Manchmal kommt es hier vor, trotz meines Disclaimers in der Kurzbio, dass sich das eine oder andere Sportthema einschleicht. Da gestern zum Abschluss der Olympiade auch der Marathon der Männer stattgefunden hat, gibt es hier ausnahmsweise etwas zum Thema Langestreckenlauf. Eine Art Rätsel dessen Lösung nur ein Mann kennt. Ein Zahnarzt aus Michigan.
Im New Yorker Magazin vom 6. August fand sich ein Artikel über diesen Herren, der irgendwann beschlossen hat, Marathons zu laufen (Paywall, wer den Artikel möchte, kann mir eine Mail schreiben). Der Mann lief gemäss Resultaten ziemlich bald Zeiten unter drei Stunden auf der Marathondistanz (eine Zeit die die meisten Hobbyläuferinnen und -läufer nie erreichen).
Nun fielen einigen Unregelmässigkeiten auf. Nicht zuletzt wegen der wachsenden Popularität von Marathon- und anderen Langestrecken-Rennen werden häufig zwei Zeiten gemessen. Eine individuelle Zeit (mit Chip an verschiedenen Checkpoints gemessen, “Chip-Time”) und die offizielle Startzeit (“Gun time”). So können die Laufenden auch weit hinter der Startlinie starten und immer noch eine Echtzeit-Messungen kriegen. Kip Litton, so der Name des Mannes um den es hier geht, startete immer relativ weit hinter der Startlinie (trotz ausgezeichneten Zeiten) und zeigte dann eindrückliche Tempi. Dies kam jemandem verdächtig vor und tatsächlich schien einiges nicht in Ordnung zu sein bei vielen Läufen von Kip. Es ist kaum anzunehmen, dass er mit einem solchen Rückstand sich im Tempo eines sehr fitten Läufers mit freier Bahn durch die Menschenmassen vor ihm wühlt. In einem Laufforum machten sich diverse kommentierende dann auf die Suche nach Unregelmässigkeiten. Der Monsterthread auf Letsrun.com hat inzwischen über 4700 Posts.
Gewisse Muster schienen sich zu wiederholen: Da war fast immer diese grosse Differenz zwischen indvidueller Zeit und Gun-Time. Fast immer gibt es keine Fotos von Litton während des Rennens sondern nur von ihm beim Zieleinlauf. Er erscheint oft auf den Fotos in einer Art, die ihn schwer erkennbar machen (Nummmer überdeckt, Sonnenbrille, Hut). In diesem Zusammenhang ist auch verdächtig, dass er oft die Kleider oder gar Schuhe zu wechseln scheint, während des Rennens. Es gab mehrere Marathons bei denen er einen ausgezeichneten Rang in den Top 10 erreichte, sich aber einige von ihm geschlagene Läufer sich nicht daran erinnern können überholt worden zu sein. Dazu kommenoft sehr verdächtige bis praktisch unmögliche Temposchwankungen.
Kip Litton wurde dann tatsächlich in mehreren Läufen nachträglich disqualifiziert. Er streitet ab, betrogen zu haben und insistiert offensichtlich, dass es möglich ist, dass er vielleicht manchmal unachtsam war und ihm Fehler unterlaufen seien. Es ist natürlich schwer das Gegenteil zu beweisen. Dass er einen ganzen Marathonlauf erfunden inklusive Website, 28 Konkurrenten und ein Direktor (der West Wyoming Marathon) hilft nicht gerade in vertrauenswürdiger zu machen. Es ist auch schwer erklärbar warum Kip Litton die Gelegenheit nicht wahrgenommen hat, einfach unter Beobachtung eine unter drei Stunden Zeit (oder einen Marathon überhaupt) zu laufen.
Wie viele andere interessiert mich natürlich wie er es gemacht hat. Da hier viele skeptische Rätselfans mit beeindruckenden Google- und Kombinierfähigkeiten mitlesen, habe ich mir gedacht diese Blogeintrag zu schreiben, um ein wenig darüber zu spekulieren, wie Kip Litton es geschafft hat. Am besten dafür geeignet ist vermutlich der Boston Marathon. Es ist wohl der berühmteste in den USA. Die Strecke ist kein Kreis und alle fünf Kilometer findet eine Zeitmessung statt (5, 10, 15, 20, Halbe Strecke, 25, 30, 35, 40, Ziel). Gemäss den Resultaten lief Litton in 2010 die Strecke in 2:52:12. Wie konnte er an jeder Messung registriert werden, seine Kleider wechseln und trotzdem unter drei Stunden laufen? Dass er bei diesem Lauf betrogen hat wird noch weiter untermauert durch die Existenz einer Foto, welche (vermutlich) ihn bei Kilometer 30 zeigt, ohne Nummer in langen Hosen und langem Oberteil (Foto und Zeiten hier).
Dass das Messsystem gehackt wurde gilt gemäss Veranstaltern als sehr unwahrscheinlich. Wenn wir davon ausgehen, dass er tatsächlich betrogen hat, dann würde und das mit der Möglichkeit lassen, dass er mit dem Fahrrad oder Auto abgekürzt hat. Trotzdem wie kann man das effizient gestalten ohne aufzufallen. Oder gibt es andere Möglichkeiten wie man die Chip-Zeit überlisten könnte? Wer hat sonstige Ideen?
Die andere grosse Frage, die aber auch durch noch soviel Recherche und Spekulation wohl kaum beantwortet werden kann: Warum tut man so was? Läuft man nicht zuerst einmal primär gegen sich selber bei einem Langstreckenlauf? Aber vielleicht schreibt er nach diesem New Yorker Artikel einmal eine Autobiographie. Dann lernen wir vielleicht mehr.
Falls sich jemand noch weiter einlesen und gefundene Lauf-Fotos von Litton studieren möchte, neben dem Artikel im New Yorker und dem endlos Thread bei letsrun.com gibt es auch ein Blog, dass sich mit Litton auseinandersetzt.
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