Schwarze Löcher gehören zu den Dauerbrennern in der Serie “Fragen zur Astronomie”. Kein Wunder, denn diese Himmelskörper sind mehr als nur seltsam und haben jede Menge überraschende und schwer verständliche Eigenschaften. Trotzdem haben die Wissenschaftler in den letzten Jahrzehnten viel über schwarze Löcher herausgefunden; die Astronomen haben jede Menge davon beobachtet und ihren Einfluss auf den Rest des Universums untersucht und die Theoretiker haben sich Gedanken über ihre Eigenschaften gemacht. Schwarze Löcher sind seltsam, aber dennoch reale Objekte in unserem Kosmos. Aber wie ist das mit den “weißen Löchern”? Auch die geistern seit langer Zeit durch die (wissenschaftliche und anderweitige) Literatur; tauchen in der Forschung aber eher selten auf. Grund genug, im Rahmen dieser Serie heute die Frage “Was sind weiße Löcher?” zu beantworten.
Eine kurze Antwort auf die Frage könnte lauten: Ein weißes Loch ist das Gegenteil eines schwarzen Lochs.” Das ist zwar tatsächlich kurz, aber auch nicht sonderlich hilfreich. Ein bisschen genauer kann man die Sache verstehen, wenn man mit der Mathematik anfängt. Ein schwarzes Loch ist ein direktes Resultat von Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie. Seine dort aufgestellten “Feldgleichungen” beschreiben, wie sich die Raumzeit in Anwesenheit von Massen verhält und als die Wissenschaftler in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts nach Lösungen für diese Gleichungen suchten, stießen sie dabei auch auf Formeln, die ein sehr seltsames Objekt beschrieben. Ich habe das hier ausführlicher beschrieben, aber im Wesentlichen läuft es auf folgendes hinaus: Konzentriert man ausreichend viel Masse auf ausreichend wenig Raum, dann wird die Raumzeit so stark gekrümmt, das nichts mehr aus der Nähe dieser Masse entkommen kann. Alles, was sich hinter dem sogenannten “Ereignishorizont” befindet, muss auch dort bleiben; selbst das Licht.
Lange Zeit dachte man, dass diese Lösungen nur eine mathematische Kuriosität darstellten und keine reale Entsprechung hätten. Aber dann fand man nicht nur heraus, wie solche schwarzen Löcher tatsächlich aus dem Kollaps normaler Sterne entstehen können, sondern entdeckte diese Objekte auch. Heute sind schwarze Löcher Teil des normalen Inventars unseres Universums und werden auf vielfältige Art und Weise erforscht. Die Mathematik der Einsteinschen Feldgleichungen lässt aber noch viele andere Lösungen zu. Zu diesen möglichen Lösungen gehören nicht nur die schwarzen Löcher sondern eben auch die weißen.
Auch ein weißes Loch hat einen Ereignishorizont. Der funktioniert allerdings nun genau umgekehrt. Während bei einem schwarzen Loch nichts von innen nach außen gelangen kann, ist der Ereignishorizont eines weißen Loches eine undurchdringliche Grenze von außen nach innen. Nichts kann in das weiße Loch gelangen; der einzige Weg führt in die andere Richtung. Ein schwarzes Loch kann Materie und Strahlung also nur “verschlucken” und gibt nichts davon wieder her. Ein weißes Loch dagegen kann Materie und Strahlung nur abgeben, aber nichts kann in das Loch gelangen.
Wie gesagt: Rein mathematisch stellen solche weißen Löcher absolut gültige Lösungen der Einsteinschen Gleichungen dar. Aber nur weil eine mathematische Lösung existiert, muss sie deswegen nicht automatisch eine reale Entsprechung haben. Die Situation ist ähnlich wie bei den “Tachyonen”, also überlichtschnellen Teilchen. So wie normale Teilchen immer langsamer als das Licht sein müssen und nie schneller sein können, müssen Tachyonen immer schneller und können nie langsamer sein. Mathematisch gesehen stellen sie keinen Widerspruch zur Relativitätstheorie dar; aber es ist mehr als nur zweifelhaft ob es sie deswegen auch in der Realität geben kann (ich habe das hier genauer erklärt).
Aber: Hat man nicht auch bei den schwarzen Löcher lange Zeit geglaubt, es könne sie nicht geben? Und dann erst später festgestellt, dass es sich um reale Objekte handelt? Und warum sollte das bei den weißen Löchern nicht auch so sein? Vielleicht gibt es sie ja doch und wir haben sie bis jetzt nur noch nicht gefunden?
Das kann schon sein – aber ein wenig unterscheidet sich die Situation trotzdem. Im Gegensatz zu den schwarzen Löchern kennen wir keinen physikalischen Mechanismus, durch den ein weißes Loch entstehen könnte. Keine Beobachtung hat Spuren weißer Löcher entdeckt. Und ihre Existenz würde dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik widersprechen, der besagt das die Entropie im Universum nur größer werden oder gleich bleiben kann.
Momentan scheinen “weiße Löcher” als tatsächlich nur eine mathematische Kuriosität zu sein. Allerdings muss man dabei immer berücksichtigen, dass wir noch keine umfassende Theorie besitzen, mit der sich extreme Zustände wie die in einem schwarzen (oder weißen) Loch vollständig beschreiben lassen. Die “Singularität” hinter dem Ereignishorizont eines schwarzen (oder weißen) Lochs ist nur ein Ausdruck unseres Unverständnisses dessen, was dort wirklich passiert (siehe hier für eine genauere Erklärung). Wenn wir es irgendwann schaffen, eine Theorie zu finden mit der sich Quantenmechanik und Gravitation gleichzeitig behandeln lassen, dann könnte es auch neue Erkenntnisse über weiße Löcher geben.
In einer Arbeit aus dem Jahr 2014 (“Black hole fireworks: quantum-gravity effects outside the horizon spark black to white hole tunneling”) vermuten die theoretischen Physiker Hal Haggard und Carlo Rovelli beispielsweise, dass quantengravitative Effekte dazu führen können, das ein schwarzes Loch nach seiner Bildung in sich zusammenfallen und dann quasi “zurückprallen” kann. Dieser “Quantum Bounce” würde aus einem schwarzen Loch ein weißes Loch machen. Das weiße Loch würde dann, ähnlich einer Supernova, explodieren und verschwinden (allerdings sind Leute mit mehr Ahnung von diesen Themen als ich ein wenig skeptisch was die Arbeit angeht).
Das letzte Wort in Sachen weißer Löcher ist also noch nicht gesprochen. Vorerst bleibt aber nur folgende Antwort auf die ursprüngliche Frage übrig: Weiße Löcher sind hypothetische Objekte die theoretisch existieren können, für deren reale Existenz es aber keinerlei Hinweise gibt.
Mehr Antworten findet ihr auf der Übersichtsseite zu den Fragen, wo ihr selbst auch Fragen stellen könnt.
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