Die “fünfte Kraft” ist wieder mal kurz davor entdeckt zu werden. Das klingt schön mysteriös, ist in diesem Fall aber zur Abwechslung mal keine Pseudowissenschaft sondern echte Physik. Wenn auch vielleicht nicht so spektakulär wie manche Medienberichte es darstellen. Eine ausführliche Erklärung dessen worum es geht kann man nebenan bei Martin Bäker nachlesen; ich möchte die ganze Sache hier noch einmal kurz aktualisieren und zusammenfassen.
Die ganze Geschichte hat 2015 im ungarischen Debrecen begonnen. Damals veröffentlichten Attila Krasznahorkay und seine Kollegen vom Atomki Institut eine Arbeit zur Untersuchung des Zerfalls von Beryllium-Atomen. Mit den bestehenden Modellen der Teilchenphysik kann man solche Prozesse sehr gut vorhersagen. Und wenn die Vorhersagen dann nicht mit den Messergebnissen übereinstimmen, wird es spannend. Denn das kann bedeuten, dass man etwas entdeckt hat von dessen Existenz man vorher nichts wusste. Genau das haben Krasznahorkay und seine Kollegen damals behauptet und ich habe in meinem Blog auch darüber berichtet. In diesem Fall gab es dann aber schnell Hinweise, dass es sich eher doch um nicht sorgfältig genug durchgeführte Experimente anstatt neuer Physik handelt.
Ganz simpel gesagt geht es um folgende Situation: Wir beschreiben die Wechselwirkung zwischen den Grundbausteinen der Materie derzeit durch vier unterschiedliche Kräfte. Neben der schwachen und der starken Kernkraft, die nur innerhalb der Atome selbst wirken, gibt es auch noch die Gravitationskraft und die elektromagnetische Kraft die man braucht um zu erklären wie die Materie auf größeren Maßstäben funktioniert. Mit diesen vier Kräften lassen sich alle bisher bekannten und beobachteten Phänomene erklären. Beziehungsweise sind es eigentlich fünf Kräfte, denn seit 2012 wissen wir ja auch von der Existenz des Higgs-Teilchens, das ebenfalls eine Kraft vermittelt die – vereinfacht gesagt – dafür verantwortlich ist, dass die Elementarteilchen eine Masse haben (was bedeutet, dass es bei der “fünften Kraft” eigentlich um die “sechste Kraft” geht, aber das ignorieren wir jetzt mal).
Wir wissen aber, dass es noch einige offene Fragen in der Teilchenphysik gibt. Wir wissen noch nicht, wie die Gravitationskraft mit den drei anderen Kräfte auf der Ebene der Elementarteilchen zusammenwirkt. Wir wissen noch nicht, wie Neutrinos genau funktionieren. Wir wissen noch nicht, woraus die dunkle Materie besteht und was dunkle Energie ist. Und so weiter – kurz gesagt: Wir wissen, dass uns in unserem Modell der Teilchenphysik irgendetwas fehlt. Es ist also nicht unplausibel, dass da noch unbekannte Teilchen zu entdecken sind und eben auch unbekannte Kräfte die zwischen den Teilchen wirken.
Die ungarischen Forscher waren der Meinung, ihre Beobachtung des Zerfalls von Beryllium-Atomen würde Hinweise zeigen, die auf die Existenz genau so einer bisher unbekannten Kraft hindeuten. Und haben das in einer kürzlich veröffentlichen Arbeit ein weiteres Mal behauptet. Die trägt den Titel “New evidence supporting the existence of the hypothetic X17 particle” und jetzt fragen sich natürlich alle: Was ist ein “X17 Teilchen”?
Die Kurzversion: Der Atomkern eines Beryllium-8-Atoms ist radioaktiv. Das heißt er zerfällt und dabei werden ein Elektron und ein Positron erzeugt. Die sollten sich nach dem Zerfall in etwa in die gleiche Richtung bewegen. Was sie aber in den Experimenten von Krasznahorkay und seinen Kollegen überraschend oft nicht getan haben. Sondern in einem Winkel von 140 Grad auseinander geflogen sind. Das kann, so die Hypothese, passieren, wenn das Beryllium nicht sofort ein Elektron-Positron-Paar produziert sondern zuvor ein anderes Teilchen. Das ist aber ebenfalls instabil und erst wenn dieses unbekannte “X”-Teilchen zerfällt, kriegt man die Elektronen und Positronen die man beobachten kann. Die Energie, die im X-Teilchen steckt wird auf Elektronen und Positronen übertragen weswegen die sich in unterschiedliche Richtungen fortbewegen. Damit das alles funktioniert muss das X-Teilchen eine Masse von 17 Mega-Elektronenvolt haben und darum hat man es “X17-Teilchen” genannt. In der neuen Arbeit haben Krasznahorkay und seinen Kollegen sich jetzt ähnliche Zerfallsprozesse bei anderen Atomen angesehen und kamen zu dem Schluss, das auch hier die Existenz des X17-Teilchens die Ergebnisse erklären können.
Aber nur weil es einen Namen hat muss es deswegen noch lange nicht existieren. Die Arbeit von Krasznahorkay und seinen Kollegen aus Debrecen ist bis jetzt nur als Vorabdruck erschienen, also noch nicht von anderen Expertinnen und Experten geprüft worden. Und selbst wenn, dann müssen die Ergebnisse immer noch anderswo unabhängig bestätigt werden. Die haben früher schon stattgefunden, zum Beispiel am Europäischen Kernforschungsinstitut CERN und man hat dabei nichts gefunden. Sergei Gninenko vom NA64-Experiment am CERN (wo man im letzten Jahr keine Hinweise auf X17 gefunden hat) will die Existenz des Teilchens prinzipiell nicht ausschließen, sagt aber auch, dass man den Detektor ein wenig aufmotzen muss um wirklich sicher sein zu können ob es das Ding gibt oder nicht. Das sollte auch ein weiters Experiment am CERN schaffen können; der LHCb-Detektor, zu dem der theoretische Physiker Jesse Thaler sagt:
“By 2023, the LHCb experiment should be able to make a definitive measurement to confirm or refute the interpretation of the Atomki anomalies as arising from a new fundamental force.”
Es wird also noch ein wenig dauern bis wir Bescheid wissen. Es gibt einige Gründe die dafür sprechen etwas zurückhaltend zu sein was die Vorfreude angeht. Aber so oder so: Wir werden Bescheid wissen. Und irgendwo muss die Natur ja noch das eine oder andere unbekannte Teilchen versteckt haben! So lange wir das nicht gefunden haben, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch keine Ruhe geben…
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