Rosa für Mädchen und Blau für die Jungs. Einen Staubsauger für die Marie und einen Baukran für den Frank. Prinzesschentapete fürs Mädchenzimmer , Ninja Turtles Poster für das Zimmer des Bruders. Das hat natürlich alles nichts mit Marketing zu tun, sondern ist die Konsequenz von ein paar hunderttausend Jahren Evolution. Wir wissen das so genau, weil Wissenschaft!
Das klingt absurd, scheint aber der feste Glauben eines nicht kleinen Segmentes der Bevölkerung zu sein. Dieser Eindruck hatte ich wieder einmal, als ich gestern diesen Artikel bei der Neuen Zürcher Zeitung las. Damit wir gleich in Stimmung kommen ist er mit “Ideologie, Biologie und Spielzeug – Autos für Buben – Puppen für Mädchen” überschrieben. Die Kernthese ist dann auch wenig überraschend: Eine angeblich jahrzehntealte “Fehde zwischen der Gender-Forschung und den Biologen und Psychologen.”
Wenn Gender Forschung pauschal als “ideologisch” abgetan wird und man eine Linie zwischen Gender-Studies und sozusagen “richtiger” Wissenschaft suggeriert, kommt bei mir der Verdacht auf, dass entweder nicht richtig recherchiert wurde oder man mit einem riesigen Rucksack voll vorgefasster Meinung sich an das Thema gemacht hat. Aber was solls, dem Kommentariat gefällt es: Da wird Achiles [sic!] als Zeuge herbei gezerrt, es wird gefordert, man solle “die Kinder in Ruhe lassen und woanders experimentieren” weil der Unterschied sei halt “natürlich” oder man analysiert, dass die “sogenannten ‘Gender-Forscherinnen'” es auf die “Zerschlagung der westlichen Gesellschaft und Familie” abgesehen hätte (leider glänzt die einzige Gegenstimme auch nicht gerade mit einer sehr differenzierten Argumentation).
Ist diese geballte Ladung völlig ideologiefreier Wissenschaft vielleicht nur die Reaktion auf einen provokativen Artikel? Leider nicht. Der NZZ Artikel offeriert keinen sehr kritischen Umgang mit den verwendeten Quellen. Da wird die Anekdote von den Lego-Wissenschaftlerinnen erzählt (Lego hat diese nicht wie im Artikel behauptet “ins Sortiment aufgenommen” sondern es handelt sich um eine Limitierte Ausgabe) und ein “geschlechtsneutraler Spielzeugkatalog” wird erwähnt. Eine Studie im Rahmen eines Schweizer Nationalfonds Projektes wird erwähnt, die aber primär zum Aufbauen eines Strohmanns am Ende des Artikels dient (niemand behauptet, dass wegen einer Barbie ein Mädchen nicht Mathe studiert). Die Ausgangsfrage ist so naiv wie die Antwort die darauf gegeben wird: “Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Buben und Mädchen je andere Spielzeuge bevorzugen. Doch weshalb eigentlich?” Die Antwort gemäss dem Artikel läge im Streit zwischen Sozialisation (Gender Studies) oder Biologie (alle anderen vermutlich). Diese Diskussion in dieser Form scheint mir ziemlich 1970 was die Wissenschaft anbelangt (und der verortete Graben ist so mehr oder weniger frei erfunden):
- Der biologische Unterschied existiert aber er ist nach heutigem Wissensstand sehr klein. Ganz sicher kann man daraus keine so plumpen “natürlichen” Präferenzen für Spielzeug ableiten.
- Gleiches gilt für die Farbpräferenzen. Die Geschlechterzuteilung tauchte erst nach dem ersten Weltkrieg auf und Kinder haben keine “natürliche” Farbpräferenzen zwischen rosa und blau.
- Das Gendern von Spielzeug ist ein relativ neues Phänomen, das nicht von der “Biologie” getrieben wird.
- Über die im Artikel erwähnte Affenstudien (oder zumindest jene die ich vermute um die es geht) habe ich schon gebloggt. Sie sind schwach konzipiert und lassen ganz bestimmt keine so weitreichenden Schlussfolgerungen zu.
- Ich kenne die referenzierten Hormonstudien nicht. Die einzige die sich explizit auf Spielzeug bezieht, die ich bei einer kurzen Recherche gefunden habe, ist diese hier. Neben anderen methodischen Fragezeichen dich ich anbringen möchte, stach dieses hier doch hervor (meine Hervorhebung): “Participants were 35 men and 29 women between the age of 18 and 22 years enrolled in an introductory psychology course at Texas A&M University.”<sup>1</sup>
- Selbst Studien wie die Affenstudie oder die Hormonstudie, zeigen nur relative kleine Unterschiede. Diese würden also selbst wenn man sie unkritisch betrachtet, im besten Fall gegendertes Spielzeug als Nieschenprodukt rechtfertigen. Das wird von jenen die sich auf diese Studien berufen gefliessentlich übersehen.
- Dazu kommt: Die Variation innerhalb eines Geschlechts und wie diese mit jener des anderen überlappt, wird kaum angesprochen. Die offensichtlich bedrängten Fans der Spielzeugtrennkost tun so, also ob wir es mit zwei Glockenkurven zu tun hätten, die sich kaum überschneiden. Dies wird hier schön als “riding the tail of the bell curve” bezeichnet (besonders gut zu verdeutlichen mit einem unbestrittenen “Durchschnitts-Unterschied” zwischen den Geschlechtern).
- Es stellt sich auch die Frage nach der evolutionären Plausibilität und Erklärung hinter den postulierten Unterschieden (wir sprechen ja nicht über zwei Arten, sondern zwei Geschlechter innerhalb einer Art). Da gibt es eine Menge just-so-stories, die anscheinend der Intuition der meisten NZZ Kommentarschreiberlingen genügt, aber nicht mit Wissenschaft verwechselt werden sollten.
Es geht hier vorerst mal nur um Spielzeug. Die Debatte soll nicht um vermeintliche Geschlechterdifferenzen allgemein gehen in diesem Thread (dieses Fass wird sicher ein anderes mal wieder aufgemacht). Der NZZ Artikel war schwach recherchiert und wenig differenziert. Ich kenne die interviewten Expertinnen und Experten nicht und weiss nicht, was sie der Journalistin gesagt haben. Ich kann nicht sagen ob das gezeichnete Bild entstand, weil sie die erhaltenen Informationen einfach gemäss den eigenen Vorurteilen filterte oder ob sie einfach autoritätsgläubig gesagtes übernommen hat. Wie auch immer, absichtlich oder nicht, der Artikel scheint in eine Kerbe zu schlagen, die einen gewissen Typ Mensch in seinen Vorurteilen zu bestätigen scheint. Was mich besonders ärgert ist, dass man eine wissenschaftliche Untermauerung vorgaukelt, die so nicht existiert. So den Gender Studies einen Ideologie getriebene Vorgehensweise zu unterstellen und gleichzeitig die Evidenz dermassen zu misrepräsentieren ist schon fast unverschämt.<sup>2</sup> Der Beitrag reflektiert zwar nicht den Stand der Forschung, dafür lebt die Mär der “ideologischen Gender Studies” (ein Vorwurf der auch schon allgemein gegen die Sozialwissenschaften erhoben wurde) noch länger weiter.
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