Am 8. Februar findet in der Schweiz wieder einmal eine Abstimmung statt. Es geht um nur eine einzige Vorlage, die aber von grosser Bedeutung ist. Streng genommen geht es um zwei Fragen: Erstens ob die seit 2002 existierende so genannte Personenfreizügigkeit weitergeführt werden soll und zweitens ob dieses Abkommen auf die neuen EU Mitglieder Rumänien und Bulgarien ausgedehnt werden sollen.
Dieser Eintrag findet im Rahmen der schon diskutierten Aktion ‘Bloggen für die Bilateralen‘ statt und soll eine etwas andere und hoffentlich wissenschaftliche Perspektive bieten. Ich möchte meine nicht-helvetischen Leserinnen und Leser mit den ganzen Details der Abstimmung verschonen und vor allem einen Teilaspekt dieser Abkommen hier diskutieren. Ich habe mich nämlich schon akademisch mit den bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU beschäftigt.1
Um es gleich festzuhalten: Ich halte die Behauptung der Gegner, dass die Schweiz dieses eine Abkommen über die Personenfreizügigkeit annulieren könnte (oder nicht auf die neuen Mitglieder ausweiten) ohne die anderen Verträge zu gefährden für entweder extrem naïv oder verlogen (man muss wohl mangels belegen von ersterem ausgehen). Ich verstehe nicht, wie jemand der sich halbwegs mit dem Thema auseinander gesetzt hat, so etwas behaupten kann. Aber nun zum Thema des Eintrags.
Das Hauptargument der Gegner jeglicher Annäherung der Schweiz an die Europäische Union ist in der Regel der Souveränitätsverlust. Nun ist es ein offenes Geheimnis, dass die Schweiz sehr viel ihrer Gesetze an EU Recht anpassen muss (euphemistisch ‘autonomer Nachvollzug’ genannt). Es gibt kein Rosinenpicken und in der einen oder anderen Form gilt der sogenannte acquis communautaire für alle die von der EU profitieren wollen. Sogar für die Schweiz. Mich interessierte, wieviel dieser Gesetzgebung den eigentlich von der EU tatsächlich beeinflusst ist.
Das Problem war, dass ich nicht wissen konnte, wie sich die Schweiz verhalten hätte, wäre sie ein EU Mitglied geworden. Darum habe ich zur nächstbesten Lösung gegriffen und mir einen passenden Vergleich gesucht. Dafür war unser Nachbarstaat Österreich ein idealer Kandidat. Mit einer ähnlichen Grösse, geographischen Lage und teilweise überlappenden Prioritäten, hatte ich ein EU Mitglied, womit ich die Schweiz vergleichen konnte.
Aus der Gesetzgebung die von 1996 bis 2005 durch die beiden Parlamente ging, habe ich je 200 zufällig ausgewählte Gesetze genommen und diese gemäss ihrem ‘Europa’ Inhalt in drei verschiedene Gruppen eingeteilt: Direkt durch Anstoss der EU Gesetzgebung geschaffene Gesetze (‘High’). Gesetze für die EU Gesetzgebung relevant ist, die jedoch den Legislativprozess nicht ausgelöst haben (‘Medium’) und Gesetze die keinen direkten Zusammenhang mit EU Recht aufweisen (‘Low’). Dies Einstufung basierte ich auf den Europaverträglichkeitsprüfungen die Standardmässig in beiden Ländern vorgenommen werden. Eine grafische Darstellung des Resultats für die beiden Länder sieht folgendermassen aus:
Interessant ist die Ähnlichkeit zwischen den beiden Grafiken. Man würde eine viel grössere Differenz zwischen einem EU Mitglied und einem Nicht-Mitglied erwarten. Grundsätzlich scheinen etwa die Hälfte der Gesetze nicht von EU Recht direkt betroffen zu sein. Die Aufteilung der restlichen divergiert leicht. Österreich scheint etwas mehr Gesetze direkt von der EU zu übernehmen und die Schweiz hat dafür mehr in der ‘Medium’ Kategorie. In meiner Arbeit wird diese Frage im Detail diskutiert, hier fehlt die Zeit hierzu. Ich vermute vor allem politische Gründe hinter dem Phänomen. In der Schweiz ist es oft besser, eine Gesetzesvorlage nicht als von der EU her kommend darzustellen. In Österreich hingegen können Politiker mit genau diesem Argument unter Umständen einfacher vorgeben, dass ihnen die Hände gebunden sind und dass sie zwar nicht wollen aber müssen. Doch wie schon erwähnt, dies ist nur Spekulation.
Fest steht, dass die Schweiz ähnlich wie ein EU Mitglied, EU Recht breit übernimmt und ähnlich viel Autonomie behält (oder verliert). Der Hauptunterschied ist und hier sind wir zurück beim politischen Argument, dass wir Helveten auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten.
Was bedeuten nun diese Resultate für die eidgenössische Abstimmung am 8. Februar? Es ist schwer zu sagen, wieviel der Gesetzgebung nur durch die erwähnten Verträge ausgelöst wurde. Von einer groben Schätzung ausgehend würde ich sagen, dies ist ein verschwindend kleiner Teil. Die Zahlen zeigen jedoch, dass wir wirtschaftlich, juristisch und wohl auch politisch eng mit der EU verbunden sind. Den vielbeschworenen ‘Alleingang’ gibt es so gar nicht. Da ein ‘Nein’ die Verträge in ihrer Gesamtheit gefährden würde, würde dies bedeuten, dass wir in Zukunft nicht nur auf Mitsprache verzichten, sondern auch auf die Vorteile, die uns die Kooperation mit der EU bringen. Wir würden nur noch ‘autonom nachvollziehen’. Dann wäre vielleicht ein EU Beitritt plötzlich die einzige noch sinnvolle Option. Wollen das die Gegner der Vorlage wirklich?
1Mehr zum Thema: Arbia, Ali The Road not Taken – Europeanisation of Laws in Austria and Switzerland 1996-2005, Studies and Working Papers, No. 1, Graduate Institute of International and Developement Studies, Geneva, 2008. Das Heft kann hier bestellt werden.
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