“Lügenpresse! Lügenpresse!” schreit der Chor im Hintergrund immer wieder. Manche der interviewten geben auf im Lärm gehört zu werden. Ein ARD Beitrag liess Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Pegida Demo frei von der Leber weg erzählen, was sie denken, warum sie auf der Strasse sind und wo ihre Sorgen liegen. Das ganze stellten sie ungeschnitten ins Netz. Das Resultat ist nicht hübsch.
Hier kann man sich die geschnittenen Auszüge anschauen, hier den Rest wenn man möchte (Teil 1; Teil 2). Unmöglich zu sagen, ob die Leute, die bereit waren ihre Einsichten zum Besten zu geben, repräsentativ für Pegida sind. Es entsteht auf jeden Fall der Eindruck, dass sich da sehr viel Frustration und Wut entlädt. Pegida dient ihnen als Projektionsfläche um diese Frust durch simple Präsenz Ausdruck zu verleihen (aber offensichtlich nicht, diesen verbal kohärent zu artikulieren). Öfters wurden Dinge ins Mikrofon gesagt, die klangen wie “Das spreche ich nicht aus, weil ich bin ja kein Nazi” oder “Darf man das überhaupt sagen? Ich bin ja nicht rechts.” Es scheint als ob man in Sachen Selbsterkenntnis auf halben Weg stecken geblieben ist: Irgendwie weiss man, es ist eigentlich nicht richtig. Aber man ist halt trotzdem dagegen.
Wie auch immer, dominant waren die wiederkehrenden Rufe und Vorwürfe an die Medien. Das Misstrauen ist enorm. Mich erinnert das an die einschlägige Verschwörungstheorien-Szene. Wenn man davon ausgeht, dass der grösste Teil der Informationen in traditionellen Kanälen (im weitesten Sinn) per Definition wertlos ist, hat man gleich viel mehr Spielraum zu selektieren was als “Fakt” zu gelten hat. Plötzlich sind dann Ausseriridsche Formwandler die den US Präsidenten bewachen plausibel.
Dies ist natürlich auch eine gute Taktik, wenn man politisch mobilisieren will und seine Schäfchen auf die eigene Weltsicht einschwören möchte. Diese pauschale Verurteilung der “Presse” erinnert mich unter anderem an die Propaganda autoritärer Bewegungen und natürlich auch der Nationalsozialisten (Nein, kein Godwin. Bitte durchatmen und zu Ende lesen). Es ist auch ein ideales “Argument” um in einem Krieg alles vom Tisch zu wischen, was die Gegenseite sagt oder sagen könnte und so die Information zu kontrollieren. Diesen Zusammenhang suggeriert auch die unten stehende Grafik. Es zeigt die Verwendung des Begriffs “Lügenpresse” in den von google erfassten deutschsprachigen Büchern zwischen 1900 und 2008.
Meine Absicht hier ist keineswegs damit zu sagen, wer den Begriff verwendet sei deswegen ein Nazi. Die selbe Taktik findet sich auch bei linken Bewegungen. Dort ist die Presse dann zum Beispiele direkt oder indirekt dem herrschenden Kapital hörig oder von Finanz und Industrie gekauft. Oder man findet es in den USA mit dem so beliebten und auch bei uns angekommene “Mainstream Media” Totschläger. Es geht mir viel mehr darum aufzuzeigen, wie gefährlich eine solche pauschale Verurteilung ist. Die Grafik illustriert gut wie (oder vielleicht besser: wann) so ein Begriff instrumentalisiert werden kann.
Ich bin dafür jede Berichterstattung mit einer grossen Portion Skepsis zu konsumieren. Viele meiner Blogeinträge sind genau das: Eine Kritik an gedankenlos in den Medien wiedergekäutem. Die meisten von uns haben schnellen Zugang zu einer grossen Vielfalt an Quellen und echte Lügen sind relativ einfach zu erkennen und zu widerlegen.1 Genau das soll getan werden. Stadtessen einfach “Lügenpresse” zu brüllen ist hingegen reine politische Agitation. Es ist kein Argument, sondern eine einfache Lösung um seine eigenen lieben Theorien nicht hinterfragen zu müssen und sich die passenden “Fakten”einfach zusammen zu suchen. Wenn genug glauben, dass alles Lüge ist, dann kann mit dem Ruf “Wir sind das Volk” die Jagd auf beliebige Opfer eröffnet und auch begründet werden.
1Es gelten vielleicht unterschiedliche Massstäbe in einem autoritären Staat, wo die Medien tatsächlich unter (quasi) staatlicher Kontrolle stehen und der Informationsfluss stark gefiltert ist.
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