Der Wissenschaft wird oft mit Ablehnung begegnet – das erleben wir ja hier auf den Scienceblogs auch nicht gerade selten. Die vorgebrachten Argumente sind dabei oft widersprüchlich oder wenig haltbar, werden aber trotzdem mit großer Intensität vorgetragen. Zudem wird den Wissenschaftlern dabei oft auch noch Skrupellosigkeit, Dogmatismus und eine Abschottungsmentalität zugesprochen.
Für jemanden, der selbst wissenschaftlich denkt, ist es oft schwierig, solche Gedanken in irgendeiner Weise nachzuvollziehen.
Meiner Ansicht nach ist ein wichtiger Grund dafür, dass Menschen in dieser Weise gegen die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse argumentieren, Angst – und zwar auf einer ganz anderen und grundlegenderen Ebene als die vielzitierte Angst vor den Folgen von Atomenergie, Atombomben, Umweltverschmutzung etc. Und ich vermute, dass diejenigen, die diese Ängste als Argument gegen Wissenschaft anführen, oft vor allem unter den viel fundamentaleren Ängsten leiden, die die Wissenschaft auslösen kann.
Warum Wissenschaft ganz fundamentale Ängste auslösen kann, kann man vielleicht verstehen, wenn man sich überlegt, was die grundlegendsten Fragen sind, mit denen wir Menschen uns auseinandersetzen. Das hat schon der gute alte Immanuel Kant getan und die vier großen Fragen der Philosophie formuliert:
- Was kann ich wissen?
- Was soll ich tun?
- Was darf ich hoffen?
- Was ist der Mensch?
Die Wissenschaft gibt auf diese Fragen zumindest Teil-Antworten, und ich glaube, dass genau diese Antworten es sind, die fundamentale Ängste auslösen können. Heute schauen wir auf die erste der vier Fragen:
1. Was kann ich wissen?
Die Antwort der Wissenschaft:
Wer absolut sicheres Wissen sucht, dem kann die Wissenschaft nicht weiterhelfen. Aber mit derselben Sicherheit, mit der ich weiß, dass ich heute morgen zum Frühstück Kaffee getrunken habe (also unter der Annahme, dass ich nicht in Wahrheit ein Computerprogram bin oder vor 5 Minuten mitsamt meinen Erinnerungen erschaffen wurde oder…), kann ich sehr vieles wissen – sozusagen innerhalb vernünftigen Zweifelns.
Verlässliches Wissen dieser Art gewinnen wir mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode. Mit Anwendung dieser Methode stellt sicher allerdings heras, das vieles, was wir intuitiv für richtig halten (beispielsweise unsere Ideen über Raum, Zeit oder die Eigenschaften von Objekten) oft nur grobe Näherungen sind, die bei genauem Hinsehen zusammenbrechen.
Warum diese Antwort der Wissenschaft Angst auslösen kann?
Menschen hängen an ihren Ideen und identifizieren sich mit ihnen – man muss nur versuchen, einem Anhänger des 1. FC Stolperschuh rational zu beweisen, dass sein Verein ein Verein wie jeder anderer ist (ähnliches gilt genau so für Anhänger der Religion X oder der politischen Lehre Y). Und wenn man diese Ideen in Frage stellt, dann fühlen sich die Menschen selbst in Frage gestellt, und das ist gewiss kein schönes Gefühl. Wir erleben es hier auf den Scienceblogs ja gerade bei Diskussionen zum Thema Religion immer wieder, dass Menschen sich selbst angegriffen fühlen, wenn man ihre Religion angreift oder versucht zu zeigen, dass sie auf irrationalen Annahmen beruht.¹
¹Ein Aspekt dahinter ist sicher unsere Neigung, uns einer Gruppe zugehörig zu fühlen – in der heutigen Welt werden Gruppen eben meist in irgendeiner Weise durch Ideen verbunden.
Scheinbar unterliegt man als wissenschaftlich denkender Mensch solchen Zwängen nicht – wenn das berühmte Neutrino-Experiment sich als korrekt herausgestellt hätte, dann hätten wir die Spezielle Relativitätstheorie (SRT) modifiziert (wenn auch nicht komplett über den Haufen geworfen) – so wie man seinerzeit die Newtonsche Theorie von Zeit und Raum von einer umfassenden Erklärung zum bloßen Grenzfall einer anderen Theorie degradiert hat. Wer wissenschaftlich denkt, sollte immer bereit sein, eine Theorie zugunsten einer besseren abzuschaffen.
Bevor ihr euch jetzt in der daraus folgenden Überlegenheit sonnt – Vorsicht. Denn auch Wissenschaftler hängen an Ideen, die sie nicht so gern hergeben. (Das habe ich ja vor langer Zeit in dieser Theaterszene thematisiert.) Die wichtigste ist sicherlich die wissenschaftliche Methode selbst. Wenn ihr euch vorstellen wollt, wie sich ein gläubiger Mensch fühlt, dessen Lieblingsidee ihr gerade mit rationalen Argumenten zerlegt, stellt euch nicht einfach vor, dass jemand euch gute Gründe gegen eure wissenschaftliche Lieblingstheorie liefert (obwohl auch das schon schwer zu verdauen sein kann – soo abgeklärt sind die meisten Wissenschaftler nun auch nicht), sondern eher, dass jemand euch gute Gründe gegen die wissenschaftliche Methode und das rationale Denken selbst liefert, die ihr nicht entkräften könnt.¹
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