Ich stibitze mal eine Frage aus Florian Freistetters “Fragen zur Astronomie“. Dort fragte @Peter #1049 nach der Achsneigung des Mondes, mit der das im ewigen Schatten liegende Mondeis begründet wird, und wie die Mondachse aus Sicht der Erde orientiert ist. Die Beantwortung dieser Frage bedarf ein paar Grafiken und liefert den Anlass, ein wenig über die seltsamen Bewegungen des Mondes zu berichten.
Und er dreht sich doch…!
Bekanntlich rotiert auch der Mond um seine Achse, während er der Erde stets die gleiche Seite zuwendet. Dass er rotiert, erkennt man schon daran, dass er der weit entfernten Sonne (sozusagen als neutralem Beobachter aus der Ferne) gerade nicht immer die gleiche Seite zuwendet – bei Neumond ist die für uns sichtbare Seite von der Sonne abgewandt und unbeleuchtet, bei Vollmond der Sonne zugewendet und voll ausgeleuchtet.
Eine Rotationsperiode dauert genau so lange wie der Umlauf um die Erde, was kein Zufall ist – die Erde hat mit ihrer Schwerkraft den Mond abgebremst, sie zieht ihn ein wenig in die Länge, weil ihre Schwerkraft auf der erdnahen Seite des Mondes größer und auf der erdfernen kleiner als in seinem Schwerpunkt ist, der alleine frei von Kräften um die Erde fällt. Da sich der Mond zunächst unter dieser plastischen Verformung hinweg drehte, wurde er ständig durchgeknetet, was seine Drehung durch innere Reibung abbremste, wie ein nicht ganz prall mit Wasser gefüllter Luftballon, der im Vergleich zu einem prall aufgepumpten Ball ziemlich miserabel rollt. Die Drehung wurde soweit verlangsamt, bis sie in Bezug auf die Richtung der Achse der Verformung durch die Erde zum Stillstand kam – und die weist stets auf die Erde zu. Der Mond rotiert gebunden.
Das mit dem Stillstand bezüglich der Erde funktioniert aber nicht so ganz, wie dieses hübsche GIF zeigt:
Es zeigt eine Simulation, die den Mond über einen Monat aus virtueller Persepktive des Erdmittelpunkts zeigt, und zwar aus der Sicht von uns Nordhalbkuglern, das heißt Mond-Norden ist oben. Ein aktuelles Video übers ganze Jahr 2018 gibt es hier.
Statt uns brav immer die gleiche Seite zu zeigen rollt der Mond wie ein Wackeldackel auf hoher See um sämtliche Achsen – wieso tut er das? Hat er vielleicht getrunken?
Dazu schauen wir uns ein paar Bilder an:
Rollbewegung in der Länge
Das erste Bild zeigt die elliptische Bahn des Mondes um die Erde. In Wahrheit ist sie weniger exzentrisch, aber etwas überzeichnet ist der Effekt deutlicher. Der Mond folgt auf seiner Bahn in erster Näherung den Keplerschen Gesetzen, d.h. er bewegt sich auf einer Ellipse mit der Erde in einem der beiden Brennpunkte (1. Gesetz) und er bewegt sich in Erdnähe (Perigäum) schneller als in Erdferne (Apogäum) (2. Gesetz). Das heißt, er erreicht die vier im Bild dargestellten Orte in gleichen Zeitabständen, während derer er mit konstanter Geschwindigkeit rotiert. Der rote Pfeil zeigt die Rotation an, er weist in Richtung eines festen Längengrads auf dem Mond. Die von der Erde nicht sichtbare Seite des Mondes ist blau gefärbt
Wenn man sich den Mond rechts beginnend nach oben wandernd vorstellt, dreht er sich bis zur Position oben genau um eine Vierteldrehung. Bezüglich der Richtung zur Erde hat er sich aber nur um einen kleineren Winkel verschoben. Von der Erde aus wird daher der rot markierte Bereich der Mondoberfläche sichtbar, während der grau markierte aus dem Blickfeld verschwindet. Der Mond scheint sich gegen den Uhrzeigersinn gedreht zu haben (wenn man wie im Bild aus Richtung Norden auf ihn schaut).
Wenn er einen halben Umlauf vollendet hat (linke Position), hat er auch eine halbe Drehung vollzogen und man sieht wieder genau die selbe Seite wie in der Ausgangsposition rechts (nicht eingezeichnet ist die Beleuchtungsphase durch die Sonne, die erfolgt nun genau aus der Gegenrichtung). Der Mond ist jetzt im Perigäum und bewegt sich am schnellsten. Er erscheint jetzt auch ein wenig größer am Himmel, im Video sieht man ihn näher kommen und sich danach wieder entfernen.
Er erreicht die Position unten wieder nach der gleichen Zeit, hat sich wieder um 90° gedreht, ist aber um einen Winkel größer als 90° in Bezug auf die Erde verschoben, so dass nun der grün markierte Bereich sichtbar wird, während der grau markierte hinter dem Mond verschwindet. Der Mond hat sich folglich aus Sicht der Erde im Uhrzeigersinn gedreht.
Man sieht also im Laufe des Monats insgesamt etwas mehr als die Hälfte der Mondoberfläche. Der Winkel ist nicht so groß wie hier im Bild übertrieben dargestellt, er beträgt beidseitig maximal knapp 4°. Man nennt den Effekt Libration (von lat. libra = die Pendelwaage, die ebenfalls gerne schaukelt). Um genau zu sein: Libration in der Länge (longitudinale Libration). Das Mondgesicht schüttelt aber nicht nur mit dem Kopf, es nickt gleichzeitig auch noch.
Rollbewegung in der Breite
Man sieht in der Animation auch eine Nickbewegung. Diese erklärt sich, wenn man die Mondbahn von der Seite gesehen betrachtet:
Die Mondbahn ist sowohl gegen die Ekliptik, also die Ebene der Erdbahn, als auch gegen den Erdäquator geneigt. Deswegen bewegt sich der Mond mal weiter nördlich und mal weiter südlich des Himmelsäquators. Wenn der Mond nördlich steht, können wir ein wenig mehr seiner Südpolregion sehen; man sieht sogar die Öffnungen der Krater, die innen niemals Sonnenlicht abbekommen. Im Bild oben ist der Bereich in der Position oben rechts grün markiert. Einen halben Umlauf später steht der Mond südlich und wir schauen mehr auf den Nordpol, unten links rot markiert. Diese Libration in der Breite (oder latitudinale Libration) zeigt uns etwa 3,3° Breitengrade der Rückseite des Mondes um beide Pole herum. Dies gilt aus der Sicht des Erdzentrums, von hohen nördlichen oder südlichen Breiten sieht man durch die Verschiebung der Perspektive noch ein wenig mehr.
Durch beide Librationseffekte sind uns 59% der Mondoberfläche von der Erde aus beoachtungstechnisch zugänglich.
Seitliche Kippbewegung des Mondes
Damit haben wir erklärt, warum der Mond in der Senkrechten und der Waagrechten rollt. Er rollt aber auch noch um die Sichtlinie. D.h. die Pole verdrehen sich in der Himmelsebene – der Nordpol des Mondes ist nicht immer oben, wenn der Mond im Meridian steht.
Die Rotationsachse des Mondes ist in einem sehr kleinen Winkel von nur 1,5424° gegen die Ekliptik geneigt. Aus Sicht der Sonne ist die Mondachse also stets ungefähr gleich orientiert. Nicht so die Erdachse, die um 23,5° gegen die Ekliptik geneigt ist und im Laufe des Jahres mal den Nordpol und mal den Südpol in Richtung Sonne neigt (allerdings bezüglich des Sternhimmels die grobe Ausrichtung auf den Polarstern beibehält). Entsprechend neigt sie auch dem Mond mal den Nordpol und mal den Südpol zu, während er sie in knapp einem Monat umkreist.
Im Bild oben sieht man den Mond ganz oben zuerst schräg hinter der Erde in einer Position, aus der die Erdachse maximal zu einer Seite verkippt scheint. Das entspricht der Position des Mondes, wenn er in der Ekliptik in der Gegend des Frühlingspunkts unterwegs ist (denkt man sich die Sonne in dieser Richtung, so stünde sie über dem Äquator – Frühlingsanfang!). Folgt man der Blickrichtung des grünen Pfeils, so ergibt sich das Bild unten links. Die gelbe Linie soll die Ebene der Ekliptik darstellen. Für einen Erdbewohner, der den Mond im Meridian (höchste Position im Süden) sieht, stellt sich die Situation aber so dar wie im Bild unten rechts: der Meridian ist parallel zur Erdachse. Damit erscheint die Achse des Mondes nun nach Osten verdreht.
Einen halben Monat später steht der Mond auf der Bahn gegenüber und die Blickrichtung kehrt sich um: wir blicken jetzt aus der Gegenrichtung auf die Erde, die Erdachse ist folglich maximal in die Gegenrichtung gekippt, der Mond steht nahe dem Herbstpunkt. Aus Sicht der Erde ist der Mondnordpol nun nach Westen verdreht.
An den Punkten dazwischen, wo sich die Erdachse mit einem Pol auf den Mond zu neigt, erscheint die Achse des Mondes hingegen parallel zur Erdachse. Der Mond rollt also um die Sichtlinie. Das fällt nur nicht besonders auf, weil der Mond über die Nacht ohnehin eine seitliche Kippbewegung vollführt, da die Erde, auf der wir stehen, uns bei ihrer Rotation seitlich verkippt. Und weil wir wenig Orientierungspunkte für die Lage des Mondachse in einem Monat haben. Bei Vollmond ist das Mondgesicht zwar schön zu sehen, aber 2 Wochen später ist Neumond und wir haben keinen Vergleich. Bei Halbmond sehen wir die eine Mondhälfte und zwei Wochen später die andere, auch kein Vergleich. Wir könnten zwar zwei Vollmonde im Abstand von einem halben Jahr vergleichen. Aber wer behält den Anblick so lange im Kopf?
Damit sind alle in der Animation zu sehenden Bewegungen beschrieben.
Eis im ewigen Schatten
Diese ganze Rumeierei vollführt der Mond nur aus der Sicht der Erde. In Bezug auf die Sonne ist seine Achse, wie gesagt, gerade einmal 1,5424° gegen die Senkrechte geneigt. Das heißt umgekehrt, dass von seinen Polen aus gesehen die Sonne maximal so hoch über dem Horizont stehen kann, wenn der jeweilige Pol des Mondes gerade in Richtung Sonne geneigt ist. Einer der ewig dunklen Krater ist Shackleton am Südpol. Der durchmisst 21 km und hat eine Tiefe von 4,2 km. Der Kraterrand erscheint also aus der Mitte ca. 21° hoch – viel höher als die Sonne. Am Nordpol sind die Krater größer und flacher, da sind die abgeschatteten Bereiche an den nördlichen Kraterrändern zu finden (siehe Bild).
Man hatte schon lange vermutet, dass sich dort Wassereis von eingeschlagenen Meteoriten oder Kometen in der Kälte des ewigen Schattens angesammelt haben könnte, welches jedoch schwierig nachweisbar ist. Die ersten Versuche unternahm man 1996 mit der Mondsonde Clementine, die einen Radarstrahl in die Mondkrater leuchtete, dessen Reflexion auf der Erde empfangen wurde. Die Polarisation des Radarsignals deutete auf glatte Flächen hin, die möglicherweise von Eis verursacht sein konnten. 1998 untersuchte der Lunar Prospector aus dem Orbit die Krater mit einem Neutronenspektrometer, mit dem von Wasserstoff reflektierte langsame Neutronen nachgewiesen werden konnten. Man vermutete gemäß der Messungen auf insgesamt 1850 Quadratkilometern bis zu 6,6 Milliarden Tonnen Wasser. Nachgewiesen hatte man aber eigentlich nur Vorkommen von Wasserstoff.
2008 startete die indische Mondsonde Chandrayaan-1 zum Mond und nahm das amerikanische Moon Mineralogy Mapper (M3) Experiment mit, ein Spektrometer hauptsächlich für den infraroten Bereich. M3 fand Spuren von Wasser über die gesamte Oberfläche verteilt, offenbar im Mondstaub gebunden, aber nicht an den Polen. Ein Radarexperiment zum Nachweis von Wasser ähnlich dem von Clementine schlug fehl. Ein drittes Experiment, Moon Impact Probe, fand Wasser im Südpol-Krater Shackleton.
2009 ließ man die Raketen-Oberstufe der Sonde Lunar CRater Observation and Sensing Satellite (LCROSS) in den Mondkrater Cabeus nahe des Mondsüdpols einschlagen und LCROSS flog anschließend durch die Partikelwolke und analysierte sie, bevor sie selbst in den Krater stürzte. Beide Einschläge wurden auch von der Erde beobachtet. Es gelang der Nachweis von Hydroxyl-Ionen (OH–), die bei der Spaltung von Wassermolekülen durch UV-Licht von der Sonne gebildet werden. Man schloss daraus auf etwa 6% Wassergehalt im aufgewirbelten Mondgestein.
Vor ein paar Tagen ging durch die Presse, dass eine Neuanalyse der Chandrayaan-1 M3-Daten erstmals ganz bestimmt und definitiv Wassereis in den Kratern an den Polen nachgewiesen habe (Bild oben).
Es ist damit zu rechnen, dass im nächsten Jahrzehnt eine Landesonde in einem der polaren Krater landen wird und dann gemäß Presseberichten erstmals völlig zweifelsfrei Wasser auf dem Mond gefunden haben wird…
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