Zahlen sind objektiv. Wer seinen Standpunkt belegen will, egal ob Physikerin, Politiker, Bankdirektorin, tut das am besten mit Zahlen. Aber Zahlen können auch lügen. Das will ich hier am praktischen Beispiel erklären.
Das Beispiel stammt übrigens aus einem Vortrag, den ich in den letzten Jahren bei uns an der Uni am Tag der offenen Tür gehalten habe – deswegen sind die Jahreszahlen auch etwas “angestaubt”.
Stellt Euch vor, Ihr seid Verkäufer, sagen wir für Gebrauchtwagen. Ihr macht den Job seit 2001, vor Euch war jemand anders dran. In all der Zeit habt Ihr immer so zwischen 2000 und 3000 Autos im Jahr verkauft.
Leider hatte Euer Chef gerade Besuch von McKinsey und die freundliche Beraterin hat ihn auf Wachstum eingeschworen. Eure Aufgabe ist es, morgen in einer Präsentation zu beweisen, dass Ihr gegenüber Eurem Vorgänger für ein klares Wachstum gesorgt hat. Außerdem sollt Ihr auch zeigen, dass es in den letzten beiden Jahren (2006 und 2007) einen klaren Aufwärtstrend gab.
Ihr schaut auf die Zahlen und beginnt, über das Leben mit Hartz IV nachzudenken, denn so sieht’s aus:
(Die Zahlen stammen übrigens aus dem Zufallszahlengenerator meines Taschenrechners; ich habe zwei Werte vertauscht, damit die Lügerei etwas leichter wird. Die Werte 2006 und 2007 sind exakt identisch – das war natürlich Absicht, damit das Lügen mehr Spaß macht…)
Aber nicht verzagen – irgendwo auf den Scienceblogs habt Ihr doch mal gelesen, dass man mit Zahlen tricksen kann…?
Als erstes braucht man erstmal Dynamik in den Zahlen – die dümpeln alle so vor sich hin und es passiert scheinbar nichts. Das ist ganz einfach – man schneidet die senkrechte Achse passend ab:
(Achtet mal auf Grafiken besonders im Wirtschaftsteil, da ist das seeehr beliebt.)
Dynamik ist da, aber dass Ihr der geniale Verkäufer seit, kommt noch nicht so richtig raus, oder?
Aber dann bemerkt Ihr, dass bei euch und eurem Vorgänger eine gewisse Oszillation drin ist- es ist meist abwechselnd ein gutes und ein schlechtes Jahr. (Das liegt übrigens daran, dass einfache Zufallszahlengeneratoren, wie sie in Taschenrechnern eingebaut sind, oft die Eigenschaften haben, alternierend Zahlen im oberen und unteren Wertebereich auszuwerfen. Ist mir aber erst eingefallen, als die Zahlen fertig waren.)
Mal sehen, was passiert, wenn man nur jedes zweite Jahr aufträgt:
Das ist doch schon gar nicht schlecht. Aber euer Vorgänger fing 1995 echt stark an, das macht nen schlechten Eindruck. Auf der anderen Seite ist 1995 ja auch schon ne ganze Weile her. Und euer schlechtes Jahr 2007 müsst ihr ja eh nochmal gesondert angucken (weil es von 2006 nach 2007 ja bergauf gehen sollte), das lasst ihr also auch am besten weg:
Na, das kann sich doch schon sehen lassen, oder.
Nur 2001 war ein echt mieses Jahr. Kann man das vielleicht auch noch irgendwie heilen? Naja, ein einzelnes Jahr könnte ja ein Ausrutscher sein. Was war denn 2001 alles los? Ach ja, ganz einfach:
Klar, der 11.9. war Schuld – nicht ihr.
So, die erste Hälfte wäre geschafft, dass ihr besser seit als Euer Vorgänger ist mit dieser Grafik ja wohl eindeutig, oder?
Der zweite Teil wird schon kniffliger, denn die Verkaufszahlen waren 2006 und 2007 absolut identisch:
Also doch Hartz IV?
In eurer Verzweiflung schaut ihr auf die einzelnen Verkaufsbezirke eurer fünf Filialen, für die ihr verantwortlich seit. So sehen die Verkaufszahlen aus. Leider sind auch sie in beiden Jahren in jedem Bezirk absolut gleich, deshalb nur eine Grafik:
Hilft euch das irgendwie weiter? Es fällt zumindest auf, dass die Verkaufszahlen in den einzelnen Bezirken stark schwanken. Und das bringt euch auf eine geniale Idee: Ihr fasst mehrere Bezirke zu einem Gebiet zusammen. Für 2006 sieht das so aus:
Wir haben jetzt einen Distrikt West, da sind die Zahlen eher mies, und einen Ost-Distrikt mit deutlich höheren Zahlen. Im Ostdistrikt ist der Durchschnitt 545,7, im Westdistrikt nur 319,5. Diese Verteilung nehmen wir für 2006.
Und jetzt schieben wir für 2007 den schlechtesten Bezirk aus dem Ost- in den Westdistrikt.
Der Durchschnitt verbessert sich dadurch in beiden Distrikten, im Osten ist er jetzt 602, eine Zunahme von 10%, im Westen ist er 357,3, eine Zunahme von 12%.
In eure Präsentation könnt ihr also folgenden Satz einbauen:
“Durch dynamische Umstrukturierung konnte der Umsatz in den bezirken West und Ost um mehr als 10% gesteigert werden.”
(Den Trick nennt man übrigens Will-Rogers-Phänomen, nach dem Komiker Will Rogers, der den Scherz machte: “Als die Einwohner von Oklahoma nach Kalifornien umzogen, hoben sie die durchschnittliche Intelligenz in beiden Staaten an.” Das Will-Rogers-Phänomen kann für ziemlichen Ärger z.B. in der Medizin sorgen – wenn sich Diagnoseverfahren verbessern, dann verändert sich die Eingruppierung von Patienten und Experimente aus unterschiedlichen Jahren sind plötzlich nicht mehr vergleichbar.)
So, die Aufgabe ist gelöst. eure Zukunft ist gesichert, vielleicht holt ihr sogar noch eine Gehaltserhöhung raus – bei so einer Leistung muss doch ein kleiner Bonus drin sein, oder?
Und jetzt wisst ihr übrigens auch, warum Unternehmensberater so gerne Firmen umstrukturieren…
PS: In diesem Text habe ich mal was anderes versucht in Sachen Geschlechterneutralität: Auftauchende Personen sind abwechselnd männlich und weiblich.
Kommentare (33)