Vermutlich kommt diese Situation den meisten promovierenden bekannt vor: Beim Party Smalltalk kommt die unvermeidliche Frage: “Und was machst du so?” Fängt man dann an zu erwähnen, dass man an einer Doktorarbeit schreibt und forscht, kommt nicht selten etwas in die Richtung von “Aha, ewige Studentin / ewiger Student.” Geht es ganz schief, folgt dann die Frage nach dem genauen Forschungsthema. Das ist der Moment, wo ich oft eine selbstironische “Warnung” gab, als Konversations-Notausgang sozusagen. Wurde diese Gelegenheit nicht genutzt, kam man dann nach etwas angestrengtem Zuhören und einem immer mehr in Richtung des Kühlschranks oder in die Ferne schweifenden Blickes zum Endspiel: “Was nützt uns das” (diese Frage ist eigentlich legitim, wenn sie tatsächlich als Frage gemeint ist) und das schreckliche “Was willst du denn einmal damit machen?”
Letzte Woche fand sich beim Independent ein sehr lesenswerter Artikel zu diesen Standardsituationen und wie sie eine verbreitete Wahrnehmung Promovierender reflektiert. Da es auf Twitter nicht wirklich zu einer Diskussion dazu gekommen ist, entschied ich mich für einen Blogbeitrag dazu. Hier also die Diskussion aus meiner Sicht (die sich weitgehend mit jener im Artikel deckt) und auf Deutsch:
Es gibt es vor allem zwei Aspekte die ich als Missverständnisse sehe: Das erste ist die Sicht, das Schreiben einer Doktorarbeit sei einfach eine Weiterführung des Studiums und sozusagen die Fortsetzung des Grundstudiums mit anderen Mitteln. In dem Sinne ist es auch nur ein temporärer Zustand, da man danach dann etwas “richtiges” machen wird. Zweitens schwingt nicht selten diese Idee des studentischen Lotterlebens mit. Da man “für niemanden arbeitet” und auch nicht für Geld, da das Thema nur aus Spass am Thema erforscht wird (“die Idee eines vereinigten Europas in den Widerstandsbewegungen des zweiten Weltkrieges? Was nutzt das der Menschheit, da wir kein Krebs geheilt…”) und da man sehr flexibel in seiner Zeiteinteilung ist, hangelt man sich vermutlich gemäss dieser Sicht der Dinge sorglos und von den Lasten des Arbeitswesens unbeschwert von Party zu Party. Man steht nur um sechs Uhr auf, damit es noch reicht vor Ladenschluss Bier kaufen zu gehen.
Nun, das ist nicht so, wie es (bei den meisten) funktioniert.
Zuerst einmal behaupte ich, dass Promovieren nicht primär als weitere Ausbildung gesehen werden sollte. Prüfung, Betreungsverhältnisse, Teilnahmepflichten an Vorlesungen und oder Seminaren, wirken zwar wie eine Weiterführung des Studiums. Gleichzeitig arbeitet man aber an einem eigenen Forschungsprojekt. Man ist weitgehend autonom und es sind die eigenen Ideen, das eigene Produkt, das am Ende steht. Promovierende leisten einen wichtigen Forschungsbeitrag mit ihren Arbeiten. Dazu kommt, dass in vielen Bereichen Forschungsknochenarbeit von Armeen von Doktorandinnen und Doktoranden geleistet wird. Was auch nicht vergessen werden darf ist, was die Ökonomie als Opportunitätskosten bezeichnet: Nicht wenige würden vermutlich in der Privatwirtschaft besser dastehen und verdienen. Sie alle opfern also auch Zeit und Geld für die Wissenschaft.
Arbeit an der Disseration beinhaltet (wenn ernstgenommen, Herr Guttenberg) viel harte Arbeit. Material muss gesammelt werden, Daten werden geordnet und verwertbar gemacht, Literatur muss gesichtet werden, der Umgang mit Software erlernt, Computerprobleme gelöst, Resultate vorgestellt und wieder überarbeitet werden und Texte ent- und verworfen werden. Das Lesen von hunderten von Fachpublikationen sollte dabei auch noch nebenher irgendwie passieren.
Gerade psychologisch nagt die vermeintlich grosse Freiheit oft. Keine zeitlichen Verpflichtungen heisst manchmal nicht “immer” sondern “nie” frei. Ständig sitzt einem das schlechte Gewissen wie eine Zecke im Nacken. Ein Kaffeepausenklatsch oder Austausch unter Kolleginnenen und Kollegen ist bei einer Stempeluhrarbeit durchaus drin. Es gibt in der Berufswelt auch unproduktive Tage und trotzdem hat man, ist man angestellt, meist seine acht Stunden bezahlt gearbeitet. Wenn ich aber alleine für mein Projekt verantwortlich bin (wie ein selbständiger übrigens), dann ist jede nicht produktive Zeit eine verpasste Möglichkeit, sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag. Der Umgang damit ist nicht immer einfach. Dazu kommt nicht selten ein Gefühl von Unzulänglichkeit, da man mit diesem Gefühl völlig mit sich alleine ist.
Nicht wenige promovierende sind dazu einer anderen Doppelbelastung ausgesetzt (von Familie spreche ich mal gar nicht erst): Neben der Doktorarbeit müssen nicht wenige auch noch Geld verdienen. Ich blieb auch drei Jahre lang 50% für ein Projekt tätig, das nichts mit meiner akademischen Arbeit zu tun hatte. Eine Erfahrung, die mir viel gebracht hat, aber dem Dissertationsprojekt viel Zeit gekostet hat. Die Alternative dazu ist was oft in den USA passiert: Eine hohe Verschuldung dank Darlehen.
Nun gibt es aber auch noch den Kern Wahrheit in den Klischees zu würdigen. Ich hatte immer das Gefühl, gewisse Privilegien zu geniessen. Tatsächlich konnte ich mir meine Zeit immer einteilen wie ich mochte. Ich kann auch am Donnerstag Nachmittag einkaufen gehen und nach Ladenschluss arbeiten und am Sonntag schreiben und am Montag Wandern gehen. Das ist die positive Seite von nie fertig sein (auch wenn dies immer mit schlechtem Gewissen geschah). Ich habe auch Teile meines Projektes inklusive eines Auslandsaufenthaltes durch Stipendien finanziert erhalten. Das persönliche Forschungsprojekt so finanziert zu erhalten und sich voll darauf konzentrieren zu dürfen ohne viele Nachfragen und Rechenschaft, ist natürlich ein riesiges Privileg, dass man ausserhalb von Akademia kaum findet und für welches ich auch dankbar war. Wenige Menschen werden fürs Nachdenken bezahlt und ich finde es natürlich schmeichelhaft, das
man dies für mich tat.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die Erfahrungen je nach Bereich stark varieren und gehe zum Beispiel davon aus, dass Teile der Erfahrungen in den Naturwissenschaften ganz andere sind als in den Geistes- und Sozialwissenschaften, vor allem in Abhängigkeit von der Existenz einer allfälligen Anstellung. Doch es würde mich erstaunen, wären anderen (Ex-)Promovierenden die Eingangs geschilderte Party-Smalltalk Situation gänzlich unbekannt. Und ein Doktorratsprojekt ist alles andere als eine fünf Jahre andauernde Party. Es steckt viel Herzblut, Schweiss und Tränen drin.
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