[Dies ist ein Gastbeitrag von Gesche Schifferdecker zu einer aktuellen Debatte in den Politikwissenschaften]

Eines der ersten Gespräche mit meinem Partner drehte sich um die Politikwissenschaft. Er ist Franzose und hat am Institut d’études politiques (kurz: Sciences Po) in Strasbourg studiert. Ein Politikwissenschaftler der alten Schule also. Er war begeistert, als ich ihm berichtete, dass ich derselben Zunft angehöre, und erklärte mir allen Ernstes, mit dem Studium könne man quasi überall arbeiten. Ich habe herzlich gelacht und gefragt, ob er mich auf den Arm nehmen wollte. Aber nein – in Frankreich, und auch in Brüssel, wo er seit vielen Jahren „Policy Adviser“ ist, geht das offensichtlich. Dort arbeiten PolitikwissenschaftlerInnen in Unternehmen, im Öffentlichen Dienst, in der Politikberatung, im Journalismus und in vielen anderen Bereichen. Und wenn sie in der Wissenschaft bleiben, äußern sie sich zu öffentlichen Debatten – wie zum Beispiel Jean-Yves Camus zum Erfolg des Front National. Vor allem aber arbeiten Politikwissenschaftler in der Politik. Um dort Karriere zu machen, sollte man die klassische Laufbahn planen: Sciences Po, am besten in Paris, und danach ein weiteres Studium an der École nationale d’administration (ENA). Der jetzige französische Präsident Francois Hollande hat dort seinen Abschluss gemacht, genau wie vor ihm Valéry Giscard d’Estaing oder Jacques Chirac. Politische Wissenschaft ist in Frankreich ein Studium mit Machtgarantie.

In Deutschland sieht es für unsere Disziplin vermeintlich anders aus. „Ein Fach ohne Ausstrahlung“ titelte kürzlich die Frankfurter Allgemeine Zeitung. In Deutschland ist Herfried Münkler einer der wenigen Politologen, die einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind. Er ist ein typischer „public intelectual“, berät Institutionen und veröffentlicht Bücher, die man auch als Nicht-Wissenschaftler lesen und verstehen kann. Aber er machte auch kürzlich Schlagzeilen mit Münkler-Watch, einem Blog, in dem Studierende an der HU Berlin ihm „Rassismus, Sexismus, und Militarismus“ vorwerfen. Und aus seinen Vorlesungen zitieren. Seitdem möchte ich nicht mehr Publikum seiner öffentlichen Auftritte sein.

Wie hat sich diese – im Vergleich z. B. zur Geschichtswissenschaft und Ökonomie – immer noch junge, verheißungsvolle Disziplin in den vergangenen Jahren tatsächlich entwickelt? Einige ihrer Gründungsväter in Deutschland habe ich studiert: Max Weber als der bekannteste natürlich, aber zum Beispiel auch Ossip K. Flechtheim und Eric Voegelin, die eher zu den „Underdogs“ zählen. Viele der antiken, mittelalterlichen und frühneuzeitlichen und modernen Philosophen habe ich ebenso verschlungen – obwohl die Disziplin noch nicht „Politische Wissenschaft“ hieß. Heute lese ich Axel Honneth und Jürgen Habermas. Letzterer ist zwar eher ein Philosoph, gilt aber als einer der wichtigsten wissenschaftlichen Kritiker aktueller politischer Entscheidungen, zum Beispiel in Bezug auf die Europapolitik der Bundesregierung (vgl. auch hier). Axel Honneth findet man im Deutschlandradio oder in der taz, wenn er ein neues Buch vorstellt. Zurzeit beschäftigt er sich mit der Wiederbelebung sozialistischer Ideen. Das Thema ist hochspannend, aber auch hier ist der Diskurs – zugegebenermaßen – eher philosophisch. Mir fehlt eine Einschätzung aktueller Debatten von VertreterInnen der politischen Philosophie genauso wie von WissenschaftlerInnen, die sich mit Internationalen Beziehungen oder Europapolitik beschäftigen. Warum vermitteln sie weder uns als Gesellschaft noch unseren politischen RepräsentantInnen anwendungsbezogenen Ideen? Wo sind die wissenschaftsinternen und die öffentlichen normativen Debatten, auf deren Basis die Disziplin gegründet wurde? Wie sollen wir mit brennenden Themen wie Integration und demographischer Entwicklung, aber auch mit zunehmender Politikverdrossenheit und zentrifugalem politischen Wettbewerb umgehen? Wer kann uns heute eine Richtung vorgeben? Überlässt die Politikwissenschaft dieses Feld den Juristen und Historikern? (Ich verwende hier bewusst das Maskulinum, weil Frauen extrem unterrepräsentiert sind in öffentlichen wissenschaftlichen Debatten – aber das ist Stoff für einen weiteren Blogbeitrag.)

Wenn ich diese Wünsche äußere, geht es nicht darum, „dem drängendem Wunsch nach einer Politologie nachzugeben, die den Gesetzen öffentlicher Werbung gehorcht“, wie der Münchner Politikwissenschaftler Sebastian Huhnholz den Autoren des FAZ-Artikels Frank Decker und Eckhard Jesse vorwirft. Es geht darum, sich überhaupt allgemein zugänglich zu äußern, auch normativ. Aus der Wissenschaft und von Forschungsergebnissen zu berichten ebenso wie aktuelle politische und gesellschaftliche Fragen zu kommentieren. Sebastian Huhnholz ist dafür übrigens ein tolles Beispiel. Er zählt zu den Wissenschaftlern, die die Öffentlichkeit an ihren Gedanken teilhaben lassen –  indem er bloggt. Das Theorieblog, zu dessen Redakteuren und Autoren er gehört, ist eines der wichtigsten Wissenschaftsblogs für die Community in Deutschland, wo sowohl wissenschaftliche Debatten abgebildet als auch tagespolitische Ereignisse diskutiert werden.

Die Politikwissenschaftler Thomas Plümper und Thomas König haben als Reaktion auf den FAZ-Artikel einen offenen Brief mit dem Titel „Die Unsichtbarkeit der Politikwissenschaft und die Furcht vor der Amerikanisierung“ geschrieben, der auf der Webseite der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft publiziert worden ist. Für wen war dieser Brief gedacht? Für die Community?  Dann spiegelt er genau das selbstreferentielle Verständnis von Wissenschaft, das die Politikwissenschaft laut Frank Decker und Eckhard Jesse in ihre kritische Situation gebracht hat. Die Befürchtung von Jäger und Plümper, dass der „wissenschaftliche Diskurs durch einen öffentlichen Diskurs ersetzt“ werden könnte, wenn Politikwissenschaftler sich mehr an die Öffentlichkeit wenden, teile ich nicht. Ich verstehe, wenn WissenschaftlerInnen mit den Mechanismen des medialen Marktes nicht immer einverstanden sind – umso wichtiger ist es, dass sie sich nicht zurückziehen und den Austausch von – so Plümper und König – „Austausch von ideologiebasierten Meinungen“ anderen überlassen.

Mir ist natürlich klar, dass ich zu den VertreterInnen derjenigen Politologen zähle, die die aktive Wissenschaft verlassen haben, und dass man mich deswegen vielleicht nicht ernst nimmt. Stattdessen arbeite ich jetzt als Referentin für Wissenschaftskommunikation, und meine Perspektive ist genauso subjektiv wie alle anderen. Ich fordere nicht nur die Transparenz von Forschungsergebnissen, sondern auch an einen fruchtbaren Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Gleichzeitig habe ich aber das Vertrauen in die Kompetenz meiner Disziplin nicht verloren. Deswegen möchte ich an meine ehemaligen KollegInnen appellieren: Nehmt Stellung! Gebt Interviews, bloggt, diskutiert öffentlich, traut Euch! Lasst uns teilhaben an Euren Gedanken und auch am try&error! Denn –  um es frei nach meinem Lieblingsphilosophen Aristoteles zu sagen – „es gibt nur einen Weg um Kritik zu vermeiden: tue nichts, sage nichts und sei nichts“. Das ist nicht die Zukunft, die ich mir nach 2400 Jahren intensiver Auseinandersetzung mit uns Menschen als politische Lebewesen für die Politikwissenschaft wünsche.

Gesche Schifferdecker ist Referentin für Wissenschaftskommunikation und ein zoon politikon. In ihrem nächsten Leben möchte sie ihre Dissertation beenden – allerdings gerne mit einem Arbeitsvertrag an der Uni, der für mindestens zwei Jahre anstelle von für zwei Monate angelegt ist.

Korrektur: Ich wurde darauf hingewiesen, dass die im Text erwähnte vermeintliche Stellungnahme der Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft nur eine Einsendung an diese war, die die DVPW dann auf ihrer Webseite veröffentlichte. Die Autoren sprechen nicht für die Organisation, den Vorstand oder Beirat. Ich habe den Satz entsprechend geändert. Die Autorin hat den Abschnitt nun neu formuliert.

 

Kommentare (18)

  1. #1 Alisier
    Mai 12, 2016

    Ehe ich mich zu diesem wie ich finde sehr interessanten und wichtigen Beitrag ausführlicher äußere:
    Ich denke, dass, wie du es ja auch beschreibst, die Sciences Po und die ENA in Frankreich teilweise das sind, was man Machtschmieden nennen könnte. In Deutschland gibt es Vergleichbares nicht, und über die Gründe zu sprechen würde uns eventuell einiges an Erkenntnissen bringen.
    Bisher ist bei mir nicht der Eindruck entstanden, als seien die entsprechend ausgebildeten Franzosen (oder Belgier) besonders aktiv, wenn es darum geht, ihre politikwissenschaftlichen Kenntnisse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sondern ich sah und sehe sie eher als mit der Macht und den sogenannten Eliten verflochten.
    Unabhängigere Geister wie Habermas oder Honneth kann ich mir zum Beispiel als Sciences Po- oder ENA-Absolventen gar nicht vorstellen.
    Hier haben wir es mit völlig unterschiedlichen Konzepten und Zielrichtungen der Politikwissenschaften zu tun: in Frankreich geht es sehr oft um den Zugang zu den Fleischtöpfen, was auch legitim ist, aber eben nicht dazu führt, dass aus der politikwissenschaftlichen Ecke (von ein paar wenigen Ausnahmen abgesehen) ernsthafte Kritik an der Entwicklung der politischen Landschaft in Frankreich geübt wird.
    Ich empfinde die Diskussionen in Deutschland als sehr anders und lebendiger, und ich habe auch den direkten Vergleich.
    Ich stimme zu, dass es gut wäre, mehr Öffentlichkeit zu wagen. Welche Plattformen in Deutschland dazu wirklich gut geeignet sind, darüber wäre noch zu reden.
    Noch kurz zu Münkler: wäre in Frankreich, behaupte ich, nicht möglich gewesen. Die französischen Studenten kuschen lieber dreimal, ehe sie es wagen auch nur an Widerstand gegen eine Autoritätsperson zu denken. Was nicht heißen will, dass ich bei der Münkler-Geschichte auf Seiten der protestierenden deutschen Studenten sehe.

  2. #2 Dr. Webbaer
    Mai 12, 2016

    Wäre normativ, also über das Deskriptive vorgebende Politologie nicht “Tendenzwissenschaft”?
    Also Wissenschaft, die die Annahme bestimmter politischer Einschätzung voraussetzt, wie bspw. die sogenannte Kritische Theorie oder die feministische Anthropologie oder die sozialistische Wirtschaftswissenschaft (wie sie insbesondere einstmals, aber auch heute noch in sozialistischen Gesellschaftssystemen geübt wird)?
    Sind Politologen nicht die sozusagen natürlichen Begleiter des Souveräns, wenn dieser im sozusagen nie endenden gesellschaftlichen Diskurs meinungsbildend wie herrschend bleibt?

    MFG
    Dr. Webbaer

  3. #3 Volker Birk
    https://blog.fdik.org
    Mai 13, 2016

    Wer Normen ausgibt, verlässt die Wissenschaft.

    Aufgabe der Wissenschaft ist es, Dinge zu analysieren. Sie sollte einen Wahrheitsanspruch dahingehend tunlichst vermeiden, dass sie etwa behauptete, Wahrheiten ausserhalb bestehender Evidenz zu kennen.

    Deshalb kann ein Wissenschaftler als Bürger trotzdem eine politische Meinung vertreten. Der Bankrott der Ökonomischen Wissenschaft sollte jedoch in der politischen nicht wiederholt werden. Glaubensinhalte und Dogmen haben mit Wissenschaft nichts zu tun.

    Wissenschaft muss ergebnisoffen bleiben.

  4. #4 Alisier
    Mai 13, 2016

    Ich habe die Autorin nicht so verstanden, als wolle sie, vielleicht sogar mit Alleinvertretungsanspruch, Normen setzen. Aber dass die Unterstellung gleich zweimal hintereinander in unterschiedlichem Gewand daherkommt zeigt mir wie sensibel hier in Deutschland auf bestimmte Reizwörter reagiert wird, wenn es ums Politische im weitesten Sinne geht.
    Ich halte die Forderung der Autorin die Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen für eminent wichtig. Und im Moment dominiert bei manchen Themen (geflüchtete Menschen beispielsweise) oft eine Art ängstliche Ahnungslosigkeit gepaart mit aggressiver Weigerung sich wirklich mit dem Ganzen auseinanderzusetzen. Hier sind aber eigentlich alle gefragt, und hier hilft es auch nicht, Philosophie, Politik und die Naturwissenschaften künstlich zu trennen.
    Die, die etwas wissen (können) sollten sich auch aus meiner Sicht viel weiter nach vorne wagen, und die Diskussion auf vielen Ebenen suchen.
    Mit Blick auf Frankreich möchte ich aber nochmal betonen, wie sehr eine Einbindung von gleich ausgebildeten “Eliten” in Machtzirkel scheitern kann. Der FN ist eines der Resultate und Immigranten waren z.B. den französischen Politikwissenschaftlern noch nie der Erwähnung wirklich wert, davon mal abgesehen, dass man sie in den Eliteschmieden mit der Lupe suchen muss.
    In Deutschland haben wir die Chance, die Diskussion anders und offener zu führen, auch weil Einheitsmeinungen immer noch zu Recht diskreditiert sind.
    Jetzt stellt sich aus meiner Sicht vor allem die Frage wie und wo eine breite Diskussion so geführt werden kann, dass sie auch in die Breite wirken kann.

  5. #5 Dr. Webbaer
    Mai 13, 2016

    @ Alisier :

    1.) ‘Wer soll normative Richtungen vorgeben, wenn nicht Ihr?’

    2.) ‘Wo sind die wissenschaftsinternen und die öffentlichen normativen Debatten, auf deren Basis die Disziplin gegründet wurde?’

    3.) ‘Es geht darum, sich überhaupt allgemein zugänglich zu äußern, auch normativ.’

    (Hervorhebungen jeweils: Dr. Webbaer)

    Ihr Kommentatorenkollege holt ein wenig aus:
    Als das Nomadentum i.p. Landwirtschaftlichkeit erkannte sich dbzgl. womöglich besser zu stehen als durch die Jagd, kam es zu Agglomerationen, auch Städte genannt, zur Polis.

    Hier entstand dann sozusagen eine bestimmte Geschäftsordnung, es hatte Herrschende zu geben und die Einrichtung von sogenannten Ständen bot sich an, es ging allgemein um gesellschaftliche Differenzierung und um Handhabung von auf diese Polis bezogene Chance und Herausforderung.

    Es entstand etwas, das Politik genannt worden ist.

    Und im Rahmen dieser Politik durfte dann auch von einigen gedacht werden, die sogenannte Philosophie betrieben und die erst dann erkannten und verlautbarten, dass Politik betrieben wird, dort wo sie leben.

    Die Philosophie ist die Mutter jeglicher Wissenschaftlichkeit und nach und nach wurden aus ihr die Disziplinen, die Sie auch kennen, herausgelöst.

    Die Politik ist keine wissenschaftliche Disziplin, die Politologie ist aber eine.

    Wenn die Politologie sittlich wertend wird, führt sie sich abär auf die Philosophie zurück, sie wendete sich dann sozusagen gegen die Mutter und würde sozusagen übergriffig.

    Was im Artikel gemeint sein könnte, ist, dass die Philosophie stets und steif normierend oder normativ zu bleiben hat, gerne unterstützt von der Gesellschaft, der Zivilisation oder Bürgerwerdung.

    HTH
    Dr. Webbaer

  6. #6 Alisier
    Mai 13, 2016

    Ich stimme Ihnen, Herr Dr Webbaer, dann ausnahmsweise zu, dass die Formulierungen stark sind, und vielleicht nicht ganz passend.
    Warten wir doch auf die Autorin und eine hoffentlich erhellende Diskussion dazu.

  7. #7 Gesche Schifferdecker
    Köln
    Mai 13, 2016

    Liebe KommentatorInnen,

    vielen Dank für die differenzierten Rückmeldungen. Ich bemühe mich, angemessen darauf einzugehen.
    Ich stimme @Alisier zu, dass die Politische Wissenschaft in Frankreich eine Machtschmiede ist. Und dass viele der mächtigen französischen PolitikerInnen dieser entstammen, hat der politischen Landschaft in Frankreich zweifelsohne nicht immer gut getan. Ich habe diese Anekdote nicht verwendet, um das französische System zu idealisieren, sondern um deutlich zu machen, wie es sich mit der Anerkennung des Fachs dort verhält.
    Nicht zustimmen möchte ich der These, dass eine Science Po keinen Habermas oder Honneth hervorbringen könnte. Ich kenne durchaus Politikwissenschaftler (leider keine -Innen) in Frankreich, die sich öffentlich zu politischen Fragen äußern, und zwar durchaus kontrovers (z. B. Alfred Grosser oder Asiem El Difraoui).
    ENA? Geschenkt – aber wenn man die besucht, hat man ja auch ein explizites Ziel und das hat mit Wissenschaft nichts mehr zu tun.
    Ich frage mich, @Dr Webbaer, warum ein Wissenschaftler, der Stellung nimmt zu drängenden politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen (soziale Schere, Migration, Fremdenfeindlichkeit, Europa-Verdrossenheit, um nur eine Auswahl zu nennen), zum “Tendenzwissenschaftler” degradiert wird. Mir geht es darum, Wissen zu teilen. Mit denen, die es nicht besser wissen können, weil sie nicht zu diesen Themen arbeiten. In einer Sprache, die eine breiteres Publikum versteht. “Die Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen”, wie Alisier gesagt hat. Ich meine nicht, dass alle Wissenschaft jetzt normativ werden soll – um Himmels Willen. Aber sie muss auch nicht in der Deskriptivität verharren. Ich wünsche mir, dass Politische Wissenschaft beides ist. Ich wünsche mir, dass diejenigen analysieren und mögliche Richtungen weisen, die sich auskennen. Die anderen (PolitikerInnen, JournalistInnen und andere Akteure, die in der Öffentlichkeit stehen) äußern sich sowieso.
    Ich weiß auch, dass das Leben kein Wunschkonzert ist. Aber mir war es wichtig, meine Frustration darüber zu formulieren, dass die Politische Wissenschaft (zumindest die an der Uni, ich spreche nicht von Think Thanks etc.) unter sich bleibt – eben weil ich ihr viel mehr zutraue.
    Meine Formulierungen sind stark, weil ich blogge und journalistisch arbeite – ich habe keinen wissenschaftlichen Beitrag geschrieben und bin alles andere als neutral. Ich möchte eine Debatte anregen und das gelingt einem leider nicht, wenn man sich wegduckt.
    (Und ich komme tatsächlich aus der politischen Philosophie, deswegen bin ich wahrscheinlich so Mutter-bezogen 😉
    Ich wünsche Euch noch einen schönen Tag und freue mich auf weitere Diskussionen. Beste Grüße vom sonnigen Balkon!

  8. #8 Sebastian Huhnholz
    Mai 13, 2016

    Merci.

  9. #9 Dr. Webbaer
    Mai 14, 2016

    Ich frage mich, @Dr Webbaer, warum ein Wissenschaftler, der Stellung nimmt zu drängenden politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen (soziale Schere, Migration, Fremdenfeindlichkeit, Europa-Verdrossenheit, um nur eine Auswahl zu nennen), zum “Tendenzwissenschaftler” degradiert wird.

    Die Alternative besteht eben darin mit politisch besonderer Meinung offen als Philosoph, der auch Wissenschaftler ist, aufzutreten, auch dann, wenn eine politologische Ausbildung vorliegt.
    Der Philosoph darf und soll sozusagen alles, in etwa so wie der Satiriker.
    >:->

  10. #10 Joseph Kuhn
    https://scienceblogs.de/gesundheits-check/
    Mai 14, 2016

    Ich würde mir von den Politikwissenschaften Analysen zu wichtigen Public Health-Debatten wünschen: zu den gesellschaftlichen Konsequenzen des starken Sozialgradienten bei der Gesundheit, zur Frage der Eigenverantwortung in der Prävention bzw. zum Verhältnis zwischen staatlicher Risikokontrolle und Freiheit (Stichworte Rauchverbote und Impfpflicht), zur Anhäufung steuerungsrelevanter Daten im Gesundheitsbereich und vielem mehr – alles eminent politische Themen, die unsere gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen im Kern berühren. Von den Politikwissenschaften hört man dazu leider nicht viel.

  11. #11 Gesche Schifferdecker
    Mai 16, 2016

    @Dr Webbaer: Damit bin ich auch einverstanden – aber dann stehen wir wieder vor dem Problem, dass sich wenige Politologen zutrauen, auch Philosophen zu sein… Und dann ändert sich nichts, befürchte ich.
    @Joseph Kuhn: Absolut d’accord.

  12. #12 Wilhelm Leonhard Schuster
    Mai 21, 2016

    Devokalisierungs………….Problem!

  13. #13 Wilhelm Leonhard Schuster
    Juni 2, 2016

    Das mit den “Normativen Richtungen vorgeben…”
    Klassisches Beispiel : Die Balfour Erklärung mit den darauf folgenden Presse Exzessen in Amerika und der “Westlichen Welt”.
    Durch das Internet sind derartige Einseitigkeiten,
    glücklicherweise, etwas eingeschränkt und nicht mehr soo dominant.
    Dennoch: Clausewitz scheint zeitlos (richtig zu liegen).

  14. #14 cero
    Juni 3, 2016

    Ich kenne mich in der Politikwissenschaft und den aktuellen Forschungsgebieten nicht besonders gut aus.

    Gibt es denn Ergebnisse in der Politikwissenschaft, die unter Politologen unumstritten sind? Mein bisheriger Eindruck ist, dass es so viele verschiedene Analysen wie Politikwissenschaftler gibt.

    In dem Fall würde ich keinen besonderen Vorteil darin sehen, wenn man jetzt anfangen würde sich normativ zu äußern. Eine deskriptive Wissenschaftskommunikation ist natürlich immer erwünscht!

    Ansonsten gilt natürlich so oder so, wie Volker Birk oben geschrieben hat.

    Wer Normen ausgibt, verlässt die Wissenschaft.

    (Was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass es nicht getan werden sollte)

  15. #15 gevert
    Juni 3, 2016

    @ cero #14

    Ansonsten gilt natürlich so oder so, wie Volker Birk oben geschrieben hat.
    Wer Normen ausgibt, verlässt die Wissenschaft.
    (Was aber nicht zwangsläufig bedeutet, dass es nicht getan werden sollte).

    Das sehe ich genauso. Wenn ein Wissenschaftler eine Norm vorgibt, dann ist das in Ordnung, wenn er diese Norm ausdrücklich als Norm benennt und dafür keine Wissenschaftlichkeit beansprucht. Seine weitere Untersuchung dessen, was aus dieser Norm folgt, kann dann aber durchaus eine wissenschaftliche Analyse sein.

    Einer politologischen Analyse, die ohne Norm daher kommt, fehlt das Herzblut. (Auch wenn “Herzblut” keine wissenschaftliche Kategorie sein mag).

  16. #16 Gesche Schifferdecker
    Köln
    Juni 6, 2016

    @cero: Es gibt schon ein paar mehr Politikwissenschaftler als Analyse-Ansätze. 😉
    @gevert Ich bin total d’accord, dass man für die normativen Diskussionen eine andere Rolle annehmen darf bzw. sollte und dies auch benennen muss. Aber wie wir alle in unserem Leben ständig unterschiedliche Blickwinkel einnehmen – könnte das doch auch die (Politik)Wissenschaft tun?!
    Am “Herzblut” fehlt es dabei wohl den wenigsten.

  17. […] Wiewohl die „Werkstattatmosphäre“ – Ausfluss des von der Schader-Stiftung angeregten Formats mit maximal 20 Teilnehmern – zu größerer Offenheit einlud als manch größere Tagung, mündete keines der drei Gespräche in konsensuellem Nicken: Bei der Nachhaltigkeitsdiskussion konkurrierten prinzipielle Skepsis, kulturelle und institutionelle Ideen. Bei der Legitimitätsdebatte wurden Zweifel am übergreifenden politischen Willen zu einer „Konsultative“ bzw. zu ernsthaftem politischem Dialog wie auch an der Umsetzbarkeit – Stichwort: Komplexitätszunahme – laut. Und die Kritik am Wahlmodus sei wiederum vielfach berechtigt, verlange aber aufgrund der Pfadabhängigkeiten minimalinvasive Eingriffe. Es wurde mithin zweierlei deutlich: dass die normativen und fachlichen Divergenzen nicht wegzudiskutieren sind (es nahmen Vertreter der einschlägigen Disziplinen und der Zivilgesellschaft teil); und dass die Erforschung der strukturimmanenten Demokratiedefekte noch am Anfang steckt. Wenn auch die größten „Baustellen“ mittlerweile bekannt sind, tut sich die Sozialwissenschaft noch mit größeren institutionellen Reformvorschlägen schwer. Gleichwohl: Ohne die unausgesprochene Zustimmung zu folgender Frage wäre die Veranstaltung wohl ausgeblieben: „Wer soll normative Richtungen vorgeben, wenn nicht Ihr?“. […]

  18. #18 rosi
    re
    April 27, 2021

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