Gestern konnte man bei den Scilogs eine “Kleine Kritik der Wissenschaftssprache” lesen. Genau genommen handelte es sich um eine Buchbesprechnung. Nun kann ich einer kleinen Replik nicht widerstehen, obwohl es mir wohl bewusst ist, dass eine solche auf ein Buch, das man nicht gelesen hat, etwas riskant ist. Man möge nachsichtig sein, handelt es sich doch um einen guten Zweck.
Als Nicht-Soziologe, der mit dem deutschsprachigen Fachvokabular kaum vertraut ist, da das ganze Studium auf Französisch und Englisch gehalten war und die Fachliteratur fast ausnahmslos Englisch geschrieben wird, gebe ich zu, dass ich zum Beispiel mit Luhmann auch so meine Mühe habe. Ich frage mich bei der Lektüre öfters, ob er nun gerade eine tiefe Einsicht mit mir teilt, oder ob das bisschen Luft nur sehr gut verpackt war. “So what?” war erhlich gesagt die zweithäufigste Reaktion, die er bei mir auslöste, dicht auf den Fersen von “Hä?”. Nur ist das nicht zwangsläufig sein Schuld (aber natürlich ist auch das Gegenteil nicht bewiesen).
Ich möchte hier gar nicht in Abrede stellen, dass viele wissenschaftliche Texte eine Zumutung für unbedarfte Leserinnen und Leser darstellen. Auch die Diagnose, dass in Seminar-, Magister- und Doktorarbeiten der Mangel an Leserbarkeit wegen den an solche Arbeiten gestellte Erwartungen oft die Schmerzgrenze überschreitet, teile ich eigentlich Meine eigene Dissertation bildet da keinesfalls eine Ausnahme. Trotzdem möchte ich hier kurz diese Unlesbarkeit verteidigen.
Ein wichtiger Grund für die schwere Lesbarkeit von Texten ist in meiner Erfahrung schlicht die Verwendung von Jargon. Welcher vielleicht in den Naturwissenschaften besser als “Notwendigkeit” akzeptiert ist. Auch wenn Jargon eine negative Konnotation hat, glaube ich, dass er nicht selten einen sprachlichen Effizienzgewinn darstellt (zugegebenermassen leider keinen ästhetischen). Ich habe darum mal einen zufälligen Fachartikel auf meinem Computer geöffnet um ein zwei Beispiele für Jargon heraus zu picken. Dafür herhalten muss ein Artikel aus World Politics (Kurt Weyland, Toward a New Theory of Institutional Change in World Politics, Volume 60, Number 2, January 2008, pp. 281-314). Beispiel Nummer eins:
Historical institutionalism expects path dependency
Für jemand der mit dem Thema nicht vertraut ist, wird es notwendig, zuerst einmal nachzuschlagen, was historischer Institutionalismus ist. Schnell merkt man, dass es sich um eine Methode, aber auch einen ganzen Korpus von Literatur handelt. Es gibt keinen Konsens, wer alles zum Club gehört. Zudem gibt es anscheinend einen “alten” und einen “neuen” Institutionalismus. Um zu verstehen, was das ganze dann mit Strukturfunktionalismus zu tun hat, muss man bereit sein, sich weiter in die Ideengeschichte einzulesen. Dann gilt es Path Dependency (Pfadabhängigkeit) zu dechiffrieren. Ein kurzer Blick auf den Wikipedia Artikel zeigt, wie viele Facetten dieser Begriff beinhaltet.
Nun könnte ich in einem Blogpost das Grundproblem vermutlich durch kleinere Ausformulierungen durchaus verständlich machen:
Die Denkschulen, die sich auf die Analyse von Institutionen und deren historischen Entwicklung konzentrieren, haben als Grundanahme, dass Prozesse, wie auf Schiene verlaufen und die Strukturen, von denen man ausgeht, die Richtung vorgeben.
Diese “Übersetzung” erfasst vermutlich den Kerngedanken des Satzes. Wer aber mit den Begriffen Historical Instutionalism und Path Dependency vertraut ist, hat das zuvor auch im weniger schweren Konstrukt verstanden und hat noch einen ganzen Rucksack mit zusätzlicher Information, die in dieser “Transkription” teilweise verloren ging: Was die Denkschule betrifft, gibt es Kritik, historische Entwicklungen, verschiedene Ansätze und Schwerpunkte und konkurrierende Modelle. Zur Pfadabhängigkeit gibt es eine ganze Literatur und unzählige Konzepte, die damit verhangen sind (z.B. Feedback-Loops, Institutionelle Trägheit, Theorien wann und unter welchen Umständen Veränderung trotzdem möglich ist, Probleme um kollektives Handeln, etc.). All dies wird im Grunde mit dem kurzen ursprünglichen Satz besser transportiert.
Noch ein zweites Beispiel aus dem selben Artikel:
In sum, distributional issues and power constellations make institutional change less likely than the individual-level findings of cognitive psychology might suggest. [Betonungen hinzugefügt]
Wie im vorherigen Beispiel repräsentieren alle diese Begriffe andere Forschung, Konzepte auf die man sich geeinigt hat (oder eben nicht) mit ihren eigenen Definitionen, Kritiken und Problemstellungen. Alleine distributional issues könnte man eine eigene Serie im Zusammenhang mit Spieltheorie starten, bevor man zu praktischen Beispielen übergeht. Machtkonstellationen sind nicht einmal primär Fachjargon (aber auch). Bei jemandem mit Hintergrund in Politikwissenschaften wird dieser Begriff gleich mehre Regionen des Hirns aufflackern lassen. Es ist mehr als die Frage nach “wer hat in einer gegebenen Situation am meisten Macht”. Es gibt ganze Seminare zu institutional change. Wer mit der Ideengeschichte der Internationale Beziehungen vertraut ist, weiss wie zentral die Frage ist, was die Basis-Analyseeinheit darstellt (Individuum, Staaten, andere Akteure?). Dies könnte man alles umschreiben. Der Satz würde verständlicher, vielleicht sogar ansprechender, aber Information würde für ein Fachpublikum verloren gehen und der Text aufgeblasen.
Man sollte natürlich durchaus nach Publikum unterscheiden. Ich würde hier im Blog kaum in der selben Sprache ein Thema diskutieren, wie ich das in einem Fachartikel tun würde. Das scheitert schon an den formalen Anforderungen an einen solchen spezialisierten Text. Es geht aber auch darum, dass ich mich damit an ein anderes Publikum richte. Ich erkläre auch jemandem der zur Verbreitung von Nuklearwaffen forscht, meine Arbeit zu Präferentiellen Handelsabkommen anders als jemandem der ein ähnliches Gebiet beackert. Jargon macht solche Texte tatsächlich oft sehr viel schwerfälliger für ein Laienpublikum. Es erlaubt aber auch Information in einer grösseren Dicht zu Papier zu bringen. Solche Begriffe repräsentieren nicht selten eine ganze thematische Literatur, Ideengeschichte oder spezifische Forschung.
Natürlich heisst das nicht, das darum automatisch gut bestellt ist um die Wissenschaftssprache in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Was mich zum Beispiel zum Sprachnörgeler macht, sind floskelhafte Sätze in einschlägigen Publikationen. Sätze die wie eine Parodie daherkommen und ausser Platz einzunehmen keine Funktion erfüllen und vermutlich nur dazu da sind, nach Aussen Expertise vorzugaukeln. Aber vermutlich bin ich selber auch schon Urheber solcher Stilsünden gewesen. Zu sehr verinnerlicht man solche Wendungen und zu gross bleibt häufig der Graben zur Muttersprache.
Nachtrag: Ebenfalls bei den Scilogs findet sich auf Con Text von Dierk Haasis auch noch ein lesenswerter Text zum Thema.
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