Die Untersuchung des Sojus-MS-10-Unfalls vom 11. Oktober 2018 ist abgeschlossen. Heute am 1.11.2018 wurde der Abschlussbericht veröffentlicht und von Roskosmos in einer Pressekonferenz vorgestellt (russisch).
Ergebnis der Untersuchung
Wie von Beginn an spekuliert hatte sich demnach einer der Booster nicht ordnungsgemäß vom Kern der Rakete (2. Stufe) getrennt, weil das DPKO-Entlüftungsventil für den Sauerstofftank des Boosters nicht pyrotechnisch geöffnet worden war. Dieses Ventil öffnet den noch unter Druck stehenden Sauerstofftank des Boosters, so dass das austretende Gas durch seinen Rückstoß die Oberkante des Boosters von der Rakete weg drückt. Der untere Teil löst sich schon vorher, wenn die Haltestangen des Boosters gekappt werden und der Schub des noch schwach feuernden Boosters dessen Unterkante nach außen schiebt. Dazu ist der Booster oben mit einem Kugelgelenk mit der Kernstufe verbunden.
Infolgedessen kollidierte der Booster mit der 2. Stufe, riss deren Sauerstofftank auf und gab der Rakete einen heftigen Stoß, der die Notfallautomatik zur Absprengung der Kapsel mit der Besatzung auslöste, die bei mehr als 7° Abweichung von der Sollrichtung automatisch ausgelöst wird. Im folgenden dramatischen Video sieht man, wie der Booster links im Bild sich bei 1:24 oben nicht ablöst, sondern an der Kernstufe entlang nach unten rutscht, die Rakete dann abrupt ins Trudeln gerät und weißer Dampf austritt, bei dem es sich um Gas aus dem Sauerstofftank der Kernstufe handeln dürfte. Außerdem versiegt der Schubstrahl der Stufe zu einem Rinnsal.
Von der russischen Presse war zuvor gemutmaßt worden, dass es eine Beschädigung an der oberen Halterung des Boosters beim Zusammenbau der Rakete gegeben habe. Die Aufnahme des Kugelkopfes an der Spitze des Boosters sei demnach verbogen worden und der Booster dadurch oben verklemmt gewesen, so dass er nicht ordnungsgemäß wegkippen konnte.
Der Untersuchungsbericht stellt dies etwas anders dar: demnach versagte ein Sensor, der die Abtrennung des Boosters detektieren und daraufhin die Sprengung des DPKO-Entlüftungsventils auslösen sollte. In der Pressekonferenz wird als Ursache für das Sensorversagen jedoch ebenfalls ein Fehler beim Zusammenbau angeführt, ohne weitere Details zu nennen (Roskosmos-Chef Rogosin hatte wohl geäußert dass einige vorgeschriebene Werkzeuge zur präzisen Montage des Boosters gar nicht zum Einsatz gekommen seien). Zur Klärung der Ursache habe beigetragen, dass Teile der Rakete, insbesondere der defekte Booster, geborgen und untersucht werden konnten. Das Ventil sei schließlich zwar geöffnet worden, aber erst durch den Zusammenstoß mit der Kernstufe; im Live-Video des Starts war nämlich austretender Dampf aus allen Boostern zu sehen gewesen. Man habe eine Verbiegung der Sensorstange um 6,45° festgestellt, wie es in der Pressekonferenz hieß (Mutmaßung von mir: vielleicht war dies dann Folge der Beschädigung beim Zusammenbau, die von der Presse genannt worden war).
Wie geht es weiter?
Es wurde mitgeteilt, dass bei folgenden Sojus-Raketen (anderen Typs, aber mit den gleichen Boostern), bei denen die Booster schon montiert wurden, “zusätzliche Arbeitsschritte” durchgeführt worden seien werden sollen. Dabei dürfte es sich dann wohl um eine nachträgliche Qualitätskontrolle der Montage handeln.
Am 25. Oktober 2018 wurde bereits eine weitere Sojus-Rakete mit dem Satelliten Lotos-S1 vom Weltraumbahnhof Plessezk nördlich von Moskau aus erfolgreich gestartet; da dürfte die Ursache wohl schon intern bekannt gewesen sein. 2 weitere Starts sind für Anfang November geplant, ein GLONASS-Navigationssatellit (Uragan-M) soll am 3. November gestartet werden, gefolgt vom Start einer ESA-Sojus mit dem EUMETSAT-Wettersatelliten MetOp-C am 6. November von Kourou in Französisch-Guyana aus.
Der nächste Start einer Sojus-FG, wie sie bei Sojus MS-10 verwendet wurde, liegt für den 16. November an, mit der ein Progress-Frachtschiff zur ISS gestartet werden soll. Der nächste Start einer Crew (für die Expedition 58/59) wird vom ursprünglich 20. Dezember auf den 3. Dezember vorverlegt. Die Besatzung soll dann den ursprünglich geplanten Außenbordeinsatz zur äußerlichen Inspektion des Lochs in der Sojus MS-09-Kapsel durchführen.
Wie lange Alexander Gerst noch auf der ISS bleiben muss, ist meines Wissens nach noch nicht offiziell bekannt gegeben worden. Seine an der ISS angedockte Sojus kann nur noch bis Anfang Januar verwendet werden, da der flüssige Wasserstoffperoxid-Oxidator (Sauerstoffspender für die Verbrennung) der Bremstriebwerke des Sojus-Rückkehrmoduls (also der Landekapsel mit der Besatzung) nach einer gewissen Zeit zu gasförmigem Sauerstoff und Wasserstoff zerfällt, was zu Blasenbildung und unregelmäßigem Schub führen würde. Dies passiert wohl relativ plötzlich und ohne messbare Vorwarnung, so dass das Raumschiff höchstens eine Woche über das Haltbarkeitsdatum (200 Tage, bis Ende Dezember) hinaus verwendet werden kann. Vermutlich wird Gerst wohl wie ursprünglich geplant im Dezember zurückkehren und die darauffolgende Besatzung der Expedition 59/60 wird vorgezogen kurz danach folgen, damit die Station wieder voll besetzt ist.
Die beiden Sojus MS-10-Raumfahrer Hague und Owtschini werden voraussichtlich im April einen erneuten Startversuch zur ISS unternehmen. Der Saudische Weltraumtourist, der auf dem im Dezember geplanten nächsten Flug dabei sein sollte und mit der MS-10 eine Woche später wieder gelandet wäre, wird auf einen späteren Flug verlegt, ich vermute beim Flug nach der Mission von Hague und Owtschini, um mit ihnen wieder zu landen.
Referenzen
- Chris Bergin, “Soyuz MS-10 abort caused by sensor failure at booster separation“, Nasa Spaceflight.com, 1. November 2018.
- William Graham, “Russia returns Soyuz rocket to flight with Lotos-S1 mission“, Nasa Spaceflight.com, 24. Oktober 2018.
- Thomas Burghardt, “NASA and Roscosmos trying to avoid an empty Space Station“, Nasa Spaceflight.com, 18. Oktober 2018.
- S. Clark, “Launch Schedule“, Spaceflight Now, Stand vom 30.10.2018.
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