Bei Jürgen wurde ein Artikel von Kenneth Waltz im Foreign Affairs heiss diskutiert. Waltz argumentierte, dass man den Iran doch die Bombe haben lassen soll. Dies ist in etwa so überraschend wie Justin Bieber Fans an einem Justin Bieber Konzert. Waltzs Artikel ist eine gute Gelegenheit kurz zu skizzieren warum.
Vielleicht erinnern sich einige daran, dass ich schon von den Orks der Internationalen Beziehungenen, den sogenannten Realisten, geschrieben habe. Einige Orks haben nämlich eine Evolution durchgemacht (wie die Uruk-hai, aber leider bricht da die Analogie zusammen). Es gibt nämlich auch einen sogenannten Neo-Realismus. Kennt man den, versteht man auch warum Waltzs Position alles andere als eine Überraschung ist.
Ich werde hier nur kurz versuchen deren Sichtweise der Internationalen Beziehungen zu skizzieren. Ein Service aus Anlass der Diskussion bei Jürgen, weil es vielleicht einigen hilft, Waltzs Artikel besser einzuordnen. Leute die mit den Denkschulen des Fachs vertraut sind werden nichts neues lernen (sie sind jedoch herzlich dazu eingeladen im Kommentarbereich Ergänzungen oder Korrekturen anzubringen).
Im Neo-Realismus ist wie im Realismus der Staat der zentrale Akteur. Dieser ist einheitlich und tritt nach Aussen auch so auf. Es ist egal wer an der Macht ist oder wie das politische System aussieht, es gibt nur das eine Staatsinteresse. Wie im Realismus geht auch der Neo-Realismus von einem anarchischen System aus, in dem jeder Staat auf sich selber gestellt ist und das Recht des mächtigeren gilt. Im Gegensatz zum Realismus konzentriert sich der Neo-Realismus hingegen auf das System selbst.
Die systemischen Bedingungen dominieren das Verhalten der Staaten. Das System (oder die strukturellen Bedingungen) setzt einen engen Rahmen, in welchem sich ein Staat bewegen kann. Seine Hauptsorge ist (zumindest in der klassischen Variante des Neo-Realismus) sein Überleben zu sichern. Man muss sich das so ein wenig wie eine extreme Hobbessche Welt vorstellen (ausser man denkt bei Hobbes zuerst an einen Plüschtiger, dann ist das vermutlich nicht hilfreich). Um dieses Überleben zu sichern rüstet man am besten auf. Dies verschärft aber die Bedrohungslage im System, so dass sich alle anderen wiederum bedroht fühlen und darum weiter aufrüsten. Den Rest kann man sich denken.
Nun ist diese Denkweise relativ klar zu Zeiten nuklearer Rüstung entstanden. Der Neo-Realismus postuliert auch, dass dieses internationale System uni-, bi- oder multipolar ist. Ähnlichkeiten mit uns bekannten Systemen und Konfrontationen während des Kalten Krieges sind nicht ganz auszuschliessen. Es gibt jedoch verschiedene Ansichten, ob die Staaten wirklich nur auf ihr Überleben fokussiert sind oder vielleicht an relativem Machtgewinn.
Wie auch immer, der Vater des Neo-Realismus ist eben dieser Kenneth Waltz, der sich auch im Foreign Affairs geäussert hat. Nun erstaunt seine Stellungnahme wohl niemanden mehr. Im Falle des Irans ist alles drin in der Mischung: Atomwaffen, systemische Argumentation und Staaten als rationale, einheitliche Akteure.
Ich hatte vor zwei Jahren die Gelegenheit einen Vortrag von Waltz zu hören. Er hat dabei betont, wie wichtig es sei, sich als auch als Politikwissenschaftlerin oder -schaftler in den Internationalen Beziehungen sich in die Politik einzumischen. Gerade wenn man anecken muss. Er und viele seiner Kolleginnnen und Kollegen hätten das auch schon beim Vietnamkrieg gemacht.
Waltz ist übrigens ein sympathischer älterer Herr. Er vertrat den Neo-Realistischen Standpunkt bei weitem nicht so dogmatisch wie man vielleicht meinen könnte (zumindest im Vergleich zu wie mir der Neo-Realismus nahe gebracht wurde). Liest man seine zum Buch verarbeitete Dissertation “Man, State and War” (1959) versteht man das vielleicht auch besser. Da ist die System-Ebene nur eine von mehreren. Auch wird dort deutlich, was er in seinem Vortrag auch erwähnt hat: Es handelt sich eigentlich um eine Arbeit der politischen Philosophie. Die, so soll hier noch angemerkt sein, auch Spass beim Lesen macht.
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