Am Sonntag habe ich euch ein schönes Video über Antimaterie gezeigt. Antimaterie ist eigentlich nicht sonderlich mysteriös oder seltsam. Es ist ganz normale Materie, nur eben mit einer anderen elektrischen Ladung. Ein Elektron ist elektrisch negativ geladen. Ein Positron ist ganz genau so wie ein Elektron, nur eben positiv geladen. Ein Proton ist elektrisch positiv geladen; ein Antiproton elektrisch negativ. Und wo ein normales Atom aus einem Kern mit Protonen besteht der von Elektronen umkreist wird, besteht ein Antiatom aus einem Kern mit Antiprotonen der von Positronen umkreist wird. Aus solchen Antiatomen aufgebaute Antimaterie funktioniert im Prinzip genau so wie normale Materie und würde auch nicht anders aussehen. Erst wenn Antimaterie auf Materie trifft bemerkt man den Unterschied denn dann vernichten sie sich gegenseitig. Das kommt allerdings selten vor, denn natürliche Antimaterie existiert so gut wie nirgends im Universum. Oder gibt es das Zeug vielleicht doch irgendwo und wir haben es nur noch nicht gemerkt? Alexander Dolgov von der Universität Ferrara in Italien und seine Kollegen haben sich Gedanken darüber gemacht, wie man Himmelskörper aus Antimaterie im Universum entdecken könnte (“How to see an antistar”).
Da Materie und Antimaterie bis auf die Ladung identisch sind (stimmt eigentlich nicht ganz, aber dazu später mehr) sollten beim Urknall auch jeweils gleich viel von beiden entstanden sein. Und von einer Mischung aus Materie und Antimaterie dürfte nicht viel übrig bleiben, abgesehen von jeder Menge Energie die bei der gegenseitigen Vernichtung entstanden ist. Aber ganz offensichtlich ist etwas übrig geblieben, denn unser Universum ist voll mit jeder Menge Materie und nur die Antimaterie scheint verschwunden zu sein. Das kann zwei mögliche Ursachen haben: Entweder waren Materie und Antimaterie damals nicht vermischt und es gibt eben heute große Regionen im Universum die voll mit Materie sind und andere große Regionen die voll mit Antimaterie sind. Oder aber es entstanden beim Urknall nicht gleiche Mengen an Materie und Antimaterie sondern ein kleines bisschen mehr Materie. Nach der großen gegenseitigen Auslöschung blieb der Materieüberschuss übrig und aus ihm besteht heute alles im Universum (wenn man von der dunklen Materie absieht).
Die zweite Methode wird von den derzeitigen kosmologischen Theorien favorisiert. Warum es mehr Materie als Antimaterie gegeben haben soll, weiß man allerdings noch nicht. Diese Frage gehört zu den großen ungelösten Problemen der Physik. Es gibt diversen Hypothesen die so ein Ungleichgewicht erklären könnten aber die gehören eben zum hypothetischen Teil der Kosmologie und sind nicht Teil des durch Beobachtungsdaten gut abgesicherten Standard-Urknallmodell. Es wird noch ein wenig dauern, bevor wir hier Bescheid wissen. Man ist sich aber trotzdem ziemlich sicher, dass das Verschwinden der Antimaterie durch eine anfängliche Baryonenasymmetrie erklärt werden muss. Denn wenn es irgendwo anders im Universum große Mengen an Antimaterie geben würde, dann müsste man das beobachten können. Sterne schicken nicht nur Licht ins All, sondern auch Teile des Materials aus dem sie bestehen. Bei der Sonne nennen wir das Sonnenwind und das gleiche machen auch alle anderen Sterne. Die Erde wird ständig von der kombinierten Teilchenstrahlung aller möglichen fernen und nahen Himmelsobjekte getroffen. Das ist die kosmische Strahlung und wenn es da draußen irgendwo große Mengen an Antimaterie geben würde, dann müsste auch in der kosmischen Strahlung Antimaterie auftauchen.
Das tut sie aber nicht, wie diverse Messungen zeigen die im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte angestellt wurden. Aber vielleicht sind die Antisterne und Antigalaxien einfach nur enorm weit weg? Dolgov und seine Kollegen leiten aus den bisher besten Messungen ab, dass eine Antigalaxie mindestens 10 Megaparsec weit entfernt sein muss. Zum Vergleich: Die Galaxie die unserer Milchstraße am nächsten liegt ist die Andromeda-Galaxie und die ist 0,8 Megaparsec weit weg. 10 Megaparsec sind also nicht sooo extrem weit weg und wir kennen jede Menge Galaxien die sich so weit oder weiter entfernt befinden. Aber besteht eine davon aus Antimaterie?
Am einfachsten wäre es, man könnte dort irgendjemanden fragen. Wenn da irgendwelche Aliens wohnen würden, dann müsste man sie nur nach dem Result verschiedener teilchenphysikalischen Zerfallsreaktionen fragen und könnte daraus schließen, ob sie aus Materie oder Antimaterie bestehen. Denn seit den 1960er Jahren weiß man, dass sich Materie und Antimaterie nicht exakt gleich verhalten. Man entdeckte die CP-Verletzung. Eigentlich sollte die sogenannte CP-Invarianz gelten die besagt, dass sich ein physikalisches System nicht ändert, wenn man in ihm alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und gleichzeitig alle Raumkoordinaten spiegelt. Diese CP-Invarianz ist nun allerdings bei bestimmten Systemen nicht erfüllt und bestimmte Teilchen – zum Beispiel Kaonen – die beim Zerfall weder Materie noch Antimaterie bevorzugen sollten tun das in der Realität doch. Könnten wir mit Aliens über Teilchenphysik plaudern, dann würden wir schnell herausfinden, wie die Teilchen bei ihnen zerfallen würden und wüssten ob es sich um Materie- oder Antimaterie-Aliens handelt.
Aber das ist natürlich unrealistisch und Dolgov und seine Kollegen haben sich Gedanken über andere Methoden gemacht. Am einfachsten könnte man Antisterne mit Neutrinobeobachtungen identifizieren. Die Kernreaktionen aus normaler Materie im Inneren der Sonne erzeugen jede Menge Neutrinos die sie gemeinsam mit dem Licht ins Weltall hinaus strahlt. Ein Antistern aus Antimaterie würde in seinem Inneren Antiwasserstoff zu Antihelium fusionieren und dabei nicht nur Licht (kein “Antilicht” – Licht ist ja Energie und keine Materie…) erzeugen sondern auch Antineutrinos. Leider schaffen wir es derzeit schon kaum, die Neutrinos der Sonne zu beobachten. Neutrinos sind Teilchen, die so gut wie gar nicht mit dem Rest der Materie wechselwirken und es wahnsinnig schwer sie zu detektieren. Von den Billiarden Neutrinos die ständig durch uns und die Erde hindurch sausen können wir mit den großen Neutrinodetektoren gerade Mal eine Handvoll nachweisen. Bei Sternen aus anderen Galaxien stehen die Chancen noch viel schlechter obwohl prinzipiell nichts gegen die Detektion von Antineutrinos spricht. Bei Sternexplosionen könnte es klappen, denn hier werden viel mehr (Anti)Neutrinos freigesetzt. Vielleicht haben wir mal Glück und beobachten irgendwo eine ferne Supernovaexplosion und registrieren gleichzeitig einen Schwung Antineutrinos. Dann wüssten wir, dass da gerade ein Antistern explodiert wäre.
Da sich Materie und Antimaterie wegen der CP-Verletzung leicht unterschiedlich verhalten müssten auch die Spektrallinien in Antisternen ein wenig anders aussehen als bei normalen Sternen. Diese Linien im Lichtspektrum entstehen ja aus der Interaktion von Atomen mit Lichtteilchen und die läuft bei Antiatomen ein klein wenig anders ab. Diese Unterschiede sind aber so gering, dass derzeit keine Chance auf Beobachtung besteht.
Am vielversprechendsten erscheint Dolgov und seinen Kollegen die Untersuchung der Polarisation des Lichts. Lichtwellen können auf unterschiedliche Art und Weise schwingen und bestimmte kernphysikalische Reaktionen erzeugen unterschiedlich schwingendes d.h. unterschiedlich polarisiertes Licht. Und wenn Materie Licht einer bestimmten Polarisation erzeugt, dann liefern die gleichen Reaktionen bei Antimaterie genau die entgegengesetzte Polarisation. Am besten beobachten könnte man das laut Dolgov bei Quarksternen. Dabei handelt es sich um einen Stern, der am Ende seines Lebens keinen Brennstoff mehr hat und kollabiert. Dabei wird die Materie immer stärker zusammengepresst und so weit wir derzeit Bescheid wissen entsteht am Ende so entweder ein Neutronenstern oder ein schwarzes Loch. In einem Neutronenstern sind die Atome maximal zusammengepresst; es gibt keine Atomkerne und Elektronenhüllen mehr sondern nur noch dicht aneinander gepackte Neutronen. Ist der ursprüngliche Stern noch massereicher, dann werden auch diese Neutronen noch weiter zusammengequetscht bis am Ende ein schwarzes Loch entsteht. Wir wissen, dass es Neutronensterne und schwarze Löcher gibt und haben beides schon beobachtet. Aber rein hypothetisch könnte es noch ein Zwischenstadium geben in denen die Neutronen so weit komprimiert werden dass die Quarks aus denen sie bestehen direkt miteinander wechselwirken können. Dann entsteht sogenannte seltsame Materie. Diese Art von Materie ist an sich nicht seltsamer als andere Materie; der Name bezieht sich auf das strange-Quark (eines der sechs fundamentalen Quarks die die Namen “top”, “bottom”, “up”, “down”, “strange” und “charme” tragen). Teilchen die ein strange-Quark enthalten nennt man “strange matter” oder eben auf deutsch “seltsame Materie” beziehungsweise Hyperonen und man kennt einige von ihnen (Lambda-Teilchen, Sigma-Teilchen, etc).
Ein Quarkstern würde zu einem großen Teil aus seltsamer Materie bestehen und wird deswegen auch “seltsamer Stern” genannt. Bis jetzt haben wir noch keinen seltsamen Stern entdecken können. Aber wenn es irgendwo Sterne gibt, die aus Antistrange-Quarks bestehen, dann würde man von dort ganz charakteristisch polarisiertes Licht empfangen können. Wir müssen uns also auf die Suche nach antiseltsamen Antisternen machen und das ist klingt dann doch ein wenig zu seltsam. Wenn da draußen tatsächlich irgendwo große Mengen an Antimaterie sind, dann werden wie sie wohl so schnell nicht finden…
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