Am 10 Juli 2012 hat die Russische Duma den Beitritt Russlands zur Welthandelsorganisation (WTO) besiegelt. Dies war der letzte Schritt von scheinbar endlosen Verhandlungen, die sich seit 1993 zäh vorwärts bewegten (über die Hintergründe habe ich hier schon geschrieben). Das heisst aber nicht, dass Russland ab sofort ins Freihandelsnirvana eintritt, wo Einhörner über Handelsschranken springen und am Ende eines jeden Regenbogens völlige Zollfreiheit herrscht. Wie immer steckt da noch viel Politik drin. Vor allem ist interessant, was sich im Moment gerade im US Kongress dazu abspielt. Darum gibt es hier einen Zweiteiler zu den US-Russischen Handelsbeziehungen und Menschenrechte in Freihandelsabkommen.
Zwei Dinge müssen zuerst erklärt werden, um die Hintergründe des Problems verstehen zu können: Einerseits ist da der historisch Kontext in den USA zu erwähnen, anderseits zwei spezifische WTO Regeln (wer damit vertraut ist, kann sich die Langeweile sparen und gleich zum Abschnitt “Letzten Mittwoch hat die Finanzkommission des US Kongresses…” springen).
Beginnen wir mit den WTO Regeln. Da wäre zuerst einmal ein zentrales Prinzip in der WTO, die sogenannte Most favoured nation Klausel (MFN) oder Meistbegünstigungsprinzip. Sie besagt, dass ich jede Reduktion eines Zolles, welche ich einem Handelspartner gewähre, allen anderen Vertragsunterzeichnern ebenfalls zugestehen muss. Ich kann Land A nicht ein Privileg gewähren, das ich Land B verweigere. Die bringt uns zur zweiten, spezifischeren Regel, Artikel XIII, des WTO Abkommens lautet nämlich:
This Agreement and the Multilateral Trade Agreements in Annexes 1 and 2 shall not apply as between any Member and any other Member if either of the Members, at the time either becomes a Member, does not consent to such application.
Die Aussage dieses Artikels ist eigentlich relativ simpel (und darum spar ich mir die Übersetzung): Das Abkommen trifft zwischen zwei Mitgliedern (und nur zwischen diesen) nicht in Kraft, wenn ein Land vor dem Beitritt einen Rückzieher macht. Dies passiert sehr selten, es gibt meines Wissens nur drei Länder, die diese Klausel bisher beansprucht haben: Die Türkei (gegenüber Armenien), El Salvador (gegenüber China) und die USA für sechs Länder, wobei sie den Vorbehalt für vier Länder drei Jahre später wieder zurückgezogen hat.
Die USA haben also offensichtlich eine spezielle Umgang mit dieser Klausel. Dazu muss man wissen, dass in den USA MFN seit 1998 permanent normal trade relations (PNTR) heisst. Grundsätzlich gewähren die USA allen Ländern PNTR ausser es gibt eine explizites Gesetz, welches diese zurück nimmt. Solche Gesetzte gibt es für Kuba und Nordkorea. Dann gibt es das sogennante Jackson-Vanik amendment und hier nähern wir uns dem historischen Kern des Problems.
Das Gesetz stammt von 1974 und regelte die Beziehungen mit Ländern des ehemaligen kommunistischen Blocks. Es entzog allen nicht-markt-basierenden Ökonomien den NTR Status, wenn sie die Auswanderung beschränkten (etwas dass damals ziemlich weit oben auf der Liste der Menschenrechte stand, deren Verletzung man dem Kommunismus vorwarf). Wie auch immer, der Präsident kann über eine Ausnahme zu dieser Regel verfügen (ja, die Ausnahme zur Ausnahme. Handelsgesetze ähneln diesbezüglich sehr französischer Grammatik). Eine solche Ausnahme gab es in den späten 70ern für China und sie wird jetzt auch regelmässig Russland zugestanden. Nun sollte es auch klar sein, warum die USA so oft den WTO Artikel XIII beanspruchten: Die betroffenen Länder waren nämlich Rumänien, die Mongolei, Kirgistan, Georgien, Moldova und Armenien (zurückgezogen wurde es für Rumänien, die Mongolei, Kirgistan und Georgien).
Letzten Mittwoch hat die Finanzkommission des US Kongresses einstimmig eine Vorlage gutgeheissen, die Russland rechtzeitig zum WTO Beitritt PNTR gewähren soll. Das Problem ist nun aber, dass man den “Menschenrechtsaspekt” nicht einfach so unter den Tisch fallen lassen will (vermutlich ist man natürlich auch nicht abgeneigt, ein Druckmittel gegen Russland in den Händen zu behalten). Das Gewähren von PNTR ist daher mit einem anderen Gesetz gekoppelt, welche Sanktionen beim Nichteinhalten von Menschenrechten vorsieht. Die Version der grossen Kammer des Kongresses bezieht sich sogar spezifisch nur auf Russland.
Nun muss das natürlich schnell über die Bühne gehen, da sonst eine Ausnahme unter Artikel XIII der WTO beansprucht werden muss, da der Beitritt unmittelbar bevorsteht. Ansonsten hätte das WTO Abkommen dann beidseitig keine Gültigkeit. In diesem Fall sorgen sich einige US Politkerinnen und Politiker, dass damit US Firmen benachteiligt wären, wenn sie nicht von den Handelsliberalisierungen mit Russland profitieren könnten. Selten werden die Spannungen zwischen Realpolitik, Wirtschaftspolitik und vermutlich teilweise sogar idealistischer Menschrechtspolitik so offensichtlich.
Morgen folgt dann ein zweiter Teil zu diesem Artikel in dem ich mich der Frage annehme, ob das Koppeln von Menschrechtsfragen an Handelsliberalisierung sinnvoll ist und was die Literatur in meinem Fach dazu sagt.
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