Wie man bei Weitergen nachlesen kann, gibt es im Moment eine Diskussion um das Für und Wider einer eventuellen Publikation von Forschungsresultaten zu einem veränderten und für Menschen gefährlichen Grippevirus, das per Tröpfcheninfektion übertragen werden kann. Die gross Angst trägt einen altbekannten Namen: Terrorismus. Grund genug sich ein paar Gedanken zum möglichen strategischen und taktischen Nutzen einer solchen Biowaffen zu machen.
Um zu Entscheiden inwiefern eine Publikation eher nützt (Entwicklung einer Impfung) oder schadet (Bauanleitung für potentielle Bioterroristen) müssen die Risiken gegen den Nutzen abgewogen werden. Beides beinhaltet mehrere Elemente über die ich nicht kompetent schreiben kann. Weder weiss ich, wie einfach und mit wie viel Know-How solche Resultate repliziert werden können, noch kann ich einschätzen, wie wichtig die möglichst grosse Verbreitung dieser Resultate ist, um eine Impfung entwickeln zu können. Zu einem Teilaspekt hingegen kann ich ein paar Gedankenanstösse bieten: Wie ist der Anreiz einzuschätzen, ein solches Virus als Waffe einzusetzen.
Zuerst stellt sich die Frage nach der Rationalität der Akteure. Dies ist eine Grundannahme die zentral ist und die Schlussfolgerungen bestimmt. Wenn wir davon ausgehen, dass die Akteure irrational handeln, erübrigt sich wohl jeder weitere Versuch einer Analyse. Ein solches Verhalten kann dann nicht mehr vorausgesagt werden, ausser vielleicht, aus einem Verständnis der spezifischen Psychologie heraus. Alleine die Begriffe Strategie und Taktik setzen eigentlich ein Minimum an rationalem Handeln voraus. Für die folgenden Gedankengänge gehe ich also von einem rationalen Kern aus.
Dies führt uns zu einer zweiten Unterscheidung, die für das Gedankenspiel in diesem Eintrag hilfreich ist: Man sollte zwischen staatlichen Akteuren und kleinen autonomen Gruppen mit terroristischen Zielen unterscheiden. Staaten haben sicher mehr Resourcen zur Verfügung, haben aber auch eine Tendenz eher auf vorgespurten Bahnen zu funktionieren, da viel mehr Personen in die Entscheidungsfindung involviert sind und es zahlreiche institutionelle Zwänge gibt.
Gegen Menschen gerichtete biologische Waffen können zu sehr unterschiedlichen Zielen eingesetzt werden und sind auch nicht unbedingt alle gleich tödlich (falls überhaupt). Ein grosses Problem eines Einsatzes einer solchen Grippe-Waffe wäre sicherlich die fehlende Zielgerichtetheit (etwas das Milzbrand zum Beispiel eher bietet). Da die eher einfache Übertragung von Mensch zu Mensch genau das herausragende Merkmal ist, könnte die Verbreitung der Krankheit nicht mehr kontrolliert werden. Dazu kommen viele andere Unbekannte: Wie letal ist das Virus tatsächlich und behält es dieses Potential oder schwächt es sich mit der Verbreitung ab? Gibt es irgendwelche Schutzmassnahmen, wie schnell stehen diese zur Verfügung und wie schnell verbreitet sich das Virus tatsächlich?
Für einen Staat scheint mir der Einsatz eines solchen biologischen Agenten als sehr unattraktiv. Er wird über kurz oder lang auf die eigene Bevölkerung inklusive Entscheidungsträger und die eigenen Soldaten zurückfallen (ausser man besitzt eine Impfung und weiss von deren hohen Effektivität). Sie taugt auch nicht viel zur Abschreckung im Sinne von “Wenn du mich attackierst, reisse ich einfach alle mit mir in den Abgrund” wie zum Beispiel bei der nuklearen Abschreckung ins Feld geführt wird. Es gibt nicht einen “roten Knopf” der sofort und quasi automatisch gedrückt werden kann. Das Zurückschlagen würde später stattfinden und die Verbreitung wäre langsam. Ist der Gegenschlag nicht unmittelbar, steigt das Risiko, dass er nicht mehr stattfindet.
Nun handeln nicht-staatliche Akteure vielleicht weniger rational, da es weniger institutionelle Bremsen und Abschwächungen gibt und solche Gruppen auch einfacher radikalisiert sein können. Staaten neigen schliesslich nicht zu Selbstmordattentaten, Terroristen jedoch schon. Deren Ziel ist die Verbreitung von Angst zum Erreichen ihrer politischen Ziele. Sie wollen Einschüchtern und kurz- oder langfristig Druck ausüben. Ich sehe zwei Probleme mit einem solchen Virus als Waffe: Erstens wäre es vermutlich schwierig, dafür glaubwürdig die Urheberschaft zu beanspruchen. Genau so gut könnte eine Gruppe nun die Verantwortung für den H1N1 Strang oder SARS für sich beanspruchen. Wie würde ein glaubwürdiges Bekennerschreiben aussehen und wie kann es von einem erfunden Anspruch unterschieden werden? Ich vermute man könnte billiger, einfacher und mit weniger Eigenrisiko effektiver Angst verbreiten, nämlich indem man sich auf “traditionelle” Mittel konzentriert
Warum also die Sorge des US National Science Advisory Board for Biosecurity (NSABB)? Ich kann mir vorstellen, dass diese Bedenken unter anderem entstehen, weil solche Organisationen mit anderen Fragestellungen operieren. Beim Versuch den nächsten Anschlag “vorausszusehen” überlegt man sich eher, was denkbar und machbar ist und weniger was aus der Sicht einer Terrororganisation sinnvoll und effizient erscheint. Dies wird verstärkt durch die oft implizite Annahme völliger Irrationalität dieser Gruppen (z.B. “zu allem fähige Fanatiker”). Der Auftrag “Biosicherheit” zu gewährleisten impliziert schon die Bedrohung der Methode und dass deren Einsatz potentiell erstrebenswert ist. Ausserdem gilt was sonst bei Terrorwarnungen immer wieder als Prinzip befolgt wird: Eine falsche Warnung ist nach einer Woche wieder vergessen. Passiert jedoch etwas, werden Schuldige gesucht. Etwas zu viel Angst lohnt sich so gesehen immer. Leider spielt dies oft auch den Terroristen in die Hände.
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