Gestern tat ich auf Twitter, was man auf Twitter meistens tut: Sich ärgern. Anlass war der Ritter ohne Furcht und Tadel gegen alles Irrationale, Richard Dawkins. Er wirkt in seinen Tweets leider immer mehr wie ein wütender alter weisser Mann und man sucht den ausgezeichneten Kommunikator mit spitzer Feder, der er eigentlich wäre, dort leider meist vergebens.
Anlass für mein Ärger war diese Anfrage für Weiterverbreitung, die von Richard Dawkins dann auch gleich an seine fast 12’000 Followers weitergeleitet wurde.
We need all your help pls @RichardDawkins @SamHarrisOrg Declare Muslim Brotherhood organization as a terrorist group https://t.co/1k2XKLycQi
— إسحاق المعمر (@bohimi) July 26, 2013
Warum ist das ärgerlich? Weil ein solches Verbot politisch sehr, sehr dumm wäre und man kaum Spezialistinnen und Spezialisten (ausser am Rechten Rand und ein paar extreme Falken in den USA) finden wird, die es nicht für kontraproduktiv halten würden. Was Dawkins vermutlich in 140 Zeichen dachte, war wohl: Die Muslimbrüder sind verblendete religiöse Fundamentalisten [gegen die Prämisse gibt es wenig einzuwenden], jemand will sie auf eine Terrorliste setzen, das schadet ihnen, also muss es gut sein. Eine Variation auf das Thema “vier Beine gut, zwei Beine schlecht”. Das Problem ist aber, dass diese eben schnell zu “vier Beine gut, zwei Beine besser” führen kann. Eine so simplistische und naive politische Sicht ist enttäuschend von jemandem wie Dawkins.
Sich einerseits für mehr rationales Denken einzusetzen und dann Politik mit dem Bauch zu machen, ist nicht nur unglaubwürdig, sondern riecht auch ein wenig nach einer Form von religiöser Verblendung. Es ist Wasser auf die Mühlen jener, die im momentanen Backlash gegen Religionen auch nur eine Variation einer solchen sehen wollen. Tatsächlich war das nicht das erste mal, wo anti-religiöser Reflex alles andere übertrumpfte. Zum Beispiel hat er vor ein paar Wochen ebenso einen islamkritischen Text weiterverbreitet, der auf einer Webseite zu finden war, die auch haufenweise Texte im Angebot hat, die sagen wir mal nur bedingt rationalen Standards entsprechen: Klimawerwärmung als marxistische Verschwörung, Anti-Patriot-Act Aktivität wird als Landesverrat kritisiert, usw. Wer aus falschen Gründen zu den richtigen Schlussfolgerungen kommt, liegt trotzdem falsch. Da muss man sich dann entscheiden, ob man für mehr Rationalismus plädieren will, oder nur politischen Opportunismus betreiben will. Bei letzterem blökt die Herde dann reflexhaft zustimmend. Gewonne ist aber nichts, im Gegenteil. Der besagte Tweet wurde auch nur von zwei Tweetern kritisiert und wurde dann einfach kommentarlos gelöscht. Ein Widerspruch von mir auf so eine verkürzte Darstellung in einem Tweet von Dawkins, hat auch schon ein Rudel UKIP Fans gegen mich aufgescheucht, die bezeichnenderweise alleine auf meinen Namen wie ein Stier auf ein rotes Tuch reagierten.
Aber noch ganz kurz etwas inhaltliche Kritik. Warum wäre ein Verbot dumm? Hier eine spontane, nicht abschliessende Liste, für deren Ausführung ich hier weder Zeit noch Raum habe, aber unter Umständen gerne als einzelne Punkte in der Diskussion wieder aufnehme. Was habe ich ausgelassen? Was müsste noch gesagt werden?
- Die US Liste von terroristischen Vereinigungen ist sowieso (und das ist bei einem so wertenden Begriff wie Terrorismus wohl unvermeidlich) schon sehr politisiert. Zumindest versucht man ihr zumindest im Prinzip objektive Kritierien zu unterlegen. Werden nun Organisationen per Petition auf die Liste gebracht, verliert sie auch noch dieses letzte bisschen Legitimität.
- Die Argumentation auf der Petitionsseite ist schwach. Sie ignoriert die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (die die US Regierung macht). Sie nennt ein einflussreiches paranoïdes Hetzbuch aus den 60er Jahren. Der Autor wurde in besagtem Jahrzehnt von Nasser hingerichtet. Wer dies Buch als Argument aufführt zeigt, dass er bereit ist 40 Jahre Geschichte zu ignorieren und alles als ausreichende Verbindung zu definieren. Das meiste kann man auch über viele Allierte der USA sagen.
- Bis jetzt verfolgt man eine Strategie moderatere Elemente von den radikaleren zu trennen. Dies läuft genau dieser Strategie entgegen.
- Es gibt vermutlich kaum schädlicheres für Fundamentalisten als in Regierungsverantwortung zu stehen. Morsi hat gezeigt, das eine islamistische Agenda, kein nützliche Bedienungsanleitung für das Regieren ist. In Tunesien kämpfen die Islamisten mit einem ähnlichen Problem. Man soll besser sicherstellen, dass sie institutionell eingeschränkt sind.
- Mit einer solchen Massnahme rückt man sich in die Nähe der alten Regime, von denen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung die Nase voll hatte. Man untergräbt somit die eigene Legitimität.
- Würden die Muslimbrüder auf die Schwarze Liste gesetzt, würde diese jede Form von Verhandlungen oder Kommunikation mit offizieller Seite extrem erschweren, oder gar verunmöglichen. Es ist nicht ohne Grund, dass man nun plötzlich sogar mit den Taliban spricht. Kommunikationsblockaden sind in den meisten Fällen extrem kontraproduktiv (egal wie wenig man das Gegenüber mag).
- Es würde den Muslimbrüdern ein Feindbild schenken, dass von ihrer eigenen Unfähigkeit abzulenken helfen wird. Iran und Kuba funktionieren seit Jahrzenten genau so.
- Die Muslimbrüder haben Ableger in vielen Ländern. Diese Organisationen sind teilweise nur lose verbunden (es gibt sogar einen Ableger in Saudi Arabien!), mit abweichenden Ideologien und ganz verschiedenen lokalen Verankerungen und Rollen. Sie Blanko als terroristische Organisationen zu deklarieren würde politische Strukturen und Gleichgewichte in mehreren Ländern des Nahen Ostens und Nordafrika verändern und hätte kaum einschätzbaren Konsequenzen.
- Das Ziel einer jeden Sanktion sollte es sein, das Verhalten des Sanktionierten zu ändern. Die Effektivität die Muslimbrüder auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen, ist gelinde gesagt diesbezüglich zweifelhaft.
- Es wäre ein rhetorisches Geschenk für die Islamisten, die mit der hanebüchenen Idee des “Zusammenpralls der Zivilsationen” sowieso schon ein fantastisches Moblisierungsinstrument gefunden haben. Nicht nur das, sie haben mit den ganzen Minarett- und BurkaverbieterInnen im Westen auch nützliche Verbündete.
- Es würde heuchlerisch wirken, Demokratie zu predigen und dann jene Partei, die eine klare Mehrheit an der Urne erhalten hat, danach als terroristische Vereinigung zu deklarieren. Entweder signalisiert es, dass Demokratie nur den USA genehme Resultate bedeutet oder in paternalistischer Überheblichkeit, halt einfach nicht für alle ist (und die USA entscheiden wer soweit ist).
Dawkins macht hier genau das, was er sonst zu Recht und erfolgreich anderen ankreidet: Statt sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, folgt man lieber der Intuition. So werden fremdenfeindliche Zeitgenossen rekrutiert und in anderem Kontext auch KreationistInnen.
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