Jürgen hat bei Geograffitico (“Sollte die USA gegen iranische Atomanlagen vorgehen“) den Ball zur Frage eines israelischen Militärschlages wieder aufgenommen und zu einem Artikel in Foreign Affairs verlinkt (meine Artikel finden sich hier und hier). Ich möchte das Ping-Pong Spiel fortsetzen und ein paar theoretische Gedanken zum Artikel loswerden.

Der Text in Foreign Affairs vertritt die Position, dass ein nuklear bewaffneter Iran nicht kontrollierbar bar sei und das Risiko eines nuklearen Schlages in der Region und/oder der Proliferation von Nuklearwaffen stark ansteigen würde. Ich werde ihm Folgenden ein paar Gedanken von theoretischer Seite äussern, da es mir scheint, als ob die Autoren die Abschreckungstheorie und die theoretische Unterfütterung von Nuklearwaffenstrategien zurechtbiegen, damit sie ihre politische Präferenz (hier im Gegensatz zu strategisch) rechtfertigen können. Die Diskussion soll nicht von Geograffitico hierher verlagert werden und darum werde ich mich auf die Aspekte der Theorie beschränken.

  1. Das nukleare Ungleichgewicht: Wenn die Grundthese ist, dass ein nukleares Ungleichgewicht das Risiko eines Erstschlages drastisch erhöht, dann ist dieses bei einem Iran ohne Nuklearwaffe logischerweise noch höher. Ein Staat mit und einer ohne solche Waffen ist das ultimative Ungleichgewicht. Dies ist die ganze Idee von nuklearer Abschreckung: Wenn einer Atomwaffen besitzt und der andere nicht, dann kann er den Gegner platt machen. Besitzen beide solche Waffen und haben eine Zweitschlagkapazität, schrecken sie sich eben gegenseitig ab. Ausser natürlich, und die Autoren scheinen manchmal in diese Richtung zu argumentieren, man nimmt an, dass einige Staaten per Definition rational sind und andere irrational oder dass einige sie nur als Defensivwaffen für Gegenschläge andere aber sie als Offensivwaffen betrachten. Mit diesen Annahmen wirft man aber einen grossen Teil der Theorie vollständig auf den Müllhaufen. Das kann man natürlich, gibt es doch viele berichtigte Ansätze zur Kritik an der Theorie. Man sollte aus Gründen der Kohärenz sich dann aber nicht auf sie berufen solange sie genehm ist und/oder begründen warum man davon abweicht.
  2. Das Prinzip der Abschreckung: Ein Teil der Autoren im kalten Krieg argumentiert, dass wegen der Zerstörungskraft von Atombomben die Abschreckung auch bei einem Ungleichgewicht funktioniert, weil das Zerstörungspotential einfach zu gross ist (anfangs gab es sogar einige die meinten, konventionelle Waffen würden ganz verschwinden). Die Tatsache, dass seit den Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki nie mehr Atomwaffen eingesetzt wurden zeigt, dass die Hemmschwelle vermutlich tatsächlich sehr gross ist. Es gab später im Kalten Krieg sogar die Autoren, die argumentierten, dass wegen dem Zerstörungspotential von Nuklearwaffen diese als Mittel der Kriegsführung unbrauchbar wurden.
  3. Regionale Proliferation: Das Argument der regionalen Proliferation löst bei mir primär ein müdes Gähnen aus. Anfang der 90er Jahre schrieben viele Nuklearwaffentheoretiker, dass eine Konsequenz des Zusammenbruchs der West-Ost Konfliktes die Proliferation von Nuklearwaffen in Europa sein wird. Insbesondere Deutschland galt als Top-Kandidat. Wir warten immer noch auf die angekündigte Weiterverbreitung in Europa. In dieser Logik sind zudem auch Israels Atomwaffen ein Problem, sie haben bisher aber ebenfalls nicht zu einer Verbreitung von Atomwaffen geführt. Man könnte natürlich argumentieren, dass der Iran das erste Land ist, das sich deswegen bedroht genug fühlt, um sich selber solche Waffen anzuschaffen.
  4. Lektionen: Sollte ein iranisches Nuklearwaffenprogramm durch einen Militärschlag verzögert werden (eine völlige Auslöschung ist kaum möglich), ist die Lektion, die der Iran daraus ziehen kann, dass er Atomwaffen braucht. Die Autoren selber weisen ja daraufhin, dass man beispielsweise mit Nordkorea anders umspringt.
  5. US Schutzschirm: Den US Schutzschirm mit seinem gewaltigen Zerstörungs- und Abschreckungspotential wird in dem Artikel kaum erwähnt. Eine erstaunliche Auslassung.

Weder die Thorie noch die Beobachtungen stützen die meisten der von den Autoren gemachten Aussagen. Sie scheinen teilweise widersprüchlich zu argumentieren und sich nur dann auf die Theorie zu beziehen, wenn es ihrer Argumentation nützt. Ihr Standpunkt ist alleine deswegen nicht falsch (obwohl ich davon überzeugt bin, dass er es ist), aber der Verdacht kommt auf, dass es sich mehr um einen Vorstoss mit einer politischen Agenda handelt und weniger um gute Nachdenkarbeit. Gerade wenn es um Krieg oder Frieden geht wäre man um letzteres froh.

Kommentare (21)

  1. #1 Arno
    November 12, 2011

    Dein Argument in Punkt 1 finde ich nicht ganz nachvollziehbar. Wenn ein nuklearer Praeventivschlag ueberhaupt in Frage kommt, dann doch unmittelbar bevor das Ziel Zweitschlagskapazitaet erreicht. Danach greift MAD, davor duerfte die Angst vorm Gegner noch geringer sein, und eher hinter prinzipiellen Bedenken zurueckstehen.

  2. #2 ali
    November 12, 2011

    @Arno

    Man könnte es auch so formulieren: Warum soll das einzige theoretisch stabile Gleichgewicht sein, wenn nur Israel Nuklearwaffen besitzt und der Iran nicht? Das scheint mir unlogisch ausser man trifft Annahmen, dass sich die beiden Länder unterschiedlich verhalten würden betreffend ihrem Nukleararsenal. In der Theorie müsste ein solches Gleichgewicht sonst instabil sein und ich verstehe nicht, wie durch das Erlangen von Nuklearwaffen innerhalb dieses Gedankengebäudes, die Stabilität durch einen Schritt in Richtung grösseres Gleichgewicht, reduziert werden sollte. Das ist zumindest erklärungsbedürftig. Die Autoren scheinen dies als “offensichtlich” vorauszusetzen. Es handelt sich um ein Argument, das konstruiert werden könnte, aber erstens nicht mehr in diesem theoretischen Rahmen wäre und zweitens darum explizit erklärt werden müsste.

  3. #3 Andreas Breitbach
    November 12, 2011

    Ohne alle Beiträge zur Debatte gelesen zu haben, fiel mir grade ein, dass bislang ein wichtiger Aspekt außen vor blieb: Scott D. Sagans Anmerkungen, wonach Staaten durchaus auch aus symbolischen Gründen Nuklearwaffen entwickeln (Sagan nennt Frankreich explizit, Indien, Nordkorea und Pakistan würden je nachdem auch unter diese Gruppe fallen). Neben dem Prestige, das Nuklearwaffen verleihen, hat Sagan in “The Spread of Nuclear Weapons: A Debate Renewed” einen ganzen Rattenschwanz an Unfällen mit Bomben (vgl. die “Broken Arrows” der USA) sowie Raketen erläutert (irgendwo in Indien oder Pakistan, leider weiß ich nicht mehr genau in welchem der beiden, gabs mal den Fall einer scharfen Cruise Missile auf einem Prüfstand, die einem Offiziellen gezeigt wurde, wobei jemand zu Tode kam).
    Die Nuklearpolitik eines Staates ist also nur so gut wie das schwächste seiner Glieder. Mit dem Irak-Einmarsch auf der Suche nach WoMD haben die Amerikaner für meine Bedürfnisse mehr als genug gezeigt, wie analytisch schwach und beeinflussbar eines ihrer Glieder sein kann. Dass Iran kein Stück besser ist (haben sich die Revolutionären Garden etwas bei diesem wahnwitzigen Versuch, den saudischen Botschafter ermodern zu wollen gedacht und wenn ja was), trägt einen Teil zum Problem bei.
    Kurz gesagt: Ich nehm da keinen ernst, der irgendwelche Kriegspläne ausbreitet oder alarmistisch in der Gegend rumplärrt. Denen fehlt allen eine funktionsfähige Exit-Strategie.

  4. #4 Arno
    November 12, 2011

    @Ali
    Gut, wenn ich nochmal darueber nachdenke, dann wuerde mein Argument benoetigen, dass man nicht nur die Anzahl der Atomwaffen, sondern auch deren Aenderungsrate mit einbezieht. Prinzipiell koennte es ja aber gut mehrere Gleichgewichte geben.

  5. #5 Fabian
    November 12, 2011

    Das dritte Argument (regionale Proliferation) kann ich nicht nachvollziehen, da die Situation in Europa nach dem Zusammenbruch Ende des Ost-West-Konfliktes absolut nicht vergleichbar mit der aktullen Situation im Nhen und Mittleren Osten ist. Deshalb ist der Schluß “In Europa gab es keine Proliferation als wird es ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit im Nahen/Mittleren Osten auch nicht geben” falsch.

    Deutschland brauchte als europäische Wirtschaftssupermacht nach Abschluß des 2+4 Vertrages und der damit einhergehenden Wiedervereinigung, eingebettet in die EU & NATO, kein Land in Europa fürchten. Warum sollte es also Atomwaffen entwickeln und damit die Partner in der Allianz vor den Kopf stoßen ? Länder wie Saudi-Arabien dagegen, die zum Iran ein sehr angespanntes Verhältnis besitzen sowie Probleme mit schiitischen Minderheiten haben, können sher wohl zu dem Schluß kommen, dass sie zur Abschreckung und zum Aufbau eines Gleichgewichtes Atomwaffen benötigen. Ein atomar bewaffneter Iran könnte schließlich noch stärker als bisher Akteure wie Hamas/ Hisbollah unterstützen, da dem Land keine militärischen Konsequenzen mehr drohen würden.
    Natürlich haben Israels Atomwaffen bisher nicht zu einer Proliferation beigetragen, schließlich wird das Land keine Länder mit Know-How unterstützen, die insgheheim Israel noch immer von der Landkarte entfernen möchten.

    Des Weiteren ist das vierte Argument irrelevant, da der Iran diese Lektion schon längst gelernt hat und Atomwaffen entwickelt.

  6. #6 student_b
    November 12, 2011

    Des Weiteren ist das vierte Argument irrelevant, da der Iran diese Lektion schon längst gelernt hat und Atomwaffen entwickelt.

    Source?

    (Nicht dass ich wirklich daran glaube eine Antwort zu bekommen.)

  7. #7 ali
    November 12, 2011

    @Arno

    Ich stimme dir da zu und bin mir sicher, dass mehrere Gleichgewichte möglich sind und glaube auch, dass wir das eigentlich weltweit beobachten. Das Problem ist, dass dies gelinde gesagt eine sehr unorthodoxe Ansicht ist, wenn es um Abschreckungstheorie geht und wenn Autoren so argumentieren (“präventiver Erstschlag”; “kurze Flugzeit und daher Reaktionszeit” etc.) sie sich an diesen eher “klassischen” Ansatz anlehnen. Darum meine Kritik.

    @Fabian

    Die stark vom Realismus beeinflusste Theorie macht einige ganz spezifische Annahmen: Einheitliche Akteure, Rationalität in der strategischen Interaktion, Überlebenstrieb, Staatsräson, etc. Die Autoren des Artikels wollen sich in diesem Rahmen bewegen, da sie oft dieser Logik zu folgen scheint. Ich kritisiere, dass sie die Annahmen dieser Denkweisen ohne Begründung über Bord werfen, sobald es nicht mehr ihren Zielen dient. Wie du verschiedene Elemente, Akteure-Ebenen und Motivationen durcheinanderwirbelst, nehme ich an, dass dir diese Kernthese entgangen ist.

    Klar kann man erklären warum Deutschland sich nicht nuklear bewaffnet hat (und nimmt damit eine bessere Position ein, da einem der effektive Geschichtsverlauf recht gibt) nur sind das alles Elemente die in der Regel in der Theorie Erwähnung finden. Am ehesten noch der Schutzschirm von Drittmächten. Der prominenteste Vertreter dieser These war übrigesn John Mearsheimer der noch Jahre lang sagte, man müsse nur abwarten.

    Wenn sich Saudi Arabien durch den Iran so bedroht fühlt um auch Nuklearwaffen zu besorgen, dann verstehe ich nicht, warum Israel für Saudi Arabien (oder andere Länder) nicht den gleichen Effekt haben sollte (wie gesagt immer noch im Rahmen dieser Theorie). Mit Technologie- oder Wissenstransfer hat das überhaupt nichts zu tun. Da wechselst du plötzlich die Argumentationslinie.

    Ich sage also nicht “Weil es die Proliferation in Europa nicht gab, wird es sie im Nahen Osten nicht auch geben” sondern ich sage “mit den selben theoretischen Annahmen wurde eine Proliferation in Europa vorausgesagt, die nicht stattfand”. Wenn du eine alternative Hypothese aufstellen möchtest nur zu. Sie müsste aber erklären, warum Israel keinen nuklearen Rüstungswettlauf auslöst, der Iran aber schon (und dabei immer im Hinterkopf behalten wer sonst noch Atomwaffen besitzt). Meine Aussage ist also nicht “falsch” sondern nur was du daraus gemacht hast.

    Was den vierten Punkt betrifft setzt deine Behauptung voraus, dass der Iran einen Beschluss gefasst hat, unverhandelbar die Bombe zu bauen. Diesen Schluss lässt auch der jüngste IAEA Bericht jedoch nicht zu und so heisst es, ist nicht einmal die Arbeitshypothese des US Geheimdienstes. Meine Aussage ist, dass der Iran genau zu diesem Schluss gedrängt würde bei einem Militärschlag. Es kommt nicht von ungefähr, dass auch die USA bisher eine Zuckerbrot und Peitsche Politik betrieben.

  8. #8 ZielWasserVermeider
    November 12, 2011

    zu

    ” Die Tatsache, dass seit den Abwürfen über Hiroshima und Nagasaki nie mehr Atomwaffen eingesetzt wurden zeigt, dass die Hemmschwelle vermutlich tatsächlich sehr gross ist. ”

    Die Hemmschwelle gab es wohl erst nach den Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

    Gruß
    Oli

  9. #9 ZielWasserVermeider
    November 12, 2011

    Ergänzung zu meinem Posting:

    Ich denke viele Militärs und Politiker haben vor dem Einsatz über Nagasaki und Hiroshima daran gedacht, diese Waffe als reguläres Mittel der Kriegsführung einzusetzen.
    Die Zerstörung und die Folgen dürften wohl die meisten davon überzeugt haben, diese Waffe nicht mehr einszusetzen. Allerdings war sie nun in der Welt.

    Gruß
    Oli

  10. #10 ali
    November 12, 2011

    @ZielWasserVermeider

    Die Hemmschwelle gab es wohl erst nach den Abwürfen auf Hiroshima und Nagasaki.

    Das meinte ich damit.

    Sehr viele waren nicht eingeweiht und es waren meines Wissens auch Szenarien auf dem Tisch mit der Bombe einen “Schreckschuss” auf nicht bewohnten Inseln oder nur auf militärische Anlagen zu machen, man wollte dann aber den Effekt maximieren (und man war wohl erfolgreich).

    Ich finde die Diskussionen und Gedanken um den Abwurf aus der Zeit geben einen interessanten Einblick wie die Weltöffentlichkeit unter Schock stand nach dem Abwurf (und das nach Jahren von Krieg). Man hatte das Gefühl einer neuen Ära die anbrechen wird wegen der Bombe und das nicht zu unrecht wie wir heute wissen.

  11. #11 Tim L
    November 13, 2011

    Ich denke, dass deine Analyse das Nötigste sagt.

    Ich kann in diesem FA Artikel und auch in anderen pro-Argumentationen für einen Militärschlag bzw. generell gegen eine iranische Atombombe keine stringenten Denkmuster erkennen.
    Politischer Realismus scheint nur das Feigenblatt zu sein das, wie du bereits schriebst, dann soweit zurechtgebogen wird, bis am Ende eine ungleiche Bewertung nicht nur der Angriff/Abwehr-Absichten, sondern auch letztlich des “Geisteszustandes” der politischen Führer herauskommt.

    Was mich ebenfalls stört ist, wie das sonst sehr beliebte Argument der MAD-Doktrin völlig verzerrt wird.

    Die gesamte Debatte um Iran und sein Atomprogramm steht in jeglicher Hinsicht auf, vorsichtig ausgedrückt, wackeligen Füßen. Es fehlt an belastbaren Beweisen für das Streben nach der Bombe, an kohärenter Argugmentation gegen das Atomprogramm selbst sowie potenzielle Bomben und für eine militärische Intervention.

    Ich spekuliere eigentlich ungern, aber das riecht doch eher nach künstlicher Staubaufwirbelei für weitere internationale Isolation und Sanktionen.
    Einen weiteren Krieg können sich die USA allein politisch kaum leisten.

  12. #12 Bernd
    November 13, 2011

    Um Rationalität und Überlebenstrieb den iranischen Machthabern, für die Israels Vernichtung Staatsräson ist, zuzuschreiben, bedarf es schon erheblicher intellektueller Anstrengung. Vielleicht sollte man die Eigenwerbung radikaler Islamisten noch mal kurz überfliegen und sich angesichts eines Mottos wie “Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod” nochmals den Begriffen Rationalität und Überlebenstrieb nähern.

  13. #13 Bell
    November 13, 2011

    Wenn die Grundthese ist, dass ein nukleares Ungleichgewicht das Risiko eines Erstschlages drastisch erhöht, dann ist dieses bei einem Iran ohne Nuklearwaffe logischerweise noch höher.

    Richtig. Das ist logischerweise genau der Grund, aus dem heraus die Autoren befürchten, dass Israel losschlägt, bevor der Iran seinerseits in der Lage ist, Israel -ob nun in einem Erst- oder einem Zweitschlag- auszulöschen.

  14. #14 ali
    November 13, 2011

    @Bernd

    Ich habe es zwar schon gesagt, aber ich werde es wohl nochmals wiederholen, da es der Knackpunkt ist und ich das anscheinend noch nicht klar vermitteln konnte: Die Autoren argumentieren in einem theoretischen Rahmen, der eindeutig sich an einer realistischen Weltsicht und klassischen nuklearstrategischen Überlegungen einordnet. Da sie im Foreign Affairs publizieren und einem Think Tank angeschlossen sind, der zumindest gemäss Website einen akademischen Anspruch hat, muss man davon ausgehen, dass es sich nicht einfach um einen Sportjournalisten handelt, der gerade für seinen Kollegen einspringt um etwas im Dorfblatt über Nuklearwaffen zu schreiben. Darum gehe ich davon aus, dass sie die Standardmodelle und gängigen Theoriengebäude kennen. Nun kann man nicht einfach sich argumentativ an ein solches anlehnen und nach Lust und Laune andere Elemente dazugeben ohne dies explizit zu sagen und zu begründen. Das ist die Basis meiner Kritik. Dass die iranische Führung irrational sei, die Vernichtung Israels über allem stehen soll und der Staat kein Überlebenstrieb hat, ist nicht nur unorthodox sondern geht um 180 Grad entgegen viele Annahmen in den gängigen Theorien. Das ist natürlich legitim dies zu hinterfragen und zu kritisieren aber dann muss diese explizit erwähnt und begründet werden. Im Gegensatz zu existierenden Modelle wo man weiss über was gesprochen wird, sind solche ad hoc Annahmen willkürlich.

    Zu solchen Annahmen gehört nunmal auch, dass die Akteure rational sind. Dies ist unabhängig von dem was sie nach aussen zu projizieren versuchen oder wie du sie wahrnimmst. Die ganze Argumentation der Autoren baut auch genau auf der Annahme der Rationalität beider Akteure auf.

    @Bell

    Zuerst einmal richten sich die soeben gemachten Anmerkungen teilweise auch an dich (um zu klären was ich überhaupt kritisiere). Dann bin ich bin mir nicht sicher ob ich verstehe. Was ich hinterfrage ist warum sie die Schwelle für einen solchen Schlag willkürlich festlegen. Folgt man der Logik der Autoren, müsste Israel doch jetzt schon bereit sein, einen Nuklearschlag zu begehen, da das Ungleichgewicht noch mehr zu seinem Vorteil ist (eine nicht fertige Atomwaffe ist weniger gefährlich als “nur” 10 Sprengköpfe). Gemäss theoretischen Überlegungen wäre ein Iran mit der Bombe besser für die Stabilität als einer ohne was die Israel-Iran Beziehungen betrifft (Achtung: Nicht meine Behauptung, sondern etwas das aus einer konsequenten Anwendung des von den Autoren benutzen Rahmens folgt).

  15. #15 BreitSide
    November 14, 2011

    xxx

  16. #16 Bell
    November 14, 2011

    @Ali

    Folgt man der Logik der Autoren, müsste Israel doch jetzt schon bereit sein, einen Nuklearschlag zu begehen, da das Ungleichgewicht noch mehr zu seinem Vorteil ist (eine nicht fertige Atomwaffe ist weniger gefährlich als “nur” 10 Sprengköpfe).

    Richtig, dies wird doch aber von den Autoren auch gar nicht in Abrede gestellt. Sie gehen lediglich einen Schritt weiter und überlegen, wie die Situation sich darstellt, wenn der Iran in den Besitz von Atomwaffen gelangt und kommen zu dem Schluß, dass anfangs die Gefahr eines nuklearen Krieges recht groß ist, da das Ungleichgewicht recht groß ist. Ich verstehe auch nicht recht, wieso dies im Widerspruch zu bisheriger Theorie stehen soll. Es ist doch auch nach bisheriger Theorie so, dass erst das Gleichgewicht des Schreckens einen Atomkrieg verhindert (wohlgemerkt: Gleichgewicht des Schreckens ist nicht gleichbedeutend mit Gleichgewicht der Anzahl Sprengköpfe).

    Weiters weisen die Autoren ausdrücklich darauf hin, dass die extrem kurze Vorwarnzeit (im Verhältnis zu kalten Krieg) die Situation verschärft und wohl einer der Punkte ist, wieso die ‘alte Logik’ hier nicht so recht greifen will.

  17. #17 ali
    November 14, 2011

    @Bell

    Was ich sage ist, dass in der stipulierten Logik der Autoren, im Falle eines nicht nuklearen Irans, Israel die Atomombe noch lockerer sitzen müsste, da es keinen Zweitschlag riskieren würde.

    Wenn ich dich richtig verstehe (und ich bin mir immer noch nicht ganz sicher ob ich das tue), machst du einen qualitativen Unterschied zwischen Nuklearbombe haben und Nichtbesitz. Nun würde ich das nicht eine typische Annahme für ein Sicherheitsdilemma, ich könnte mir die Konstruktion eines solchen Argumentes aber dann vorstellen wenn man sagt, dass nur dann das Überleben Israels in Gefahr sei. Nun gut, das Problem bleibt dann aber die Frage nach der Motivation Irans im Rahmen dieser Theorie, Israel anzugreifen. Weil in diesem Szenario würde Israel reagieren “müssen” weil es meint, dass sonst der Iran einen Erstschlag vornehmen würde. Der Iran wird aber gemäss Theorie nicht versuchen einen Erstschlag vorzunehmen, solange Israel eine Zweitschlagkapazität und eine solche nukleare Übermacht behält. In diesem Fall ist die Logik der Autoren zirkulär: Israel wird einen Präventivschlag begehen weil der Iran vermutlich einen Präventivschlag begehen wird weil Israel vermutlich einen Präventivschlag plant… Das ist das Prinzip Abschreckung von hinten aufgezäumt. Der Atomkrieg ist so fast unausweichlich, weil eben niemand abgeschreckt wird. Hier nochmals wie die Autoren des Artikels argumentieren:

    From the very start, the nuclear balance between these two antagonists would be unstable. Because of the significant disparity in the sizes of their respective arsenals (Iran would have a handful of warheads compared to Israel’s estimated 100-200), both sides would have huge incentives to strike first in the event of a crisis. Israel would likely believe that it had only a short period during which it could launch a nuclear attack that would wipe out most, if not all, of Iran’s weapons and much of its nuclear infrastructure without Tehran being able to retaliate. For its part, Iran might decide to use its arsenal before Israel could destroy it with a preemptive attack.

    Es führt kein Weg daran vorbei. Man muss einer die Rationalitätsannahme für eine Seite auflösen um es so begründen zu können. Die Autoren scheinen diese Annahme aber für beide Länder stehen zu lassen: “both sides would have huge incentives to strike first” Das Wort incentive weist klar auf die Rationalitätsannahme auch für den Iran hin. Und da hakt es eben.

    Würde man dieses Denken der Autoren wirklich zu Ende führen wäre das sicherste, Iran so schnell wie möglich zu einem grossen Arsenal zu verhelfen oder ihm den Schutzschirm anzubieten. Ich glaube nicht, dass das im Sinne der Autoren des Artikels ist.

  18. #18 Bernd
    November 14, 2011

    Danke, ist jetzt klarer.

  19. #19 Bell
    Februar 15, 2012

    @Ali:

    Der Iran wird aber gemäss Theorie nicht versuchen einen Erstschlag vorzunehmen, solange Israel eine Zweitschlagkapazität und eine solche nukleare Übermacht behält.

    Markus Becker schreibt dazu in Spiegel-Online:

    Zudem wäre das nukleare Arsenal Irans zunächst klein, das von Israel steht auf engem Raum – beide könnten womöglich schon vom ersten Schlag des Gegners komplett vernichtet werden. Die sogenannte Zweitschlagskapazität, von zentraler Bedeutung für das Funktionieren einer gegenseitigen nuklearen Abschreckung, könnte deshalb aus Sicht Irans oder Israels kaum gegeben sein.

    Wenn das stimmt … würde es logischerweise aufjedenfall auf einen Atomkrieg hinauslaufen, sobald Iran die Waffe hat. Und es braucht ja nur einer von Beiden zu glauben, dass es stimmt.

    Zunehmend gewinnt man den Eindruck, dass Israel daher schon recht bald versuchen wird, einen Angriff zu starten.

  20. #20 ali
    Februar 15, 2012

    @Bell

    Naja, würde mich ja interessieren woher Becker diese Information hat, dass Israels Waffen “auf engem Raum” stehen und wie gross es ist. Offiziell hat Israel ja gar keine Atomwaffen. Klingt ein wenig nach einem Gefälligkeitsargument (oder unüberlegt abgeschrieben). Wenn Israel zur Abschreckung Atomwaffen will, warum soll es die an einem Ort aufeinander stapeln? Das ist doch Schwachsinn. Auch könnte Iran wäre es wahr ohne Atomwaffen Israels Fähigkeit zum Erstschlag eliminieren. Hat er aber bisher nicht. Es bleibt also dabei: Die Schlüsse der Autoren sind bei einer konsequenten Anwendung der Abschreckungstheorie nicht haltbar.