In den Medien macht gerade eine Geschichte von einem campierenden UN Praktikanten in Genf die Runde (sogar die BBC berichtete). Das Problem existiert schon lange und ist eine Ungerechtigkeit, die nicht nur in den UN Institutionen geduldet wird. Nicht zuletzt mit Abschlüssen in meiner Disziplin existiert ein erheblicher Druck zur Gratisarbeit.

Hier in Genf gibt es etwas, dass man eine UN Praktikums Szene nennen könnte. Für viele ist ein solches Praktikum ein Schritt um erste Berufserfahrungen zu sammeln und verbunden mit der Hoffnung so via Hintertür später für die Vereinten Nationen arbeiten zu können. Es ist notorisch schwierig regulär in das UN Institutionensystem reinzukommen. Einer der einfacheren Wege zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein oder die notwendigen Kontakte zu knüpfen bleibt  via Praktikum. Man sieht auch (mein Eindruck ist immer häufiger) diverse Nichtregierungsorganisationen sich so gut qualifizierte Arbeitskräfte zum Nulltarif zu besorgen.

Nun ist Genf eine der teursten Städte der Welt. Seit Jahren ist Mietraum sehr knapp und die Mieten erreichen auch für Schweizer Verhältnisse astronomische Höhen. Schon zu einem Praktikumslohn kann man sich auch bei spartanischem Lebensstil es sich kaum leisten hier zu leben. Bei Gratisarbeit noch weniger. Auch nicht wenn man in der UN Kantine Rabatt kriegt.

Trotzdem  werden jedes Jahr wieder haufenweise Praktikumsplätze in Genf besetzt. Zwangsläufig von jenen, die sich diesen Startvorteil von zu Hause aus finanzieren lassen können. Oder jenen, die sich Geld zusammensparen konnten, um so der UN eine nie anerkannte Spende machen zu können. Dies ist ungerecht. Ungerecht für Menschen aus dem globalen Süden. Für Menschen aus finanziell schwächeren Verhältnissen. Die UN verstärkt in diesem Fall aktiv Ungleichheiten, statt diese zu reduzieren. Nun scheint es einen kleinen Aufschrei zu geben, da ein campierender Neuseeländer kurz durch die Medien gezerrt wird. Das alles wird leider auch ebenso schnell wieder vergessen sein. Die Mühlen der UN malen in einer anderen Zeitdimension.

Was kann also getan werden? Selber keine Gratis-Praktika ausschreiben. Wer Arbeit nicht bezahlen kann, soll halt darauf verzichten (auch wenn man vom guten Zweck überzeugt ist). Wenn möglich sollte man keine unvergüteten Praktika antreten. Dies ist jedoch oft einfacher gesagt als getan, kann es doch die beste Chance für einen Berufseinstieg sein und ich verüble es niemandem, wenn sie oder er es daher trotzdem tut. Man kann sich dafür einsetzen, dass auf Mailinglisten und in Foren, die Jobangebote und Praktikumsplätze weiterverbreiten, keine solche Praktika beworben werden (dies ist der Fall für einige akademische Mail-Listen die ich kenne). Auf jeden Fall sollte man protestieren, wenn diese Regeln nicht durchgesetzt werden. So lange das Gratisarbeit-System funktioniert, hat niemand einen Anreiz, auf die kostenlosen Arbeitskräfte zu verzichten. Dabei sollte die UN eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen.

Kommentare (11)

  1. #1 werner
    August 14, 2015

    Grundsätzlich alles richtig. Ob der Weg einer PR-Aktion (siehe https://orf.at/stories/2293822/) der richtige ist, auf solche Missstönde aufmerksam zu machen, sei jedoch dahingestellt.

  2. #2 werner
    August 14, 2015

    … Missstände …

  3. #3 Positron
    August 14, 2015

    Es ist sicher nicht der beste Weg, aber zumindest bewegt sich was.

  4. #4 BreitSide
    Beim Deich
    August 14, 2015

    Also ich finde die Aktion voll ok. Man muss halt in dieser Welt flexibel sein. Ich hab auch schon so Sachen gemacht;-)

  5. #5 ali
    August 15, 2015

    @werner

    Ich bin mir nicht sicher, ob das ganze als “PR Aktion” zu bezeichnen wirklich korrekt ist. Das klingt für mich eher nach einem Spin der nun nachträglich hinzugefügt werden soll.

    Das letzte was ich in den Medien gelesen hatte war, dass er nun das Praktikum abbrechen würde, unter anderem weil ihm der Medienrummel zu viel wurde. Offenbar gab es auch mehrere Angebote aus der Bevölkerung für Wohnmöglichkeiten. Darum schien mir die “PR Gag” Erklärung etwas überraschend.

    Ich habe kurz nachgeforscht. Tatsächlich fand ich auch regionale Zeitungen, die die Geschichte nun plötzlich so darstellen. Der Ursprung für die Neuinterpretation ist ein Artikel den Hyde in Folge des Rummels selber für The Intercept geschrieben hat.

    I would take an unpaid internship and do the job. But at the same time we would work to raise awareness on the issue and make a documentary about the subject.

    I looked up some studios and room shares to see the sorts of prices I would be paying in Geneva and it was clear that it would be too expensive for me.

    I needed a solution. The answer was fairly simple. I would live in a tent.

    It seemed that in doing so I could hit two birds with one stone: It was an affordable way to live in Geneva with my limited funds — and the fact that a U.N. intern was living in a tent could help to raise awareness on the issue.

    (…)

    However I feel that now is the moment to state these things clearly. Yes, I worked as an intern at the United Nations. Yes, I lived in a tent in Geneva. Yes, I could not afford to support myself for the duration of the internship. Yes, I wanted to raise awareness on the subject. Yes, I chose to live in the tent because of the powerful imagery I knew it would provide.

    Nun werden wir vermutlich nie wissen können welche Intention am Anfang wie stark war. Die (stellenweise etwas widersprüchliche erscheinende Erklärung) klingt für mich als ob das Zelt sich als Lösung anbot und der Gedanke da war, damit vielleicht auch auf das Problem hinzuweisen. Das ganze nun als “PR Gag” darzustellen, scheint mir aber geht zu weit. Selbst in seinen eigenen Worten war es zuerst einmal eine Möglichkeit ein Praktikum anzutreten, dass er sich sonst nicht hätte leisten können. Das “Awareness Raising” wirkt eher nach einem potentiellen Nebeneffekt. Dieser gewinnt nun aber im Rückspiegel nach dem ganzen Medienzirkus für Hyde an Bedeutung.

  6. #6 Phil
    August 15, 2015

    Gratisarbeit und insbesondere Gratispratika gehören gesetzlich verboten. Ausgenommen dürfen nur gemeinnützige Arbeiten sein, mit max. 4 Stunden/pro Tag, wenn sonst die Arbeit nicht gemacht werden kann.
    Im Prinzip ist das Erpressung: Wenn du hier arbeiten willst, dann musst du uns erst einmal etwas geben. Und das, wenn der Praktikant gerade Geld am nötigsten hätte (Berufsstart, Familiengründung).

  7. #7 Phil
    August 15, 2015

    – get email-

  8. #8 Chemiker
    August 15, 2015

    Article 23.

    (1) Everyone has the right to work, to free choice of employment, to just and favourable conditions of work and to protection against unemployment.

    (2) Everyone, without any discrimination, has the right to equal pay for equal work.

    (3) Everyone who works has the right to just and favourable remuneration ensuring for himself and his family an existence worthy of human dignity, and supplemented, if necessary, by other means of social protection.

    Und nun die Frage: Wurde dieses Pamphlet geschrieben von (a) Karl Marx, (b) Karl May, (c) Mao oder (d) Uno.

    Wer braucht einen Joker?

  9. #9 noch'n Flo
    Schoggiland
    August 18, 2015

    Das ist nun einmal das Prinzip von Angebot und Nachfrage – und leider werden sich immer genügend Leute finden, die dieses Spiel mitspielen.

    Im Medizinstudium gibt es in Deutschland bis heute noch das sog. “Praktische Jahr”, in dem man in den letzten 2 Semestern 48 Wochen lang für lau im Spital arbeitet – da es offiziell zum Studium gehört, gibt es auch kein Geld dafür. Im Gegensatz beispielsweise zur Schweiz, wo die angehenden Kollegen als sog. “Unterassistenten” zumindest so etwas wie ein Taschengeld bekommen. (Mein letzter Stand war 700 Franken, k.A., ob das so noch stimmt.)

    In Deutschland war man danach bis 2004 dann noch 18 Monate lang “Arzt im Praktikum”, was bedeutete, dass man weitere eineinhalb Jahre lang für knapp 1’000 Euro im Monat ranklotzen durfte – zumeist 50-55 Stunden pro Woche und ohne Zuschläge für Nacht- und Wochenenddienste. Diese ausbeuterische Zusatzregel fiel dann allerdings glücklicherweise irgendwann dem zunehmenden Ärztemangel zum Opfer.

  10. #10 buchstaeblich
    August 19, 2015

    Irgendwann habe ich mal gedacht:
    Diese Gratis-Jobs – sind die eigentlich dazu da, damit Reiche bestimmte Jobs unter sich aufteilen können? So als Distinktionmaßnahme gegen sozialen Aufstieg durch “die da unten”?
    Ich habe ja keine Ahnung, aber der Gedanke drängte sich eben auf, weil sich finanz-schwache doch nicht leisten können, ewig lang für lau zu arbeiten, noch dazu in Gegenden mit hohen Lebenshaltungskosten.

  11. #11 Adent
    August 24, 2015

    @Chemiker
    Geht auch ohne Joker 🙂
    Ich nehme d)