Wissenschaft kann Angst auslösen, weil sie uns Antworten auf die Grundfragen des Lebens liefert, die uns nicht unbedingt gefallen. Heute ist die dritte Kantschen Frage an der Reihe:
Was darf ich hoffen?
Die Wissenschaft sagt dazu:
Mit Glück wirst du 70 oder 80 Jahre alt werden und dann wirst du vermutlich für alle Zeit verschwinden (dazu mehr im nächsten Teil). Was dir in dieser Zeit passiert, hängt zu einem großen Teil vom Zufall ab und du hast darauf wenig Einfluss. Es gibt kein “Schicksal” und keinen “Plan”, die jemand für dich gemacht hätte.
Die Welt, die die Wissenschaft zeichnet, ist letztlich erbarmungslos. Die Angst vor diesem erbarmungslosen Zufall ist weit verbreitet und auch Nicht-Esoteriker versuchen oft, ihr auszuweichen, indem sie den Opfern eines Leidens Schuld zuweisen – hört man beispielsweise, dass jemand an Lungenkrebs erkrankt ist, ist (gerade bei Nichtrauchern und auch bei Wissenschaftlern) die erste Frage oft “raucht er/sie?”; mit dem impliziten Hintergedanken, dass wer raucht natürlich irgendwie selbst schuld ist an seiner Krankheit (was zwar statistisch, aber nicht in jedem Einzelfall, stimmt – nicht jeder Lungenkrebs wird durch Rauchen verursacht). Aber dieser Gedanke gibt uns das Gefühl der Kontrolle (“ich rauche ja nicht, da bin ich auch nicht gefährdet”) und spricht vielleicht auch unseren “Gerechtigkeits”-Reflex an (wenn jemandem etwas Negatives zustößt, dann muss das eine Ursache haben, derjenige hat irgendwie “Schuld”).
Religionen schützen uns gleich auf zweierlei Weise vor dieser Erbarmungslosigkeit: Erstens bieten uns die meisten ein Leben nach dem Tod an, so dass unser Leiden hier nicht so schwer wiegt, zweitens postulieren sie wohlgesonnene Gottheiten (vielleicht abgesehen von Cthulhu). Diese Gottheiten geben uns auch Macht – wir können beten oder Rituale abhalten und werden erhört werden. Zusätzlich (dank an Freawaru, die das im Kommentar zu Teil 2 anmerkte) erlauben uns Gottheiten auch, einen Teil dieser Macht abzugeben – entweder an die Gottheit selbst oder an deren Priester. Das wiederum ist bequem, denn es gibt dann jemand anderen, der im Zweifelsfall die Verantwortung trägt. Und wenn ein Schicksalsschlag uns trifft, dann können wir uns mit dem Gedanken trösten, dass die Wege Gottes ja unerforschlich sind und dass auch dieser Schicksalsschlag in Wahrheit etwas Gutes bedeutet, dass wir eines Tages erkennen werden.
In der Esoterik gibt es ähnliche Ideen, wenn beispielsweise behauptet wird, man könne Krankheiten weg- und das Glück her-visualisieren. Einige Heilslehren (beispielsweise die “Quantenheilung”) behaupten, dass uns genau die Dinge widerfahren, die wir uns unbewusst wünschen, und dass wir umgekehrt Krankheiten und andere Schicksalsschläge durch richtige Geisteshaltung loswerden können. Damit ist dann jeder, dem etwas Schreckliches widerfährt, letztlich selbst schuld. Zumindest so lange es uns gut geht, könnenw ir uns in dem Gefühl sonnen, dass wir das so auch verdient haben.
Das wissenschaftliche Weltbild sagt uns, dass es nicht wirklich so einfach ist, dass das “Schicksal” (der Zufall) erbarmungslos zuschlagen kann und schreckliche Dinge auch den Menschen widerfahren, die sie nicht “verdient” haben, denn es gibt keine universelle Gerechtigkeit. Wir sind dem Zufall der Welt ausgeliefert – auch wer sich gesund ernährt, kann an Krebs erkranken, auch wer vorsichtig ist, kann einen Unfall haben. Dem Universum sind wir allem Anschein nach herzlich gleichgültig.
Es ist genau diese Gleichgültigkeit, die nicht nur die Religionen sondern auch die Esoterik leugnen. In der Religion ist das – mit dem Bild eines wie auch immer gearteten Wesens, das über uns wacht – ziemlich offensichtlich. Aber auch die Esoterik beruht auf der Idee, dass wir dem Universum nicht egal sind, sondern dass es auf uns zugeschnitten ist. Ein Beispiel hierfür liefert die Homöopathie (die ich hier auch zur Esoterik dazuzähle). Physikalisch ist es vollkommen abwegig, dass Wasser ein spezifisches Gedächtnis haben soll, das genau dafür sorgt, dass unsere Krankheiten auf einfache Weise geheilt werden können, das aber niemals negative Auswirkungen auf unseren Körper hat. Wenn es aber so wäre, dann wäre das ein deutliches Zeichen dafür, dass die Naturgesetze auf uns zugeschnitten sind, um genau diesen Effekt zu ermöglichen – eine Welt, in der Homöopathie funktioniert, ist vermutlich eine, in der man sich geborgener fühlen könnte. Dasselbe gilt auch für “natürliche” Heilmittel (die viele Menschen ja ohnehin mit Homöopathie in einen Topf werfen): Wenn die Natur alles schon bereit hält, was man zum Gesundwerden braucht, dann leben wir offensichtlich in einem uns ziemlich wohlgesonnenen Universum, in dem die Gesundheit auf Bäumen wächst, wenn man nur bereit ist, dies zu sehen.
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