100 Sterne sind weg! Ich kann definitiv nix dafür; ich hab zwar ein Buch über 100 Sterne geschrieben. Aber die, die in diesem Buch vorkommen sind alle noch (zumindest so weit ich weiß…). Aber momentan macht gerade eine Meldung die Runde die höchst spektaktulär und (natürlich!) unter Einbeziehung von Aliens verkündet, dass 100 Sterne von unserem Himmel verschwunden sind und keiner so genau weiß warum das so ist.

Das ist soweit nicht falsch. Mehr oder weniger genau das steht in einer wissenschaftlichen Facharbeit die kürzlich veröffentlicht worden ist. Sie heißt “The Vanishing & Appearing Sources during a Century of Observations project: I. USNO objects missing in modern sky surveys and follow-up observations of a “missing star” und wurde von Beatriz Villarroel von der Universität Stockholm und ihren Kollegen verfasst. Die Idee hinter der Arbeit ist gut und wichtig: In der Astronomie (bzw. ganz allgemein in der Naturwissenschaft) lernt man oft gerade immer dann etwas Neues, wenn sich etwas verändert. Im 17. Jahrhundert waren zum Beispiel Astronomen wie Johannes Kepler höchst verblüfft über das auftauchen von “neuen Sternen”. Die waren plötzlich am Himmel zu sehen obwohl da vorher gar nichts war. Dadurch wurde das Dogma des unverändlichen Himmels erschüttert und aus der Entdeckung dieser Phänomene die heute “Supernova” genannt werden hat man völlig neue Dinge gelernt.

Manche Sterne können ihre Helligkeit enorm ändern! (Künstlerische Darstellung: NASA, gemeinfrei)

Solche “transienten Phänomene” sind immer noch wichtig. Wenn Sterne ihre Helligkeit verändern; wenn wir Variationen in den Oberflächenstrukturen auf anderen Planeten sehen; wenn wir Asteroiden oder Kometen beobachten die plötzlich anfangen sehr viel mehr oder weniger Licht zu reflektieren: Dann sagt uns das etwas über die Prozesse, die diese Himmelskörper zu dem machen, was sie sind. Villaroel und und ihre Kollegen haben sich nun in großem Maßstab auf die Suche nach Veränderung gemacht. Sie haben alte Fotografien des Himmels mit neuen Aufnahmen verglichen. Und dabei nach Veränderung gesucht. Insbesondere nach Sternen, die in alten Aufnahmen zu sehen sind und in den neuen nicht mehr.

600 Millionen Lichtpunkte auf alten Aufnahmen wurden mit 70 Jahre später gemachten neuen Aufnahmen verglichen. Dabei wurden circa 150.000 Objekte gefunden die auf den alten Bildern zu sehen waren, auf den neuen aber nicht. Das ist an sich noch nicht weiter bemerkenswert. Sterne bewegen sich. Sterne verändern ihre Helligkeit. Ein Stern, der früher vielleicht gerade noch hell genug war um abgelichtet zu werden ist später so dunkel geworden, dass er auf den Bildern nicht mehr auftaucht. Ein Stern der sich schnell bewegt taucht an einer anderen Stelle des Bildes auf und wird von den automatischen Suchroutinen nicht mehr wiedergefunden. Dazu kommen Bildfehler und ähnliche Phänomene. Villarroel und ihre Kollegen haben knapp 24.000 dieser “mismatch”-Sterne im Detail untersucht und dabei circa 100 gefunden, die tatsächlich nur auf den alten Bildern zu sehen sind, auf den neuen aber nicht mehr auftauchen.

Was also ist mit den Sternen passiert? Sterne können verschwinden; das ist nicht unmöglich. Manche, sehr große Sterne können am Ende ihres Lebens ohne den Umweg über eine helle Supernova-Explosion zu einem schwarzen Loch kollabieren. Das ist aber sehr unwahrscheinlich und passiert nicht oft genug um die 100 fehlenden Objekte zu erklären. Villarroel und ihre Kollegen schlagen vier Erklärungsmöglichkeiten vor:

  • Es handelt sich um veränderlicher Sterne deren Helligkeit in den letzten 70 Jahren so weit gesunken ist dass sie nicht mehr detektiert worden sind.
  • Es handelt sich um Objekte, die eigentlich weder damals noch heute detektiert worden wären; die aber zufällig gerade vor 70 hell genug waren um abgelichtet werden zu können. Da die frühen Aufnahmen vor allem im roten Licht sensibel waren, könnte es sich um rote M-Sterne handeln, die dafür bekannt sind, immer wieder mal Helligkeitsausbrüche zu zeigen.
  • Es könnte sich um Bildfehler handeln. Was aber auch eher unwahrscheinlich ist, da dass dann eher ausgedehnte “Kratzer” sind und nicht die punktförmigen Strukturen die man beobachtet.
  • Es könnte sich um schwach leuchtende, nahe Objekte – rote oder braune Zwerge – handeln die sich dann auch dementsprechend schnell bewegen und ihre Position in den letzten 70 Jahren stark verändert haben.

Um wirklich genau sagen zu können was mit den 100 “verschwundenen” Sternen passiert ist, wird man noch mehr Daten brauchen. Mir persönlich erscheint Möglichkeit 1 sehr plausbibel zu sein. So gut wie alle Sterne sind veränderlich was ihre Helligkeit angeht und wir haben noch bei weitem nicht alle Sterne so genau beobachtet um exakt über ihre Variabilität Bescheid zu wissen. Auch die zweite Möglichkeit klingt nicht unwahrscheinlich.

Was ich dagegen für sehr unwahrscheinlich halte ist die Sache mit den Aliens. Auch wenn man hier ausnahmsweise den Medien zugute halten muss, dass sie nur das erzählen was auch im wissenschaftlichen Fachaufsatz steht: Denn die Autorinnen und Autoren widmen diesen Thema einen ganzen Abschnitt. Ja, rein prinzipiell ist es nicht unmöglich, dass eine weit fortgeschrittene technische Zivilisation einen Stern “verschwinden” lässt. Zum Beispiel mit einer Dyson-Sphäre; also einer Struktur die einen Stern ganz oder zum Teil einhüllt um so viel von dessen Energie wie möglich nutzen zu können. Das war ja auch eine der favorisierten Erklärungen als man 2015 einen Stern mit seltsamen Helligkeitsänderungen entdeckte; am Ende zeigte sich aber auch hier dass man es mit einem natürlichen Phänomen ohne Aliens zu tun hat.

Zu jedem Sci-Fi-Unsinn gibts haufenweise gute Bilder mit freier Lizenz. Nur bei Dyson-Sphären nicht (Bibi Saint Pol, gemeinfrei)

Natürlich ist es faszinierend sich irgendwelche Wesen vorzustellen die hunderte Sterne verhüllen. Es ist aber auch von allen Möglichkeiten die unwahrscheinlichste und die, die am meisten zusätzliche Voraussetzungen erfordert. Villarroel und ihre Kollegen behaupten aber auch gar nicht, dass sie Aliens entdeckt hätten oder ähnliches. Sondern beschäftigen sich mit den Implikationen ihrer Archivvergleichsarbeit auf die Suche nach “Technosignaturen”. Wenn man nämlich tatsächlich auf die Suchen nach Dyson-Sphären und ähnlichen künstlich hervorgerufenen Veränderungen des Sternenhimmels gehen will, dann muss man berücksichtigen, wie groß das Ausmaß natürlicher Veränderungen ist. Außerdem wird im Artikel auch angemerkt, dass es sowieso sinnvoller wäre gleich den Kern einer Galaxie einzuhüllen wenn es um die Energie geht anstatt der Sterne. Denn da ist auf viel weniger Raum viel mehr zu holen als bei hunderten Einzelsternen…

Momentan kann man über die ganze Sache vermutlich nicht mehr sagen als es die Autorinnen und Autoren selbst am Ende ihrer Arbeit tun:

“At present, we do not know what these detections represent. We believe they may be a mixed bag of transient phenomena.”

Man weiß einfach noch zu wenig. Und höchstwahrscheinlich gibt es nicht die EINE Ursache, sondern viele verschiedene die für das “Verschwinden” der Sterne sorgen. Aliens sind da aber eher nicht dabei…

Kommentare (17)

  1. #1 Karl-Heinz
    16. Dezember 2019

    Gibt es zu allen Sternenkarten Fotoplatten?

  2. #2 Ranthoron
    16. Dezember 2019

    Wurde betrachtet, ob der Fehler vielleicht in der Technik (Fotoplatte vs. Sensor) liegen kann?

  3. #3 Karl-Heinz
    16. Dezember 2019

    @Ranthoron

    Pixelfehler im Sensor 😉

  4. #4 Thyl Engelhardt
    München
    16. Dezember 2019

    Die modernen Aufnahmen sind deutlich empfindlicher als die alten, man sieht mehr Objekte. Also müssten die alten schon sehr viel lichtschwächer geworden sein, damit man sie jetzt gar nicht mehr sieht.

    Bildfehler könnten durch zufälligen Einfall von Silberhalogenid-aktivierender Strahlung entstehen, doch ich vermute mal, dass die Autoren das wissen und versuchen, auszuschließen.

    Ich will doch mal schwer hoffen, dass die Autoren das mit den sich bewegenden Sternen ausgeschlossen haben. Dann sollten ja doch irgendwo im Umfeld neue Punkte sein, die man zuordnen kann.

    Leider scheint die Studie nicht auf neu aufgetauchte Punkte einzugehen. Solche sollte man auch erwarten, es sei denn, dass tatsächlich die Anzahl der Sterne abnimmt.

  5. #5 Holger
    16. Dezember 2019

    das ist endlich der Beweis:
    wir existieren nur in der Matrix und dies sind eben Fehler in der Simulation.

    liegt sicherlich an der derzeitig nötigen Rechenleistung die für anderes verwendet werden muss und demnach werden eben zur Vereinfachung weit entfernte Kleinigkeiten bei der Simulation entfernt.

    Das ist ein Zeichen dafür dass der Steuercomputer derzeit in die Matrix eingreift.

  6. #6 noch'n Flo
    Schoggiland
    16. Dezember 2019

    Dyson – war das nicht der Staubsauger, mit dem die Weltraum-Putze den Druiden die Luft abgesaugt hat?

    (scnr)

  7. #7 Christian Berger
    16. Dezember 2019

    Also die Vermutungen, dass das irgendwie beweisen soll, dass wir in einer Simulation leben sollten finde ich albern. Sie geht davon aus, dass man irgendwie die Simulationsparameter ändert und dass das nicht die Simulation selbst wertlos macht. Aus einem “wir wissen nichts” wird gefolgert, dass so eine Simulation ganz anders sein muss als die Simulationen die wir so machen, und dass somit die Simulation Fehler hat die wir irgendwie als Widersprüche in unserer Welt sehen können.

  8. #8 Bbr
    Niedersachsen
    16. Dezember 2019

    Wenn es sich um veränderliche Sterne handelt oder um Objekte, die sich schnell bewegen, dann müssten doch ungefähr genauso viele Sterne neu erscheinen wie verschwinden. Aber vielleicht hat man danach nicht gesucht.

  9. #9 Mirko
    17. Dezember 2019

    Albern? Ach was wirklich?
    Witzig auch, dass jetzt gerade Dyson Werbung eingeblendet wird…

  10. #10 rolak
    17. Dezember 2019

    Witzig auch

    Keinesfalls witzig, sondern
    • ein ernüchterndes Zeichen für wortorientierte, semantikfreie WerbeWeiterschaltung
    • ziemlich maso, so ohne adblocker unterwegs zu sein

  11. #11 foobar407
    17. Dezember 2019

    Was kann denn mit einem Stern in 70 Jahren überhaupt alles so passieren? Sind das nicht für kosmologische Verhältnisse nur ein Wimpernschlag? Ich habe dakein Gefühl für.

  12. #12 Aginor
    17. Dezember 2019

    @foobar407
    Ja, das geht. Es stimmt zwar, dass die meisten Veränderungen im astronomischen Bereich sehr lange dauern, aber es gibt auch Dinge, die recht schnell gehen (also in 50 Jahren oder weniger).

    Und dann ist es natürlich eine Frage der Wahrscheinlichkeit, das zu beobachten. Wenn man wie im vorliegenden Beispiel 600 Millionen Sterne ganz verschiedenen Alters verfolgt, dann ist es nicht unwahrscheinlich ein Ereignis zu beobachten das einem Stern recht selten passiert.

    Ein paar der fehlenden Punkte werden sich wahrscheinlich aufklären lassen, z.B. ein Stern der sich (relativ gesehen) recht schnell bewegt und dadurch hinter oder vor einem anderen verschwunden ist, oder sich so weit bewegt hat dass eines der 150000 neuen Objekte in Wahrheit dieses Objekt ist, nur so verschoben (und evtl. dabei auch verändert) dass es vom Algorithmus nicht unmittelbar wiedererkennbar war.

    Bin gespannt was da noch herausgefunden werden wird!

    Gruß
    Aginor

  13. #13 Skeptikskeptiker
    18. Dezember 2019

    Könnten nicht Gravitationlinsen-Effekte dafür verantwortlich sein, dass Lichtpunkte verschwinden (und hinzukommen), wenn sich Konstellationen auch nur geringfügig verändern?

    @Christian Berger – Ironiedetektor abgeschaltet?

  14. #14 Anonym_2019
    18. Dezember 2019

    Dafür kommen demnächst 42.000 neue Sterne:

    Die Firma von Elon Musk will die Zahl der dafür geplanten Satelliten nun massiv aufstocken. Astronomen sind genervt

    https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/spacex-von-elon-musk-will-40-000-satelliten-starten-a-1291881.html

  15. #15 Jochen
    28. Dezember 2019

    Kann eine Dyson-Sphäre wirklich eine (theoretische) Erklärung sein? Auch eine solche Sphäre kann ja die Energie nicht (lange) in ihrem Inneren halten, sonst würde es dort ja sehr schnell sehr heiß. Die Energie muss ja irgendwann raus.

  16. #16 Karl-Heinz
    28. Dezember 2019

    @Jochen

    Bei der Dyson-Sphäre würde die entsprechende Energiemenge in Form von Infrarotstrahlung emittiert werden.

  17. #17 Alderamin
    28. Dezember 2019

    Kann alles mögliche sein – Novae, Flares, R Coronae-Borealis-Sterne, Spuren von kosmischen Strahlen auf den Aufnahmen… wollte demnächst mal was über veränderliche Sterne schreiben. Dyson-Sphären? No way, aber bringt die Arbeit in die Medien.