Jürgen hat bei Geograffitico (“Sollte die USA gegen iranische Atomanlagen vorgehen“) den Ball zur Frage eines israelischen Militärschlages wieder aufgenommen und zu einem Artikel in Foreign Affairs verlinkt (meine Artikel finden sich hier und hier). Ich möchte das Ping-Pong Spiel fortsetzen und ein paar theoretische Gedanken zum Artikel loswerden.
Der Text in Foreign Affairs vertritt die Position, dass ein nuklear bewaffneter Iran nicht kontrollierbar bar sei und das Risiko eines nuklearen Schlages in der Region und/oder der Proliferation von Nuklearwaffen stark ansteigen würde. Ich werde ihm Folgenden ein paar Gedanken von theoretischer Seite äussern, da es mir scheint, als ob die Autoren die Abschreckungstheorie und die theoretische Unterfütterung von Nuklearwaffenstrategien zurechtbiegen, damit sie ihre politische Präferenz (hier im Gegensatz zu strategisch) rechtfertigen können. Die Diskussion soll nicht von Geograffitico hierher verlagert werden und darum werde ich mich auf die Aspekte der Theorie beschränken.
- Das nukleare Ungleichgewicht: Wenn die Grundthese ist, dass ein nukleares Ungleichgewicht das Risiko eines Erstschlages drastisch erhöht, dann ist dieses bei einem Iran ohne Nuklearwaffe logischerweise noch höher. Ein Staat mit und einer ohne solche Waffen ist das ultimative Ungleichgewicht. Dies ist die ganze Idee von nuklearer Abschreckung: Wenn einer Atomwaffen besitzt und der andere nicht, dann kann er den Gegner platt machen. Besitzen beide solche Waffen und haben eine Zweitschlagkapazität, schrecken sie sich eben gegenseitig ab. Ausser natürlich, und die Autoren scheinen manchmal in diese Richtung zu argumentieren, man nimmt an, dass einige Staaten per Definition rational sind und andere irrational oder dass einige sie nur als Defensivwaffen für Gegenschläge andere aber sie als Offensivwaffen betrachten. Mit diesen Annahmen wirft man aber einen grossen Teil der Theorie vollständig auf den Müllhaufen. Das kann man natürlich, gibt es doch viele berichtigte Ansätze zur Kritik an der Theorie. Man sollte aus Gründen der Kohärenz sich dann aber nicht auf sie berufen solange sie genehm ist und/oder begründen warum man davon abweicht.
- Das Prinzip der Abschreckung: Ein Teil der Autoren im kalten Krieg argumentiert, dass wegen der Zerstörungskraft von Atombomben die Abschreckung auch bei einem Ungleichgewicht funktioniert, weil das Zerstörungspotential einfach zu gross ist (anfangs gab es sogar einige die meinten, konventionelle Waffen würden ganz verschwinden). Die Tatsache, dass seit den Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki nie mehr Atomwaffen eingesetzt wurden zeigt, dass die Hemmschwelle vermutlich tatsächlich sehr gross ist. Es gab später im Kalten Krieg sogar die Autoren, die argumentierten, dass wegen dem Zerstörungspotential von Nuklearwaffen diese als Mittel der Kriegsführung unbrauchbar wurden.
- Regionale Proliferation: Das Argument der regionalen Proliferation löst bei mir primär ein müdes Gähnen aus. Anfang der 90er Jahre schrieben viele Nuklearwaffentheoretiker, dass eine Konsequenz des Zusammenbruchs der West-Ost Konfliktes die Proliferation von Nuklearwaffen in Europa sein wird. Insbesondere Deutschland galt als Top-Kandidat. Wir warten immer noch auf die angekündigte Weiterverbreitung in Europa. In dieser Logik sind zudem auch Israels Atomwaffen ein Problem, sie haben bisher aber ebenfalls nicht zu einer Verbreitung von Atomwaffen geführt. Man könnte natürlich argumentieren, dass der Iran das erste Land ist, das sich deswegen bedroht genug fühlt, um sich selber solche Waffen anzuschaffen.
- Lektionen: Sollte ein iranisches Nuklearwaffenprogramm durch einen Militärschlag verzögert werden (eine völlige Auslöschung ist kaum möglich), ist die Lektion, die der Iran daraus ziehen kann, dass er Atomwaffen braucht. Die Autoren selber weisen ja daraufhin, dass man beispielsweise mit Nordkorea anders umspringt.
- US Schutzschirm: Den US Schutzschirm mit seinem gewaltigen Zerstörungs- und Abschreckungspotential wird in dem Artikel kaum erwähnt. Eine erstaunliche Auslassung.
Weder die Thorie noch die Beobachtungen stützen die meisten der von den Autoren gemachten Aussagen. Sie scheinen teilweise widersprüchlich zu argumentieren und sich nur dann auf die Theorie zu beziehen, wenn es ihrer Argumentation nützt. Ihr Standpunkt ist alleine deswegen nicht falsch (obwohl ich davon überzeugt bin, dass er es ist), aber der Verdacht kommt auf, dass es sich mehr um einen Vorstoss mit einer politischen Agenda handelt und weniger um gute Nachdenkarbeit. Gerade wenn es um Krieg oder Frieden geht wäre man um letzteres froh.
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