Als Grass’ Gedicht “Was gesagt werden muss” erschien, wollte ich es hier ignorieren. Zu plump schienen mir seine Argumente, zu durchsichtig sein Verlangen nach Öffentlichkeit. Diese Diskussion hier ebenfalls zu führen, so dachte ich, ist eine unnötige Sauerstoffzufuhr für ein Brikettfeuer. Nun tue ich es trotzdem, aber zumindest spare ich euch die Gedichtform.
Es ist mir bewusst, dass ich damit meinen kleinen Beitrag leiste, Grass genau die Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die er bewusst oder unbewusst mit diesem Gedicht suchte. Da aber die Diskussion weitgehend entlang der üblichen argumentativen Untiefen verläuft, möchte ich doch einen inhaltlichen Kommentar dazu abgeben. Es wird zuviel über Grass und zuwenig über die internationale Politik diskutiert.
Wenn wir nun darüber streiten, ob Grass ein Antisemit sei, ob man seine Israelkritik mit seiner SS Vergangenheit in Verbindung setzen kann oder muss, warum er sich nicht gegen Pakistan wendet und den Iran mehr kritisiert, dann beschränken wir uns auf wenig gewinnbringendes Fingerzeigen. Ich werde mich zu all diesen Dingen nicht äussern. Nicht zuletzt weil das Thema immer gleich alle Diskutierenden in diese diskursiven Schützengräben treibt, sind diese Debatten so schwierig und ergebnisarm. Ausserdem funktioniert genau deswegen Grass’ Provokation so ausgezeichnet. Dabei vergessen geht der eigentliche Inhalt und da hat Grass deutlich gezeigt, dass er nur oberflächlich die Probleme verstanden hat.
Ich bin bei mehrere Passage in Grass’ Text hängen geblieben und möchte die offensichtlichsten Schwachstellen hier hervorheben. Das ist sicher keine abschliessende Kritik sondern ein paar Gedankenanstösse, worüber man eigentlich diskutieren müsste. Mit einer solchen Inhaltlichen Auseinandersetzung würde der Autor als als jemand entlarvt, der bis auf seinen Namen wenig zur Diskussion beizusteuern hat. Spricht man nun nur über Grass und seine Motivation entsteht hingegen der Eindruck, dass er etwas angestossen hat. Die Märtyrer-Pose mit dem “endlich mal einer der sich traut zu sagen, was alle denken” ist nämlich kein Sarrazin-Monopol, das sollte man auch auf der politischen Backbordseite nicht vergessen.
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte
Wenn die Prämisse falsch ist, ist natürlich nicht mehr viel zu machen. Genau in dieses Fettnäpfchen hüpft Grass hier und zwar enthusiastisch, mit beiden Füssen gleichzeitig. Wenn man von “Erstschlag” im Kontext von Nuklearwaffen spricht, dann ist da in der Regel ein nuklearer Erstschlag gemeint (auch die Wendung “Volk auslöschen” weist auf diesen Kontext). Vielleicht war das alles nicht so gemeint. Dann lässt die Wortwahl aber vermuten, dass er sich reichlich wenig mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Gerade in einem Gedicht könnte man erwarten denke ich, dass die Präzision der Worte und deren Gewicht von Bedeutung sind. Selbst bei den verwegensten Planspielen ist mir bisher noch kein ernstzunehmender Befürworter eine nuklearen Erstschlages gegen den Iran begegnet. Nicht einmal von einem breit geführten Krieg ist in der Regel die Rede. Man spricht eigentlich fast durchgehend von gezielten, limitierten Angriffen (was auch historisch das Mittel der Wahl ist). Man kann zu diesen stehen wie man will und über deren Eskalationspotential spekulieren. Von der geplanten “Auslöschung eines Volkes” kann aber sicher keine Rede sein.
Dass das iranische Volk von einem “Maulhelden unterjocht” ist, stimmt durchaus. Dass dieser aber ein Populist ist und unter anderem wohl auch deshalb das Atomprogramm vorwärts treibt stimmt aber auch. Dies steht im Widerspruch zum Eindruck den Grass hier erwecken möchte, dass es sich um ein nur von oben herab, dem iranischen Volk aufgezwungenes Projekt handelt. Wie viel Unterstützung dafür in einem demokratischen Iran vorhanden sein würde, können wir jedoch nicht wissen (auch Grass nicht).
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.
Da spricht Grass das eigentlich Kernproblem an. Es ist umstritten, ob der Iran wirklich an einer Atombombe baut und selbst die CIA war bis vor nicht all zu langem der Meinung, dass das Programm eingefroren wurde. Gleichzeitig reichert der Iran Uran an, was ein potentieller Schritt in Richtung Atomwaffe sein könnte aber auch zivile Zwecke verfolgen kann. Ersteres wäre illegal (dazu später mehr), letzteres in hingegen im Rahmen der Rechte Irans. Das ist eine der zentralen Fragen der Debatte und nicht ein Nebensatz, der nur da zu stehen scheint, um zu suggerieren, es gehe alleine um den Machterhalt durch Israel in seinem Hinterhof. Das mag ein Aspekt sein, greift aber viel zu kurz und vernebelt gar wichtige Fragen.
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten –
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?
Grass wirkt hier wiederum sehr unpräzise. Israel besitzt zwar ziemlich sicher Atomwaffen. Dies wird aber nicht “geheimgehalten” im Sinne von “niemand darf das wissen”. Es wird weder bestätigt noch bestritten und dies ist eine gezielte Politik. Ein offenes Zugeben könnte eine nukleare Rüstungsspirale in Gang setzen. Hingegen funktioniert Abschreckung nur, wenn der Gegner auch weiss, dass man Nuklearwaffen besitzt. Also stellt man sicher, dass er es weiss, ohne zu sagen, dass man sie hat. Das kann man gut oder schlecht finden, aber Grass scheint das nicht verstanden zu haben.
Die Aussage es gäbe ein “wachsendes nukleares Potential” Israels, basiert sie denn tatsächlich auf Quellen, ist darum wohl eher selektiver Wahrnehmung als Sachkenntnis zu verdanken. Die Schätzungen über das Israelische Arsenal gehen in der Regel seit Jahren weit auseinander. Grass weiss dies ein paar Zeilen vorher noch, schliesslich klagt er dort über die “Geheimhaltung”.
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden
Dies ist ein Satz, der im Hagelsturm der Grass Kritik immer wieder zitiert wird. Ich halte ihn aber für so uninteressant wie eine Feststellung zum Wetter. Es gibt jene, die Atomwaffen, und auf solche Waffen bezieht sich Grass in diesem Satz schliesslich, als grundsätzllich destabilisierend sehen. Dann gibt es die ganze Abschreckungstheorien die besagen, dass deren Präsenz eigentlich eine stabilisierende Wirkung hat (bei einem Gleichgewicht wohlgemerkt). Ausser Grass bezieht sich auf einen nicht-nuklearen Schlag (warum dann aber “Atommacht Israel”) oder er verlangt, dass der Iran eine Bombe für den Weltfrieden braucht (ich bezweifle stark, dass er dies sagen will), dann ist seine Aussage ein Allgemeinplatz: Die “Atommacht Israel” gefährdet in dieser Logik den Weltfrieden nicht weniger, aber auch nicht mehr als alle anderen Atommächten, egal ob USA, China, Frankreich, Pakistan, Indien und wer sonst noch die Bombe hat. Aber es geht ihm vermutlich nicht um den Aspekt des nuklearen, sondern um die Aussenpolitik. Würde der Dichter doch nur sagen, was er eigentlich sagen will.
Was mich zu Grass’ nächsten Zeilen bringt:
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird
Grass argumentiert so, als ob schon etwas geschehen wäre. Bis jetzt haben wir von Israel aber nur stetige Warnungen vor einem bevorstehenden Militärschlag gehört. Ich glaube durchaus, dass dies zumindest für einige eine realistische Option auf dem Tisch ist. Säbelrasseln gehört aber auch zur Politik und lautes Klappern mit dem grossen Säbel ist auch im Interesse Israels. Grass hingegen geht davon aus, dass die Politik alles tun will, womit sie droht. Das gleiche gilt natürlich auch für den Iran. Dies scheint aber schon zu viel der Differenzierung zu sein.
Der zweite Teil des Zitats spricht einen meines Erachtens tatsächlich wichtigen Aspekt an. Ich habe meine Zweifel, wie gut der Dichter das hier verstanden hat, aber ich bin zumindest beeindruckt, dass jemand “unbehinderte permanente Kontrolle (…) durch eine international Instanz” in ein Gedicht einbauen konnte. Da endet jedoch meine Bewunderung. Ich nehme an, Grass war hier irgendwie vom den Atomwaffensperrvertrag (NPT) inspiriert. Ich möchte diesen sowieso schon sehr langen Eintrag nicht noch mit einer detaillierten Diskussion des NPT zusätzlich in die Länge ziehen. Grass wird in seinen acht Zeilen der Problematik jedoch kaum gerecht.
Hier dazu nur soviel: Der Vertrag sieht auch ein Kontrollregime durch die Internationale Atomenergiebehörde vor. Israel hat den Vertrag nie unterzeichnet. Das Abseitsstehen ist wohl auch eine logische Konsequenz seiner weiter oben erwähnten Nuklearpolitik. Iran hat den Vertrag unterzeichnet. Bei ihm stellt sich die Frage ob und wie Iran diesen verletzt hat. Nun sind dies sicherlich interessante und wichtige Debatten. Grass’ Vorschlag, es sollen doch einfach beide “unbehinderte und permanente Kontrolle” einer “internationalen Instanz” zulassen, wirkt irgendwie naiv. Iran lässt sie (manchmal) zu, aber es ist umstritten ob in genügendem Ausmass. Was würden im Übrigen solche Inspektionen in Israel bringe, da es den Vertrag nicht unterzeichnet hat und man weiss, dass es Atomwaffen besitzt? Was fordert Grass genau? Eine Offenlegung der Isralischen Nuklearwaffen würde wohl nicht zwangsläufig den Weltfrieden fördern, eher im Gegenteil. Was würde sich für den Iran im Gegensatz zur jetzigen Situation ändern? Was ist der Zusammenhang zwischen Israels Inspektionen und der Drohungen konventioneller Schläge gegen Iranische Atomanlagen? Wie soll das eine das andere verhindern?
Je mehr ich über Grass’ Forderungen hier nachdenken, desto weniger verstehe ich, was da in seinem Kopf vorging. Wir sind alle für den Weltfrieden und einen nuklearwaffenfreien Globus. Wenn man aber sich in die Politik einmischt, Länder beim Namen nennt und so spezifische Forderung stellt, dann sollte man auch wissen wovon man spricht. Es handelt sich um Probleme die angesprochen werden müssen aber nicht in einem solchen kontextfreien Ratatouille der Ideen.
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.
Ich habe es selber auch oft gesagt, vieles in diesem Konflikt ist rational schwer zu erklären und es hat sich über die Jahrzehnte viel Hass aufgestaut. Die ganze Region nun als “vom Wahn okkupiert” abzustempeln (nachdem er doch gesagt hat, das iranische Volk sei nur von einem “Maulhelden unterjocht”) riecht aber stark, naja lieber Herr Grass, nach Orientalismus. Viele politische Akteure in der Region (und zwar von der Israelischen Regierung bis zur Hamas) verhalten sich durchaus kalt berechnend. Zu diesem politischen Kalkül gehört oft auch das Erstreben von Atomwaffen und militärische Aktionen als Mittel zum Zweck. Dass Grass seinen “Vorschlag” als einzige Lösung sieht, die Palästinenser-Frage, “allen Menschen in dieser Region” und “letztendlich auch uns” zu helfen, mutet in seiner Selbstüberschätzung und Naivität schon fast komisch an.
Aber statt darauf hinzuweisen, dass der Literatur-Kaiser in dieser Frage nackt dasteht, diskutieren wir seine Vergangenheit und ob er wohl Antisemit sei. Damit tun wir ausser Leuten wie Grass und Broder niemandem einen Gefallen.
P.S.: Irgendwie möchte ich noch erwähnen, dass ich einige Bücher von Grass sehr gerne gelesen habe und für gute Literatur halte. Die Kritik hier bezieht sich nur auf den Inhalt dieses Gedichtes. Ich verstehe sicher mehr von internationaler Politik als von Schriftstellerei (was immer das auch heissen mag). Bei Grass scheint es sich jedoch umgekehrt zu verhalten.
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