Guttenberg ist nicht der einzige Politiker, dessen Doktorarbeit wohl zum Leidwesen des Verfassers vom Standardschicksal der Versenkung gerettet wurde, weil ihr Autor im Scheinwerferlicht steht. Newt Gingrich, der neue mögliche US Präsidentschaftskandidat der Republikaner, musste sich dazu auch ein paar Fragen gefallen lassen.
Ich gebe zu, der Vergleich mit Guttenberg ist etwas unfair. Niemand stellte bisher die Eigenleistung von Gingrich in Frage oder unterstellte ihm gar ein Plagiat oder wissenschaftliches Fehlverhalten. Die Kritik ist rein inhaltlicher Natur.
Gingrich hat 1971 zur Bildungspolitik im Kongo nach dem Krieg promoviert (ja, ich gebe es zu, ich war überrascht). In seiner Dissertation hat er offensichtlich die belgische Kolonialherrschaft diesbezüglich eher positiv eingeschätzt (und scheint allgemein ein gewisses Wohlwollen der Kolonialpolitik entgegengebracht zu haben). Dies ist insofern erstaunlich, da es auch schon 1972 im Kontext der belgischen Kolonialherrschaft mindestens als ein Mangel an Sensibilität auszulegen ist, wenn festgestellt wird, dass diese im “Kongo kein Desaster” war.
Aber eigentlich ist das egal, denn es ist schlicht etwas seltsam, eine 40 Jahre alte Dissertation hervorzukramen und als Gegenargument für eine US Präsidentschaftskandidatur zu verwenden. Gingrich hat sicherlich genug andere Schwächen, die angesprochen werden müssen. Seine Dissertation war als wissenschaftliche Arbeit eingereicht und soll auch als solche diskutiert werden. Ihm heute eine politische Sichtweise auf der Basis einer 40 Jahre alten Dissertation zu unterstellen ist irgendwie nicht fair.
Der Blogeintrag der Autorin, die vor etwa zweieinhalb Jahren als erste über Gingrichs Dissertation geschrieben hat, spricht wahrscheinlich vielen, die durch diesen Fleischwolf gedreht wurde, aus dem Herzen:
Heaven forbid that any of us be judged by our dissertations. The last stage of earning a PhD is a miserable process, fraught with exhaustion, self-doubt, and the abuse of caffeine. By that point, most graduate students have given up on making a unique and brilliant contribution to the academy and are ready to settle for a dissertation that is good enough to get past a committee of scholars and the university’s administrative authorities. A dissertation is not necessarily fully reflective of the author’s views. Committee members’ preferences have to be satisfied, which is one reason most newly minted PhDs significantly revise their dissertations before publishing them as books.
Gott bewahre, dass jemand von uns später auf der Basis unserer Dissertation beurteilt wird. Die letzte Phase einer Doktorarbeit ist eine elendige Prozedur, gezeichnet von Erschöpfung, Selbstzweifel und dem Missbrauch von Koffein. Die meisten Promovierenden haben zu diesem Zeitpunkt aufgegeben einen einzigartigen und brillanten Beitrag zum eigenen Forschungsgebiet beizusteuern und haben sich damit abgefunden, mit einer Dissertation zu leben, die ausreicht um eine wissenschaftliche Jury zu passieren und die universitäre Administration zu befriedigen. Eine Dissertation reflektiert auch nicht voll und ganz die Sicht des Autors respektive der Autorin. Die Präferenzen der Mitglieder der Jury müssen auch beachtet werden. Dies ist mitunter ein Grund, warum frisch promovierte oft signifikante Änderungen am Manuskript vornehmen, bevor sie diese als Buch publizieren.
Dies ist in meinen Augen nicht nur eine gute Zusammenfassung des Endspurts einer Doktorarbeit, sondern markiert auch ausgezeichnet die Abgrenzung zu den Vorwürfen an Guttenberg. Seine angeführte “Dreifachbelastung” und “Stress” sind nicht Extrembedingungen, die Fehlerhalten entschuldigen, sondern die Standardsituation. Viele schreiben dann vielleicht etwas, mit dem sie nur zum Teil glücklich sind. Das ist der Kompromiss den man eingeht weil man ehrlich ist. Betrug ist für die überwältigende Mehrheit eben trotzdem keine Option. So hat vielleicht auch Gingerich halt einfach etwas Dummes geschrieben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Kommentare (8)