Dieser Artikel gehört zu meiner Serie “Tatort-Wissenschaft”. Wer damit nichts anfangen kann findet hier eine Erklärung. Es geht in diesem Artikel nicht um eine wissenschaftliche Erklärung der Tatort-Handlung sondern darum zu zeigen, dass Wissenschaft tatsächlich überall ist. Egal was wir (oder die Tatort-Kommissare) machen, es steckt Wissenschaft dahinter. Wir erleben die Welt aber meistens getrennt. Da gibt es “Wissenschaft” – und dann gibt es “alles andere”. Zum Beispiel Krimis wie den Tatort. Es mag konstruiert erscheinen, den Tatort mit wissenschaftlichen Phänomenen und Erklärungen in Verbindung zu bringen. Die Wissenschaft war aber schon die ganze Zeit da. Unsere gedankliche Trennung zwischen Krimi und Wissenschaft ist konstruiert. Ach ja, und wenn ihr nicht wissen wollt, wer der Mörder war, dann lest am besten nicht bis zum Ende…
————————————————————————————————————————
Tatort-Folge Nummer 746 spielt in Berlin. Es geht um hohe Gebäude und tiefe Katakomben. Es geht ums Oben und Unten und die Frage wie man von einem zum anderen kommt. Und immer wieder ist es die Gravitation, die uns nach unten zieht.
Der Tote dieser Tatort-Folge wird unter der Erde gefunden. Das wäre ja an sich nicht außergewöhnlich, denn dort landen die meisten Toten sowieso früher oder später. In diesem Fall saß die Leiche aber in der Berliner U-Bahn und die Kommissare Ritter und Stark müssen nicht nur herausfinden, wer den Bauunternehmer Baumann (ernsthaft? Bauunternehmer Baumann?) umgebracht hat, sondern auch erklären, wie man einen toten Menschen in einer U-Bahn ablegt, ohne das irgendjemand etwas davon mitbekommt. In guter wissenschaftlicher Tradition machen sie sich auf in das Kellergeschoss von Berlin um dort ein paar Experimente anzustellen. Was passiert, wenn man eine (scheinbare) Leiche mit der Schubkarre durch die Station fährt? Nichts – die Passanten interessieren sich nicht dafür, genauso wenig wie für den Anblick des einen Kommissars, der den anderen auf seinen Schultern durch die Gegend trägt. Ritter und Stark verlieren aber schnell die Lust am Experimentieren, vor allem weil es so anstrengend ist, einen ganzen Menschen durch die Gegend zu schleppen.
Schuld daran ist die fiese Gravitation. Ein halbwegs trainierter Mensch kann einen anderen Menschen zwar leicht hoch heben – die Erde möchte ihn aber wieder haben und zieht ihn gnadenlos wieder an. Es braucht Kraft, dieser Anziehungskraft entgegen zu wirken. Wie stark die Kraft ist, die unser Planet auf einen Körper ausübt, wissen wir spätestens seit der Arbeit von Isaac Newton. Der erkannte im 17. Jahrhundert die grundlegende Formel, mit der sich die Anziehungskraft zweier Körper beschreiben lässt: Die Kraft ist direkt proportional den beiden beteiligten Massen und indirekt proportional dem Quadrat des Abstands zwischen den beiden Massen. Netterweise haben sich die beiden Kommissare gegenseitig nicht fallen gelassen. Denn dann wären sie auf den Boden zurück gefallen und dabei in jeder Sekunde um 9,81 Meter pro Sekunde schneller geworden.
Diese Zahl – 9,81 Meter pro Sekunde pro Sekunde (kein Tippfehler; es handelt sich um eine Beschleunigung, also um die Änderung einer Geschwindigkeit im Laufe der Zeit) – nennt man die Erdbeschleunigung. Sie wird mit dem Buchstaben g bezeichnet und gibt an, mit welcher Beschleunigung ein Körper im Gravitationsfeld der Erde immer schneller zu Boden fällt. Würde Ritter seinen Kollegen Stark aus einem Meter Höhe auf den Boden fallen lassen, dann würde der Fall glücklicherweise nur 0,45 Sekunden dauern. Da bleibt kaum Zeit für die Beschleunigung und am Ende schlägt Stark mit einer Geschwindigkeit von knapp 16 Kilometern pro Stunde auf dem Boden der U-Bahnstation auf. Unangenehm, aber nicht so schlimm. Wäre Ritter kein braver Kommissar sondern ein fieser Mörder und würde er Stark von der Spitze des 368 Meter hohen Fernsehturms am Alexanderplatz schmeißen, dann würde der arme Kerl noch ganz 8,7 Sekunden lang durch die Luft fallen. Zeit genug, um auszurechnen, mit welcher Geschwindigkeit er unten ankommt. Die Formel dafür ist ziemlich simpel: Die Fallzeit ist gleich der Wurzel aus dem Verhältnis der doppelten Fallhöhe zur Erdbeschleunigung, also t=Wurzel(2h/g). Wenn Stark ein guter Kopfrechner ist, wird er gerade noch feststellen, dass er mit 306 km/h am Boden aufkommen wird, bevor er sich in einen roten Fleck am Alexanderplatz verwandelt. Wenn er auch noch ein guter Physiker ist, dann wird ihm unterwegs einfallen, dass er ja auch noch den Luftwiderstand berücksichtigen muss, der seinen Fall abbremst und die Beschleunigung immer geringer werden lässt, bis er schließlich mit knapp 200 km/h aufschlagen wird. Für einen roten Fleck am Boden reicht das aber immer noch.
Kommentare (37)