Das unheimliche an vielen Verteidigern des Abendlandes ist, dass sie Demokratie und Rechtstaat, die sie zu verteidigen vorgeben, nicht wirklich verinnerlicht haben. In ihrer Selbstgerechtigkeit findet kritisches Hinterfragen keinen Platz. Damit verraten sie wie wenig sie von den aufklärerischen Werten, auf die sie sich immer wieder berufen, wirklich halten.
Broder1 gestern zum Urteil des EuGH zu Hamas (Urteil im Volltext auf Französisch hier):
Was denn, was denn? Das soll eine Terrororganisation sein?
Aber nicht doch. Schauen Sie hier.
Auch der Europäische Gerichtshof möchte die Hamas rehabilitiert wissen. So wie man nicht einfach sagen kann, jemand sei ein Antisemit, so sollte man auch nicht behaupten, die Hamas sei eine Terrororganisation, ohne handfeste Beweise vorlegen zu können: Flugtickets, schriftliche Befehle, Fingerabdrücke.
Nun gibt es nur noch eine Frage, die vom Europäischen Gerichtshof entschieden werden muss. Titanic hat sie schon vor sieben Jahren sehr präzise formuliert.
Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Der EuGH hat nicht entschieden, dass die Hamas keine Terrororganisation sei (dies steht so sogar explizit im Urteil unter Paragraph 142). Er hat auch nicht gesagt, dass Beweise wie in einem Kriminalverfahren vorgelegt werden müssen. Der Gerichtshof hat entschieden, dass sich der Europäische Rat nicht an seine eigenen, speziell für solche Sanktionen aufgestellten Regeln gehalten hat. Der EuGH lässt den Rat die Sanktionen sogar trotz des Verfahrensfehlers aufrechterhalten, um die “Wirksamkeit künftiger Massnahmen” nicht zu unterlaufen (also neue Sanktionen, die dieses Mal in einem korrekten Verfahren verhängt wurden).
Das Gericht hält fest, dass der Rat über einen grossen Spielraum verfügt, über solche Sanktionen zu entscheiden. Diese Machtkonzentration soll zumindest durch faire Verfahren und Rekursmöglichkeiten abgesichert sein. Wie problematisch es ist, wenn dies nicht der Fall ist, sieht man mit dem UN Sanktionsregime oder den US Flugverbots-Listen. Die Ironie, dass ausgerechnet Broder sich plötzlich so vehement für das Recht auf EU Beamtenwillkür einsetzt, ist schwer zu ignorieren.
Es entlarvt aber auch sein trauriges Verständnis von Rechtsstaat, wenn er den Anspruch auf ein faires Verfahren einfach über Bord wirft, so bald es um eine Gruppierung geht, die er nicht mag. In letzterem Punkt bin ich sogar einer Meinung mit ihm. Doch spielt es keine Rolle ob wir die Hamas mögen oder nicht. Er hält jedoch seine Meinung offensichtlich für wichtiger als objektive Verfahrensregeln (und anscheinend auch die Fakten rund ums Urteil). Es muss immer wieder gesagt werden: Der Rechtsstaat zeigt seine Stärke vor allem dann, wenn er auch den unpopulärsten die gleichen Rechte zukommen lässt.
Ich mache mir übrigens keine Sorgen, dass die Sanktionen gegen die Hamas aufgehoben werden. Es dürfte kein Problem für die EU sein, die verlangten Quellen zu finden (das heisst “Entscheide nationaler Behörden” und nicht das Internet oder die Presse) und ich habe auch keine Zweifel, dass die Hamas die notwendigen Kriterien erfüllt. Dazu kommt, dass es auch politisch weder vorstellbar noch klug wäre, die Sanktionen gegen Hamas fallen zu lassen. Das nächste Treffen mit dem US Secretary of State wäre wohl eine eher unbehagliche Angelegenheit.
1Ich verhelfe AchGut ungern zu mehr Klicks aber im Rahmen korrekter Referenzierung: Hier
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