Gestern bezeichnete der UN Untergeneralsekretär für Friedenserhaltende Operationen Hervé Ladsous den Konflikt in Syrien als einen “Bürgerkrieg”. Wie definiert man eigentliche einen Bürgerkrieg, findet in Syrien tatsächlich einer statt und warum soll es uns kümmern, wie die Gewalt schlussendlich bezeichnet wird?
Es gibt nicht wenige in den Internationalen Beziehungen, die sich mit Fragen zu Krieg und Frieden beschäftigen. Da kommt man auch nicht umhin zu definieren, was man überhaupt als Krieg bezeichnet und wie man verschiedene Formen von politischer Gewalt abgrenzen kann. Nicht jeder Schusswechsel über eine Grenzlinie ist gleich ein Internationaler Konflikt, nicht jede Gewalt eine Rebellion oder ein Aufstand. Aus aktuellem Anlass möchte ich darum kurz einen kurz darauf eingehen, wie man einen Bürgerkrieg definieren kann.
Der Datensatz zu Grössere Episoden Politischer Gewalt von 1946 bis 2008 (Major Episodes of Political Violence) unterscheidet zum Beispiel zwischen “Internationale Gewalt”, “Internationale Konflikte”, “Internationaler Unabhängigkeitskrieg”, “Zivile Gewalt”, “Bürgerkrieg”, “Ethnische Gewalt” und “Ethnischem Krieg” (international violence, international war, international independence war, civil violence, civil war, ethnic violence, ethnic war). Gerade die Abgrenzung zwischen ethnisch motivierter Gewalt und “ordinärem” Bürgerkrieg ist aber schwierig, etwas das auch von den Autorenschaft eingeräumt wird. Für Syrien bildet dieses Problem die Grundlage für eine noch viel weitreichendere Diskussion und ist darum für eine erste Eingrenzung hier wenig hilfreich.
Fündig werden wir auf der Suche nach einer greifbareren Definition bei den Correlates of War (COW) einem weiteren Standard Datensatz. Ein Bürgerkrieg wird dort wie folgt definiert (meine Übersetzung):
- military action internal to the metropole of the state system member
- the active participation of the national government
- effective resistance by both sides
- a total of at least 1,000 battle-deaths during each year of the war.
- militärische Aktionen innerhalb des Mutterlandes eines Staates der internationalen Gemeinschaft
- aktive Teilnahme der nationalen Regierung
- effektiver Widerstand beider Seiten
- Gesamthaft mindestens 1’000 Tote in Verbindung mit Kämpfen jedes Jahr des Krieges.
Für Syrien sieht man sogleich, dass vermutlich vor allem die vierte Kategorie entscheidend für die Klassifizierung sein wird. Es gibt aber zwei Probleme mit denen man sich zuerst herumschlagen muss. Erstens sind verlässliche Opferzahlen notorisch schwer zu kriegen, da jede Seite ein politisches Interesse hat, diese zu manipulieren. Zweitens stellt sich die Frage, ob man Tote in der Zivilbevölkerung mit einrechnet oder nicht. Die ursprüngliche Definition von Battle-Related Deaths (Tote in Verbindung mit Kämpfen) die COW verwendet, schliesst diese mit ein. Dies ist sinnvoll, da gerade in einem Bürgerkrieg ist die Unterscheidung zwischen Militär und Zivilbevölkerung nicht immer einfach zu machen. COW jedoch ändert die Definition und schliesst die Zivilbevölkerung nicht mit ein, um die Zahlen vergleichbar zu halten mit den Daten zu anderen Kriegen. Im Rahmen des Projektes ist dies durchaus nachvollziehbar und kann gut gerechtfertigt werden. Schaut man die Zahlen zu den Toten in Syrien seit letztem Jahr an, sieht man, dass es nicht so einfach ist, mit Sicherheit festzustellen, ob es sich tatsächlich um politische Gewalt, die als Bürgerkrieg eingestuft werden kann, handelt oder nicht.
Nun kann man sich in Anbetracht des Leidens fragen, wieso spielt es überhaupt eine Rolle, wie wir die Gewalt benennen? Ist es nicht genug zu wissen, dass Menschen sterben? Politisch ist es sehr relevant, wie ein Konflikt wahrgenommen wird. Die Art des Konflikts respektive der Gewalt löst normalerweise unterschiedliche politische Antworten aus. Offensichtlich ist dies zum Beispiel im Falle des Terrorismus. Das Bonmot, dass was für den einen ein Terrorist sei, sei für jemanden anderen ein Widerstandskämpfer, trifft genau den Kern des Problems. Nicht zufällig spricht das Assad Regime von “Terrorismus” im aktuellen Konflikt. Aber auch für die internationale Gemeinschaft macht es einen Unterschied, ob es Gewalt alsbrutale Niederschlagung von Protesten oder als Bürgerkrieg eingestuft werden. Im ersten Fall ist es vor allem eine Frage von Menschenrechten und dem Schutz des Individuums. Im Falle eines Bürgerkrieges hat man plötzlich Gruppen, die (auch mit Waffen) unterstützt oder legitimiert werden können, möglicher Ansprechspartner sind und auch juristisch gelten andere Regeln (ein grosser Teil der Genfer Konventionen binden eigentlich auch Nicht-Regierungs Truppen).
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