Nun blogge ich trotz guter Vorsätze wieder lange nicht und statt interessantes aus der Internationalen Politik zu verwursten (und davon gäbe es genug) muss ich wieder kurz das leidige Thema der Islam-Panik beackern. Dieses mal da mein Schweizer Heimatkanton es bis in die Schlagzeilen der BBC geschafft hat und mir auf Twitter einen hohen Blutdruck beschert hat.
Die Geschichte ist schnell erzählt: In Therwil im Kanton Baselland haben gemäss Meldung zwei muslimische Teenager ihrer Lehrerin einen offenbar institutionalisierten Händedruck verweigert. Sie taten dies mit dem Verweis, dass ihr Glaube ihnen verbieten würde einer Frau die Hand zu geben. Die Schule fand darauf hin einen Kompromiss. Um einerseits dem Wunsch der Schüler gerecht zu werden, aber anderseits damit nicht selber Diskriminierung abzusegnen, sah dieser vor, dass sie als die Hand keiner Lehrperson geben, unabhängig vom Geschlecht.
Nun könnte man meinem mit dieser vernünftig erscheinenden Lösung sei die Sache gegessen und den sich hinter ihrer Religion versteckenden Möchtegern-Rebellen sei damit der Wind aus den Segeln genommen. Natürlich nicht. Denn wo das Label “Islam” draufsteht muss Hysterie drin sind. Und Hysterie wurde geliefert. Nicht nur wurde die Sau (ich benutze dieses Bild nur, damit zufällig mitlesende Salafisten auch etwas an diesem Post zu mäkeln haben) durch das internationale Mediendorf gejagt.
Unsere Justizministerin, eine Sozialdemokratin wohlgemerkt, musste natürlich auch gleich dem Niedergang des Abendlandes entgegentreten und liess verlauten: “Dass ein Kind der Lehrperson die Hand nicht gibt, das geht nicht.” Oder um es in den leicht abgeänderten Worten eines grossen deutschen Denkers zu sagen: “Kannst mal runner in Keller kucken, ich glaub, die Islamisten sind da!”
Rechts fiel allen sofort wieder ein wie wichtig ihnen der Kampf gegen Sexismus ist (weil sonst alles OK ist wich letztens erneut belehrt wurde), alle waren sich einig, dass Religion natürlich gefälligst aus dem Klassenzimmer fernzuhalten sei und der Händedruck wurde plötzlich zu einer nationalen Tradition erklärt (wie zuvor ein “unverhülltes Antlitz” plötzlich zum zentralen Schweizer Kulturerbe avancierte).
Nun sind die Themen tatsächlich wichtig und und die Kritik in den meisten Fällen zumindest halbrichtig. Das Problem ist, dass es offenbar sonst kein Schwein (dies ist für die Salafisten, die trotz der ersten Metapher bis hierher gelesen haben) interessiert, ausser es hat irgendwas mit Islam zu tun. Lasst mich also kurz dazu ein paar Gedanken loswerden.
Zuerst will ich aber etwas klarstellen. Es ist zwar tragisch, dass ich das immer wieder tun muss, aber anscheinend geht einigen jegliche Fähigkeit zum Textverständnis abhanden, wenn irgendwo das Wort “Muslim” oder “Islam” auftaucht. Frauen nicht die Hand geben zu wollen ist in diesem Fall ein klarer Ausdruck einer in religiösem Patriarchalismus verwurzelter Misogynie. Daran besteht meinerseits absolut kein Zweifel und das verdient keinerlei Respekt. Weder legitimiere ich diese Haltung, noch rechtfertige ich religiöse Ausnahmen wenn ich deren Rechte verteidige. Es geht um Kohärenz, Verhältnismässigkeit und individuelle Freiheit. Wer das nicht verstehen kann oder will, soll sich gar nicht erst die Mühe machen zu kommentieren.
Rechtsstaat, Freiheit und Demokratie bringen es nun leider mit sich, dass Menschen in gewissen Grenzen das Recht haben, sich als unaufgeklärte Assoziale zu benehmen. Wie sehr man zu diesen Werten steht, sieht man erst, wenn sie wirklich Andersdenkenden zugestanden werden müsssen. Der Fall unserer Teenager-Fundis wäre so ein Beispiel.
Ich verstehe nicht, was über diesen Fall überhaupt diskutiert wird. Was ist die Alternative im Sinne unserer Justizministerin wenn wir mal vom politischen Positionieren absehen? Wie setzen wir das “geht nicht” um? Es wird wohl kaum jemand vorschlagen die körperliche Autonomie der beiden Schüler in Frage zu stellen. Wenn sie nicht die Hand geben wollen, können wir sie wohl kaum dazu zwingen. Weil geht das, wo zieht man dann die Grenze?
A propos physische Autonomie: In der etwas mediterraneren lateinischen Schweiz (wo ich lebe) ist es Tradition, dass die Begrüssung und Verabschiedung in vielen Fällen (ausserhalb des Klassenzimmers natürlich) durch Küsschen auf die Wange gemacht wird (“Sodann sollst du zählen bis Drei, nicht mehr und nicht weniger. Drei allein soll die Nummer sein, die du zählest.”). Nicht selten zwischen Leuten, die sich noch nie vorher getroffen haben, in der Regel unterschiedlichen Geschlechts. Wenn nun das 11 jährige Mädchen dem 55 jährigen Mann lieber nur die Hand geben möchte, sollte man sie im Namen der Tradition und sozialen Konvention zwingen? Falls jemand dieser Meinung ist, müssen wir über etwas anderes als Salafisten diskutieren.
Dann ist da die Sache mit Religion im Klassenzimmer. Ich habe meine obligatorische Schulzeit und das Abitur im fraglichen Kanton gemacht. Zumindest damals in meinen Schulen gab es sicher keine Tradition von einem täglichen (?) Händedruck mit der Lehrperson, ich weiss also nicht wo das plötzlich herkommt. Was ich aber über zwei Jahre lang täglich machen musste ist, den Unterricht mit einem Gebet zu beginnen und zwar von uns gesprochen. Dinosaurier wurden mir von einem Junge-Erde-Kreationist erklärt. Ich kriegte das ganze Paket inklusive die grosse Flut im Biounterricht. Und als Tschernobyl in die Luft ging, verkündete mein damaliger Lehrer, statt den besorgten 9 jährigen die Angst etwas zu nehmen, dass dies ein Zeichen für das kommende jüngste Gericht sein müsse. Mit diesem Hintergrund, hier zwei Zitate aus dem Schulgesetz von eben diesem Kanton (meine Betonung):
2 Ziel1 Die Bildung ist ein umfassender und lebenslanger Prozess, der die Menschen in ihren geistigen, körperlichen, seelischen, kulturellen und sozialen Fähigkeiten altersgemäss fördert und von ihnen Leistungsbereitschaft fordert. Das Bildungswesen weiss sich der christlichen, humanistischen und demokratischen Tradition verpflichtet.
20 Christlicher Religionsunterricht1 Der christliche Religionsunterricht wird durch die Landeskirchen und die anderen kantonal anerkannten Religionsgemeinschaften organisiert.2 Die Schulen ermöglichen den Schülerinnen und Schülern die Teilnahme.3 Die Trägerschaft stellt die dafür erforderlichen Schulräume unentgeltlich zur Verfügung.4 Die Religionslehrerinnen und Religionslehrer nehmen an den Sitzungen des Lehrerinnen- und Lehrerkonvents ihrer Schule mit beratender Stimme teil.
Dies Privilegien existierten schon als ich dort zur Schule ging und sie waren mir schon damals ein Dorn im Auge. Wo waren die ganzen Leute die nun plötzlich keine Religion in baselbietern Klassenzimmer sehen wollen während den letzten Jahrzehnten? Solange wir vom Staat subventioniert religiös indoktrinierte wurden, war offenbar alles in Ordnung. Aber wenn zwei Teenies mit ihren kruden religiösen Ansichten angelaufen kommen, dann wird die Justizministerin auf Bundesebene mobilisiert um einen schulinternen informellen und wie schon gesagt eigentlich vernünftigen Kompromiss zu Fall zu bringen. Und auch hier wieder liebe Leute mit Leseproblemen: Ich sage nicht, dass der status quo gut ist, ich sage, dass für alle gleiche Regeln gelten sollten.
Nebenbei würde mich interessieren wie die gleiche Diskussion geführt würde falls überhaupt, wenn es sich beispielsweise um ultraorthodoxe Juden handeln würde. Problematisieren könnte man ähnliches: Diskriminierung von Frauen, die vielbemühte Parallelgesellschaft, isolierte religöse Schulen die indoktrinieren, etc. Ich vermute die Diskussion würde wesentlich differenzierter verlaufen und der Kompromiss tendenziell gelobt. Leider wäre dies wohl teilweise darauf zurückzuführen dass offener Antisemitismus als verpönt gilt und viele darum ihre Ressentiments unter einer dünnen Decke vorgetäuschten Anstandes halten würden. Es besteht leider kaum Zweifel an der Universalität von tribalistischem Denken. Zumindest ein kleiner Sieg für die politische Korrektheit.
Obwohl es sich um einen Fall in einer Schule handelt (und eventuell einem zweiten gemäss einigen Medienberichten) wird nun daraus sofort eine Integrationsdebatte (obwohl je nach Quelle war es nicht klar ob es sich überhaupt um Immigranten handelt). Die Muslime müssen sich integrieren und unsere Regeln befolgen. Obwohl kaum jemand in der Schweiz aus religiösen Gründen nicht Hände drückt, obwohl es kaum eine universelle schweizerische kulturelle Praxis gibt und obwohl es in einer freien Gesellschaft keinen gesetzlichen Zwang zur kulturellen Anpassung geben darf solange die Gesetze respektiert werden, soll trotzdem ein vorwiegend imaginärer Gegner in eine imaginäre Schablone gedrückt werden. Politik auf der Basis von mediatisierten Einzelfällen. Und wenn im Prozess das Kind mit dem Badewasser ausgeschüttet wird, dann werfen wir das Becken und den Tisch gleich noch hinterher. Hauptsache wir wissen wo der Feind sitzt.
Danke fürs Durchhalten. Hoffentlich Morgen gibt es hier im Blog dafür noch etwas im Zusammenhang mit meiner Arbeit.
PS: Es gelten die gleichen Kommentarregeln wie immer. Ich werde ohne Vorwarnung und nach Gutdünken entvokalisieren und löschen. Dies gilt besonders bei Jammern über angebliche “Zensur”. Wer damit ein Problem hat, soll gar nicht erst kommentieren.
PPS: Ja, ich habe gelesen was die Journos in den Facebook Profilen der beiden Teenager respektive deren Vater meinen gefunden zu haben. Wer meint das ändert irgendwas an dem oben gesagten, der soll den Post nochmals lesen. Und wer es immer noch nicht versteht, ein drittes Mal. Hilft das auch nicht, kann er oder sie meinetwegen bei Politically Incorrect kommentieren gehen. Dort versteht man sich sicher.
Kommentare (93)