Vor etwas mehr als einer Woche bin ich von einer Stippvisite aus dem Libanon zurückgekommen. Abgesehen von Einblicken wie MBA Studierende funktionieren habe ich auch das Zusammenleben im Libanon etwas mehr aus der Nähe beobachten können.
Zumindest in Beirut ist es eine erstaunliche Mischung aus Segregation und Zusammenleben der verschiedenen Gruppen. Man siedelt zwar getrennt aber ansonsten sieht man ein Miteinander von Moscheen neben Kirchen, Kopftüchern und kurzen Röcken, frommen Bärte und Bier, von Kreuzen und Halbmonden ohne offensichtliche Probleme. Nur ist halt Alltagsleben leider oft nicht Politik.
Die Wunden des 15 Jahre dauernden Bürgerkriegs (1975-1990) sind immer noch sicht- und spürbar. Ein Überbleibsel davon ist auch, dass die verschiedenen Gruppen nach wie vor bewaffnet sind (und dazu oft am Nachrüsten). Dies macht den Libanon zum politischen Pulverfass. Dass in der nächsten Nachbarschaft mit Syrien ein Staat am Auseinanderfallen ist, noch dazu einer, der über Jahrzehnte ein bestimmender Faktor in der Libanesischen Innenpolitik war, ist daher besorgniserregend. Die primäre Auswirkung bis vor kurzem war, dass mehr Waffen über die Grenze geschoben wurden und dass wohl vor allem kriminelle Gruppierungen auch über die Grenze in den Libanon kamen.1 Letzte Woche schwappte die Gewalt aber über.
Nach der Verhaftung des Islamisten Shadi al-Mawlawi wegen “Terrorismusverdachts” kam es zu Schiessereien im nördlichen Tripoli (heisst tatsächlich auch so, ist aber im Libanon) und Beschuss mit Panzerfäusten. Dieser Gewaltausbruch fand zwischen einer Alawitischen Enklave in einem Sunnitischen Quartier statt (die Segregation zieht ihre Linien auch durch die einzelnen Religionen). Die Alawiten, eine Abspaltung der Schiiten, sympathisieren oft mit dem Assad-Regime, welches selber alawitisch ist.
Nun sind solche Auseinandersetzungen nicht ein neues Phänomen in Tripoli. Neu hingegen ist, der direkte Zusammenhang mit den Problemen beim Nachbarn Syrien. Besonders heikel könnte sein, wenn die Armee in diese Auseinandersetzungen hineingezogen wird. Sie ist eine der wenigen wirklich nationalen Institutionen. Bei den Schiessereien wurde auch ein Soldat von einem Scharfschützen getötet. Die Regierung hat als Reaktion auf den Gewaltausbruch auch Truppen in den Norden verlegt.
Darum ist die Nachricht von heute, dass an einem der allgegenwärtigen Armee Checkpoints, Sheikh Ahmad Abdel-Wahed ein prominenter Assad Gegner und Prediger erschossen wurde, alles andere als gut. Die Armee hat eine Untersuchung angekündigt und sich vorläufig zurückgezogen. Die nächsten Tage und Stunden werden zeigen, ob die Situation in Tripoli unter Kontrolle bleibt.
Ein Grund, warum ich zumindest bis gestern eine Kettenreaktion im Libanon für unwahrscheinlich hielt, ist der Hisbollah-Faktor. Viele Beobachter sind sich einig, dass die Hisbollah inzwischen so stark ist, dass für die anderen Gruppen eine Eskalation als zu gefährlich erscheinen muss, da es klar ist, wer eine solche gewinnen würde. Diese militärische Stärke hat sie 2007 in den schwersten Kämpfen im Libanon seit dem Bürgerkrieg demonstriert. Da die Hisbollah inzwischen aber auch eine massgebliche politisch Kraft im komplizierten politischen Gefüge von Libanon ist und sich bisher pro-Assad positioniert hat, ist es fast unmöglich die Konsequenzen des Todes von Ahmad Abdel-Wahed abzuschätzen. Die ständig wechselnden Allianzen im barocken Gefüge der libanesischen Politik lassen immer eine grosse Marge für Überraschungen offen.
1 An dieser Stelle sollte ich vielleicht darauf hinweisen, dass ich in einem maronitischen Quartier war und vorwiegend mit Maroniten sprach. Die direkten Einblicke beschränken sich also auf diese Perspektive.
Update (21. Mai 9.35): Die BBC berichtet nun, dass es bei Ausschreitungen in Beirut mindestens zwei Tote gegeben hat. Das Übergreifen auf Beirut und der Verlust von Menschenleben verheissen nichts gutes.
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