Ich habe vor kurzem über die Eurokrise gebloggt und kommentiert, warum ein Verlassen der Eurozone durch Griechenland vermutlich niemandem dienen würde. Gestern hat Jürgen zu einem Artikel über die Rolle Deutschlands in der Krise geschrieben. Wenn der Lösungsweg vorgegeben ist, warum tut den keiner was? Dies ist eine gute Gelegenheit einen klassischen Artikel meines Fachs aus der Schublade zu holen und abzustauben: Robert Putnams Two Level Games.
Mit Überraschung stellte ich fest, dass Putnams Konzept nicht einmal einen Wikipedia Artikel auf Deutsch hat. Für einmal kann es nicht an Relevanz mangeln zumindest nicht insofern die Politikwissenschaften betroffen sind. Relevant ist der Artikel aber nicht nur für das Fach, sondern auch weil er auch einiges ausleuchtet, was im Zusammenhang mit der jüngsten Eurokrise zu beobachten war. Eine ausgezeichnete Gelegenheit also diesen inzwischen schon älteren Artikel von 1988 (Putnam, R. (1988). Diplomacy and domestic politics: the logic of two-level games, International Organization, 42 (3)) hier kurz vorzustellen um dann, als praktisches Beispiel sozusagen, die Verbindung mit der Eurokrise zu machen. Also bitte anschnallen. Wenn wir fertig sind, könnt ihr bei der nächsten Coktailparty-Diskussion zu internationalen Beziehungen ein wenig über “two level games” schwadronieren. Klingt immer gut.
Die Theorie ist leicht erklärt. Es geht um das Zusammenspiel der internationalen Ebene mit der nationalen. Eine grosse Zahl von generellen Erklärungsmustern im Fach der internationalen Beziehungen geht von nur einer Richtung der Beeinflussung aus. Es gibt Theorien die darauf hinauslaufen, dass die internationale Ebene die nationale prägt und dann gibt es jene, die besagen, dass das internationale ein Aggregat seiner Teile ist. Um dies mit zwei Beispielen aus diesem Blog zu erläutern: Wenn Diktatoren sich anders verhalten, weil ein internationaler Strafgerichtshof geschaffen wurde, wäre das ein Beispiel für die internationale Ebene, die die lokale prägt. Wer meint, dass das Stattfinden von Friedensverhandlungen und ein Erfolg von solchen primär davon bestimmt ist, was die politischen Anliegen der verschiedenen Akteure in Israel und den besetzten Gebiete sind, benutzt die zweite These. Natürlich ist die Wirklichkeit immer etwas komplexer und es ist wohl alle bewusst, dass beides zutreffen kann. Es geht hier primär um eine analytische Linse durch welche wir eine Situation zu verstehen versuchen.
Putnam schlägt nun vor, dieses Zusammenwirken als ein Spiel auf zwei Ebenen zu betrachten. Regierungen oder Chefunterhändlerinnen respektive -unterhändler stehen zwischen diesen beiden Ebenen und am Knotenpunkt von zwei taktischen “Spielen”. Viele, die von berufswegen verhandeln, betonen, dass die Verhandlungen an der Heimfront, wo man Resultate verkaufen und rechtfertigen muss, oft ebenso schwierig wenn nicht schwieriger sind als diejenigen mit den internationalen Partnern. Putnam argumentiert, dass diese beiden Ebenen auch gegeneinander ausgespielt werden können. Zu Hause kann man sich zum Beispiel als Opfer von äusseren Zwängen präsentieren um etwas unliebsames durchzusetzen (“es handelt sich leider um eine EU Direktive, da könne wir nichts machen”) oder man kann auf dem internationalen Parkett sich auf die nationale Undurchsetzbarkeit einer Massnahme berufen (“Nein, wir können keiner Bestimmung zur erleichterten Einwanderung aufnehmen, das Referendum wäre uns sicher und es wäre politischer Selbstmord”). Die beiden Ebenen können gegeneinander ausgespielt werden, schränken die Akteure aber gleichzeitig auch ein. Ausserdem können diese auch versuchen das Publikum auf beiden Ebenen zu manipulieren (z.B. kann man eine Gruppe zu Hause gegen eine Idee aufpeitschen um dies bei internationalen Verhandlungen als Einschränkung anzuführen). Um die Sache noch zusätzlich zu verkomplizieren, verfolgen diese Akteure oft auch eine eigenen vielleicht sogar persönliche Agenda.
Diese Idee von Two Level Games ist ein interessanter Blickwinkel auf die Eurokrise und die Schwierigkeiten eine Lösung zu finden. Ich vermute, dass es den meisten Politikerinnen und Politikern durchaus klar ist, was zu unternehmen wäre. Es ist ihnen aber auch klar, dass dies zu Hause politische schwer durchzusetzen ist. Das erklärt unter anderem die Serie von halbherzigen verspäteten Rettungsversuchen, welche, wären sie nicht in kleinen Schritten vorgenommen worden, vielleicht schon lange gereicht hätten um die Märkte zu beruhigen. Der grosse Sprung war aber eine innenpolitische Unmöglichkeit. Gleichzeitig versuchen Länder mit Verweis auf ihre Bevölkerung zusätzlich Druck aufzubauen um eine für sich vorteilhaftere Lösung herbeizuführen. Das Nicht-Euroland Grossbritannien mit seiner euro- und europaskeptischen Bevölkerung zum Beispiel oder Griechenlands Ankündigung eines Referendums kann man dahingehend interpretieren.
Wenn die innenpolitisch möglichen Lösungen und die möglichen internationalen Lösungen (bei Putnam Win Sets genannt) keine Überlappungen aufweisen, wird kein gemeinsam akzeptables Resultat gefunden werden können. Zentrale Frage für Putnam wäre diesbezüglich, was für die beiden Ebenen die Kosten einer Nicht-Lösung für die verschiedenen Akteure ist. Diese scheinen im Fall der Eurokrise besonders hoch (zumindest wenn man bereit ist, meiner Argumentation im letzten Eintrag zum Thema zu folgen). Dies kann auch der Grund sein, warum man Hoffnungen in technokratische Regierungen setzt. Die Annahme ist, dass solche weniger den innenpolitischen Zwängen ausgesetzt sind (heisst natürlich nicht völlig losgelöst, sondern eben nur weniger) und einen internationalen Plan eher durchsetzen kann.
Ganz soweit hergeholt ist dieser Vergleich nicht. Putnam beginnt seinen Artikel von 1988 mit einem Beispiel das uns bekannt vorkommen könnte: Die Wirtschaftsmächte USA, Deutschland und Japan streiten über mögliche Konjunkturbelebungsmassnahmen. Die grossen Probleme sind unausgeglichene Handelsbilanzen, ein sehr tiefer Dollar und eine schwere Wirtschaftskrise. Der Artikel bezieht sich auf die Konsequenzen des grossen Ölschocks Mitte der 1970er. Am Ende gab Deutschland dem Druck nach und willigte in ein Konjunkturprogramm ein. Gemäss Putnam weiss man aber inzwischen, dass Bundeskanzler Schmidt sich vermutlich gerne zu Massnahmen hat drängen lassen, die er ohne diesen äusseren Druck innenpolitsch nicht hätte durchsetzen können. Die Frage ist nun, ob dies eine weitere Parallele zur Eurokrise ist.
Referenz:
Putnam, R. (2009). Diplomacy and domestic politics: the logic of two-level games International Organization, 42 (03) DOI: 10.1017/S0020818300027697
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