Die LHC-Kritiker haben es nicht einfach. Seit bald 2 Jahren schon ist der große Teilchenbeschleuniger des europäischen Kernforschungszentrums in Betrieb und er weigert sich standhaft, uns alle umzubringen! Keine schwarzen Löcher, die uns alle einsaugen; keine Katastrophe – der LHC macht genau das, was er tun soll (kein Wunder, er ist ja auch nicht gefährlich). Er sammelt Daten und bald sind genug davon da, um die ersten wirklich spektakulären Ergebnisse verkünden zu können. Schlechte Zeiten also für Wichtigtuer, die mit der Angst vor dem LHC ein bisschen Aufmerksamkeit erregen wollen. Leider findet sich aber doch noch ab und zu das eine oder andere prominente Medium, dass ihnen die Aufmerksamkeit schenkt, um die es ihnen geht. Im Januar 2011 war es Telepolis, wo der Chef der Anti-LHC-Gruppe, Otto Rössler, seine Pseudotheorie verbreiten durfte. Jetzt ist es sein Mitstreiter Markus Goritschnig, der sich im Online-Standard zu Wort melden darf.
Anlass ist die Ars Electronica, ein Festival zum Thema Kunst & Forschung, dass am Mittwoch in Linz startet. Das Thema dieses Jahres lautet “Origin – wie alles beginnt” und da ist es nicht unpassend, wenn man sich auch mit dem CERN beschäftigt. Denn die Ergebnisse, die dort gewonnen werden, werden einen großen Einfluss auf die diversen kosmologischen Theorien haben, mit denen die Wissenschaftler die Entstehung und Entwicklung unseres Universums beschreiben. Auf der Homepage der Ars Electronica schreibt man:
“Die Suche nach dem Ursprung ist weit mehr als nur Grundlagenforschung. Sie ist das, was uns zu Menschen macht: der Wunsch, die Grenzen unseres Wissens zu verstehen und zu erweitern, damit Neues entstehen und daraus gesellschaftliche Dynamik entwickelt werden kann. Forschung und Kunst sind somit nicht mehr nur Ausdruck der menschlichen Sehnsucht nach Erkenntnis, sondern zeigen ihr Potenzial, die Offenheit und Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft zu fördern. So widmet sich diese Ausstellung der spektakulären und faszinierenden Welt von Wissenschaft und Forschung. Der „puren Wissenschaft” also, die mit dem CERN (Centre Européen pour la Recherche Nucléaire) und seinem globalen Wissenschaftsprojekt, dem LHC (Large Hadron Collider) – dem größten Teilchenbeschleuniger der Welt -, einen Höhepunkt in der Teilchenphysik markiert.”
Das Menschen in so einer Ausstellung sehen können, wie spannend die Forschung am LHC ist, passt den Weltuntergangspropheten natürlich nicht. Die wollen ja, dass wir vor dem Teilchenbeschleuniger Angst haben. Und wovor haben die Menschen seit dem großen Erdbeben in Japan Angst wie nie zuvor? Genau, vor der Atomkraft! Deswegen bezeichnet man sich bei den Kritikern nicht mehr einfach nur als die Gruppe “LHC-Kritik”, sondern mittlerweile als “LHC-Kritik – Netzwerk für Sicherheit an experimentellen subnuklearen Reaktoren”. “Experimentelle subnukleare Reaktoren”! Ja, das klingt schon ausreichend gruslig. Das klingt nach einer rauchenden und qualmenden Maschine von der keiner so richtig Ahnung hat – ist ja “experimentell” – die jeden Moment hochgeht und uns alle verstrahlt (und natürlich hat man auch das schwarz-gelbe “Radioaktivität”-Warnzeichen als Logo übernommen). Dass der LHC viel ist, aber mit Sicherheit kein “Reaktor” braucht man den Leuten ja nicht auf die Nase zu binden. In Österreich kommt man mit der Angst vorm Atom jedenfalls weit und Markus Goritschnig durfte als “Sprecher” dieses Netzwerks einen Artikel für den Online-Standard schreiben. Gleich im ersten Satz erklärt er dort die Ars Electronica zur
“Propagandaplattform der experimentellen Nuklearforschung”
Ja, ich seh es schon direkt vor mir, wie die irren Wissenschaftler und die Atomlobbybosse in Linz ihre dunklen Pläne aushecken um die Welt weiter unters strahlende Joch der Atomkraft zu zwängen… Und wenn der Österreicher etwas noch weniger mag, als Forschung mit Atomen (und Genen, aber das ist ne andere Geschichte), dann ist es Geld, das für die Forschung mit bösen Atomen ausgegeben wird. Also bemüht sich Goritschnig im folgenden zu erläutern, wieviel Geld denn nicht am LHC verschwendet wird und wie teuer das nicht alles ist. Und wofür? Für nix:
“Die von CERN für 2013 gewünschte kostspielige Aufrüstung des LHC, dessen bisher erzielten Ergebnisse nach Angaben der Betreiber noch jahrelange umfangreiche Forschungen in Anspruch nehmen werden, ist unter rationalen Gesichtspunkten politisch eigentlich kaum vorstellbar – aber weiterhin möglich. “
Ja echt jetzt. Noch “jahrelange Forschung”! Am “subnuklearen Reaktor”! Wo kommen wir denn da hin!
Ich würde Markus Goritschnig mal empfehlen, über das Wort “Grundlagenforschung” nachzudenken. Denn genau das ist es, was am CERN passiert und ohne Grundlagenforschung gäbe es genau gar nichts. Jede Anwendung, jedes Patent, jedes neue Produkt entstammt der Grundlagenforschung. Auch die Legende, dass Wissenschaft so teuer wäre, ist genau das: eine Legende. Verglichen mit anderen Ausgaben ist Forschung sogar lächerlich billig. Aber von einem der einen Teilchenbeschleuniger als “Reaktor” bezeichnet darf man wohl kaum eine objektive Betrachtung erwarten. Da regt man sich lieber darüber auf, dass man bei der Ars Electronica T-Shirts verkauft, auf denen zu sehen ist, wie ein zerfallendes schwarzes Loch aussehen würde (so ein T-Shirt hätte ich übrigens gerne, falls jemand in Linz vorbei kommt!). Nicht genug, dass die Wissenschaftler ständig die armen LHC-Kritiker ignorieren und ihnen erklären, dass schwarze Löcher am LHC aller Wahrscheinlichkeit nach nicht entstehen können und selbst wenn sie entstehen nicht gefährlich sind, sondern sofort wieder zerfallen. Jetzt drucken sie das noch auf T-Shirts! Wie soll man denn da den Leuten noch vernünftig Angst einjagen können!
Ich finde es erstaunlich, dass sich doch immer wieder Medien finden, die auf die Angstmacherei und Wichtigtuerei der Rössler-Truppe reinfallen. Dabei hat der Online-Standard eigentlich eine sehr gute Wissenschaftsredaktion. Aber der Kommentar von Goritschnig fiel wohl eher in die Verantwortung der Kunst/Gesellschaft-Redaktion; immerhin war die Anti-LHC-Propaganda diesmal als kritischer Beitrag zur Ars Electronica getarnt. Naja – ich hoffe, dass sich die Besucher der Ausstellung nicht die Laune verderben lassen. Ich wäre gerne gekommen, aber leider schaff ich es diesmal nicht. Das Programm ist aber spannend – es kommt zum Beispiel auch Jerry Bonnell, Herausgeber der wunderbaren Seite Astronomy Picture of the Day. Und was gäbe es für eine bessere Synthese aus Kunst und Wissenschaft als die fantastischen Bilder, die mit den modernen Teleskopen gewonnen werden?
Nachtrag (30.8.2011 23:40): Wer gerne mal sehen will, wie “seriös” die ganze “LHC-Kritik”-Gruppe ist, der kann ja mal den heute veröffentlichen Artikel von Chef-Kritiker Otto Rössler lesen. Unter dem Titel “I am the Scientist Who Proved That CERN Attempts to Kill You” demonstriert er, dass er mittlerweile wohl jeden Halt in der Realität verloren hat. Er erzählt wieder die Legende von seinen “unwiderlegten Beweisen” und wird dann so richtig emotional:
“Everyone who loves his child or his life or the planet by a higher factor is my ally. Please, request a response from your mayor and priest and counselor and merchant and newspaper office. The best advisor in such an unprecedented situation may be your child since children still have a connection to heaven. “
Ich frage mich, wer so etwas ernst nehmen soll…
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