen, Tatsachenverdrehungen und Phantastereien. Und damit zieht der Broder aus, um uns das Fürchten zu lehren. Mit einem gewissen Erfolg. Liest man die Kommentare darunter oder googelt man nach dem Artikel taucht er nun bei alle einschlägigen Hetz-Seiten auf. Sie alle finden darin wieder einmal einen Beweis, wie Europa nun doch noch von den Muslimen eingenommen wird (die Links auf die üblichen Verdächtigen spare ich euch jetzt). Broder will natürlich mit dem braunen Sumpf nichts zu tun haben, wie er schon im Zusammenhang mit dem norwegischen Attentäter Breivik betonte. Ich stimme ihm da unter leichtem Vorbehalt zwar zu. Am Klima arbeitet er aber tüchtig mit. Die Frage die ich mir mehr und mehr stelle und die mit der Verantwortungsfrage eng verflochten bleibt bestehen: Merkt er es tatsächlich nicht oder lügt er bewusst?
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