Gestern Abend fand in der Sendung von Anne Will eine Diskussion über Plagiate und Betrüger statt. Einige Blogger von DE PLAGIO haben die Runde via Live-Blog begleitet (wer will, kann alles nochmal hier nachlesen). Die Diskussion endete so, wie solche Diskussionen immer enden: völlig unverbindlich. Und das trotz des gewaltigen Unsinns den Herr (Noch)Dr. Jorgo Chatzimarkakis so von sich gegeben hat (Es braucht genau zwei Anführungszeichen und eine Quellenangabe um ein Zitat als solches zu kennzeichnen! Wenn Herr Chatzimarkakis dass nicht zustande bringt, dann ist das keine “Methodenschwäche” und keine in Harvard oder Oxford übliche Zitierweise. Wenn man übernommene Textstellen nicht kennzeichnet, dann ist das ein Plagiat!). Eine Leserin hat aber später einen interessanten Vorschlag gemacht: Warum die akademischen Titel nicht ganz abschaffen?
Ok, das ist eine ziemlich radikale Idee. Zumindest für so titelliebende Länder wie Deutschland und Österreich. Aber aus wissenschaftlicher Sicht ist der Doktortitel wirklich ziemlich unnötig. Ich kenne jede Menge Doktoren und die allermeisten davon bestehen nicht wirklich darauf, dass sie mit ihrem Titel angeredet werden und führen ihn auch – von irgendwelchen offiziellen Dokumenten mal abgesehen – nicht. Klar, man freut sich schon, wenn man seine Dissertation beendet hat. Aber deswegen wird man normalerweise nicht Wissenschaftler. Der Doktortitel sind im Prinzip einfach nur zwei Buchstaben die man im Laufe seiner Karriere fast schon zwangsläufig einsammelt. Die Qualität der Laufbahn wird aber nicht vom Doktortitel bestimmt sondern von der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeiten.
Komplett abschaffen kann man akademische Grad natürlich nicht. Irgendein Nachweis für die Qualifikation muss ja vorhanden sein. Aber dafür braucht es ja nicht zwingend akademische Titel. Wozu gibt es Zeugnisse? Wer sein Abitur besteht, erhält ja auch nur ein Zeugnis und keinen offiziellen Titel der er fortan vor seinen Namen stellen kann. Auch am anderen Ende der Titelskala sieht man jetzt schon, dass man gut ohne Titel auskommt. Wer sich in Deutschland oder Österreich “Privatdozent” oder irgendwann einmal “Professor” nennen will, muss heute immer noch eine Habilitationsarbeit verfassen. In anderen Ländern kommt man aber wunderbar ohne Habilitation aus, es reicht völlig nachzuweisen, dass man ausreichend wissenschaftlich qualifiziert ist um eine Professorenstelle antreten zu können; man braucht keine offizielle Habilitation. Und deswegen findet man mittlerweile in allen entsprechenden Stellenausschreibungen unter den Voraussetzungen auch den Punkt “Habilitation oder gleichwertige Qualifikation”. Ganz genau! Es kommt darauf an, was man kann und nicht, was vor oder hinter dem Namen steht!
Was wäre, wenn die Leute – so wie jetzt – an den Universitäten die Grundlagen ihrer Wissenschaft lernen. Als Beleg dafür, dass sie alles tatsächlich auch beherrschen, erhalten sie – so wie jetzt – ein Zeugnis. Das können sie dann bei Bewerbungen vorlegen um zu zeigen, dass sie ausreichend Ahnung haben von BWL, Jura, Finnisch oder was auch immer dort gefordert wird. Wer Wissenschaftler werden möchte, bleibt auf der Uni und lernt weiter – ebenfalls so wie jetzt. Man macht das, was man auch jetzt schon als Dissertant macht: man arbeitet wissenschaftlich. Diese wissenschaftlichen Ergebnisse werden veröffentlicht und zwar nicht in Form einer Doktorarbeit. Sondern ganz normal, als wissenschaftlicher Artikel in einer Fachzeitschrift oder wie es eben sonst in der jeweiligen Disziplin üblich ist. Wer später eine Stelle an einer anderen Universität antreten will oder sich für Fördergelder bewirbt, der wird einfach – so wie jetzt auch – einen Lebenslauf und eine Publikationsliste vorlegen. Und je nachdem ob man ausreichend qualifiziert ist, erhält man Job und Geld oder eben nicht. Das alles ist jetzt auch schon so. Der Doktortitel ist einfach nur noch ein “Bonus”.
Und das ist vermutlich auch das Problem. Leute wie Guttenberg, Koch-Mehrin oder Chatzimarkakis haben ja nicht studiert, weil sie unbedingt Wissenschaftler werden wollten oder weil sie so wahnsinnig revolutionäre Thesen hatten, die unbedingt in Form einer Doktorarbeit ausgearbeitet werden mussten. Sie haben Doktorarbeiten geschrieben, weil sie von der Strahlkraft des “Dr.” profitieren wollten, weil sie sich von der abgeschlossenen Dissertation Vorteile für ihren Job als Politiker versprochen haben. Und das ist ja auch völlig legitim. Mehr Qualifikation, mehr Wissen ist immer gut. Und Weiterbildung ist immer löblich. Wenn sich Politiker neben ihren Job noch an den Universitäten rumtreiben wollen um dort ein bisschen was zu lernen und zu forschen, dann ist das bewundernswert. Wenn sie es schaffen, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, ebenfalls. Sie können diese Qualifikation dann jederzeit für ihr berufliches Fortkommen und ihren Job benutzen. “Herr Kollege, ich habe drei Artikel über grüne Gentechnik in ‘Nature’ veröffentlicht: erzählen sie mir also keinen Unsinn!” – das würde doch gut in einer Diskussion kommen 😉 Aber ich vermute, dass die meisten Politiker die Strapazen der wissenschaftlichen Arbeit nicht auf sich nehmen würden, wenn am Ende nicht der Doktortitel steht denn sie fortan vor ihren Namen stellen und auf Wahlplakate drucken können. Und dann fällt natürlich auch ein großer Anreiz weg, bei der wissenschaftlichen Arbeit zu schummeln.
Ich hab es ja Anfangs schon gesagt: wenn man sich das Elend der deutschen/österreichischen Bildungspolitik (über die in der Schweiz weiß ich nicht Bescheid) ansieht, dann ist es nicht realistisch, dass sich die Politiker tatsächlich auf eine Abschaffung der akademischen Titel einigen. Funktionieren würde es aber vermutlich. Der wissenschaftliche Betrieb würde weiter laufen und die, die die Wissenschaft für ihre eigenen Zwecke ausnutzen wollen, haben nichts mehr davon.
P.S. Eine Abschaffung des Dr. Titels wird nicht dazu führen, dass nicht mehr betrogen wird. Wissenschaftliches Fehlverhalten gab es immer schon und wird es auch leider immer geben; ganz unabhängig von Dissertationen. Die Plagiatsdebatte habe ich nur als Anstoß genommen, um über eine Abschaffung nachzudenken, nicht als Argument für eine Abschaffung.
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